Flash Download 3D-Zeitschrift benötigt das Flash 10.1 Plugin von Adobe.
Download von adobe.com

Bitte Stellen Sie sicher dass Javascript
in Ihrem Browser aktiviert und erlaubt ist.


Content:
1
286, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Juni 2012, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,- | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien 286, Digitalisierung In Wirklichkeit sind wir längst konstant mit virtueller Information unmittelbar vernetzt (...). Und unsere Wahrnehmung der unmittelbaren Umgebung, der Stadt, ja der ganzen Welt hat sich dadurch bereits epochal gewandelt. Haben die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstehenden Eisenbahn- und Telegrafennetze die Kommunikationsdistanzen extrem schrumpfen lassen, so haben Individual- und Flugverkehr endgültig das Messen von Entfernungen von Kilometer in (Fahr)Zeit gewandelt. Und die bereits jetzt geborene Generation wird die Grenzen der eigenen Nachbarschaften letztlich nur noch zwischen on- und offline ziehen.

2
Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Walter Stelzhammer, Alfred Brunnsteiner Plus / Minus: Wohnbauförderung Markus Sturm / Reinhard Seiß 7 Digitalisierung 8 - 11 Die Welt wird digitaler, die Maschinen werden menschlicher: Romantische Roboter Robert Trappl im Interview mit Wolfgang Pauser 12 - 16 Mit allen Mitteln - analoge / digitale Versuchsanordnungen | Forschungs- und Lehrpraxis dreier Architekturschulen Sebastian Jobst im Dialog mit Marjan Colletti, Richard Dank, Wolfgang Tschapeller 17 - 20 Digitalisierung in Kartografie und Vermessungswesen | Eine Revolution? Manuel Schramm 21 - 25 Digital und noch immer analog | Eine Zwischenbilanz Manfred Wolff-Plottegg 26 - 27 "Kobra" aus Brettsperrholz | Neue Methode zur Realisierung von Freiformflächen aus ebenen Elementen an Prototyp erprobt Markus Manahl & Albert Wiltsche 28 - 29 biM Building Information Modelling | Erfahrungsberichte 32 - 33 Die Erdgeschoßzone | Was wir schon wissen oder nicht wissen Betül Bretschneider 34 - 37 Der konische Wellenbrecher | Wiener Architekturbüro baut expo-Pavillon in Südkorea Anna Soucek 37 Nachruf: Gerhard Haidvogel 40 Empfehlungen 41 Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt: Wolfgang Fiala Magdalena Klemun 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Impressum Konstruktiv 286 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01-505 58 07-0, F: 01-505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 13.500 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Gestaltung Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: F. Frank Kleinbach / Installation Peter F. = Fotograf Dittmer | Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria Dusl A. = Architekt | Seite 5 © Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten | Seite 7: Aram Bartholl / courtesy of [DAM] Berlin | Seite 9: F. qcosa / Robert Trappl | Seite 12 - 13 F. ©thomasraggamcom | Seite 14 - 17: F. Antje Lehn | Seite 19: ©Sohei Nishino / courtesy of Michael Hoppen Contemporary | Seite 23 - 24: Manfred Wolff-Plottegg / ZKM | Seite 26: Urs Hirschberg | Seite 32 - 33: Grafik: GassnerRedolfi / Bohatsch und Partner | Seite 34 - 37: soma architecture | Seite 40: © Porsche AG, www.daskonstruktiv. at | Seite 42: Wolfgang Fiala | Seite 43: André Krammer, For Use / Numen | Seite 44: KAGiS Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinngemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel stammt von Richard Dank aus dem Dialog "Mit allen Mitteln - analoge / digitale Versuchsanordnungen". Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst- und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01-524 98 03-0, F: 01-524 98 03-4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat ARGE Walter Bohatsch / Reinhard Gassner, Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland)

3
Editorial Bezogen auf die Digitalisierung unserer Lebenswelt leben wir in postrevolutionären Zeiten. Doch, anders als von manchen Propheten der digitalen Ära vorausgesagt, hat die digitale Revolution nicht unabhängige virtuelle Realitäten, sondern komplex mit der physischen und sozialen Welt verknüpfte subtile Netze geschaffen. Diese durchdringen Arbeitswelt und Freizeit auf vielen Ebenen, sind zu praktischen Werkzeugen, aber auch unmerklichen Begleitern geworden. Kontinuierlich erhalten diese digitalen Werk- zeuge die Fähigkeit, selbstständig Situationen zu analysieren und Entscheidungen zu treffen, aber auch generative Prozesse zu bewältigen. Wird dadurch der Mensch als planender Genius vom digitalen Code abgelöst und zum Koordinator und Kontrolleur automatisierter Prozesse? Wohl kaum, dennoch werden ebendiese neuen Möglichkeiten die Arbeitswelt nicht nur noch zusätzlich beschleunigen, sondern neue Planungsprozesse mit sich bringen. Der Aufgabe der Ziviltechniker als Kontrollorgan wird dadurch eine noch gewichtigere Rolle zukommen, schließlich erwächst aus immer komplexeren und technisch anspruchsvolleren Konstruktionen die Notwendigkeit noch genauerer Prüfung. Da analoge und digitale Medien sich eben nicht gegenseitig ausschließen, sondern mit ihren jeweils spezifischen Qualitäten sinnvoll ergänzen, freuen wir uns, ab dieser Ausgabe das KONstruktiv auch auf www.daskonstruktiv.at präsentieren zu können. Basierend auf der Printausgabe bietet das KONstruktiv an dieser Stelle zusätzliche Multimediainhalte. Mehr Informationen finden Sie in den Empfehlungen auf Seite 40. Sebastian Jobst N Pendls Standpunkt Wettbewerb. In zeiten vor den durch die sog. digitale planung entstandenen möglichkeiten war es bei jurierungen die aufgabe der fachpreisrichter, die projekte zu lesen und den sachpreisrichtern, die die auftraggeber und bauherren sind, zu erläutern und zu vermitteln. Grundlage der entscheidung war das projekt. Notwendig war dafür eine unbefangene darstellung des präsentierten durch diese fachpreisrichter, dabei gehen wir vom positiven beispiel aus.  Heute ist oft nahezu das gegenteil der fall. So lächelt aus einem rendering für ein pflegeheim ein glückliches seniorenpaar wie auf einem werbeprospekt, das eigentliche thema, das gebäude, bildet einen dezenten hintergrund, verschwindet. Die bürgermeister sind beeindruckt und durch das stimmungsbild nahezu gewonnen. Tatsächlich nimmt das projekt im vergleich zu allen anderen die meiste fläche auf dem bauplatz in anspruch und geizt auch sonst mit architektonischer qualität. Es bedarf einiger überzeugungskraft, um das vorurteil der sachpreisrichter, denn ein solches ist es, aufzulösen.  Wir, die architekten, schießen uns selbst ins knie, wenn wir die überbordende renderingmanie betreiben und dabei gefahr laufen, dieses darstellungsfeld zum thema der aufgabe und zum entscheidenden kriterium zu machen. Digitale pläne. Bis heute gibt es in sog. honorarinformationen nur sparsame hinweise auf den wert digitaler unterlagen. Die oft kostenlose weitergabe an alle beteiligten ist fast zum standard geworden. Echte 3d-modelle haben einen erheblichen eigenwert, entstehen auch durch enormen arbeitseinsatz, auch unter relativierung durch die vermeintlich vereinfachende technologie. Sie enthalten wesentlich mehr information als die daraus abgeleiteten pläne, bieten vielfältige option zum missbrauch, die drei tasten des guttenberg-computers ermöglichen leichte vielfältigkeit, allerdings nicht im qualitativen sinn. Georg Pendl (Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten) N Schalten und Walten [Die Amme - Die Amme_5] von Peter Dittmer Im Rahmen dieser Installation tritt der Museumsbesucher mit einer Maschine in Dialog, regelrecht widerspenstig geht sie dabei mit Fragen und Bemerkungen um und legt die Grenzen der Kommunikation zwischen Mensch und Computer frei. Die aufgezeichneten Dialoge und nähere Informationen sind unter www.dieamme.de zu finden.

4
Digitale Native Martin Puntigam Kabarettist, Autor und MC der Science Busters Das menschliche Gehirn wird gern mit einem Computer verglichen. Das ist nicht ganz richtig, aber ganz falsch ist es auch nicht. Neuronen, die Nervenzellen in unserem Gehirn, die auf die Erregungsleitung spezialisiert sind, arbeiten, wenn man so will, analog und digital. In den Synapsen, den Kontaktstellen zwischen Nerven- und anderen Zellen, werden die Signale analog bewertet, am Zellkörper hingegen, wo die Signale zusammengezählt werden und entschieden wird, ob ein Neuron feuert oder nicht, wird digital gearbeitet. Und so wie es nicht ein bisschen schwanger gibt, gibt es auch nicht ein bisschen feuern. Entweder es wird gefeuert oder nicht. Wenn das Zusammenspiel gut funktioniert, entsteht vielleicht ein Gedanke. Das gilt übrigens für das gesamte Gehirn, wir verwenden nämlich bei Normalbetrieb 100 Prozent unseres Gehirns und nicht nur ein Zehntel davon. Die Annahme, wir würden nur 10 Prozent des Gehirns verwenden, ist ein Trugschluss und geht zurück auf Marie-Jean-Pierre Flourens, einen französischen Physiologen, der im 19. Jahrhundert Tauben Teile des Gehirns entfernt hat. Und zwar Taubenvögeln, nicht tauben Menschen, dafür war dann erst das 20. Jahrhundert zuständig. Flourens entfernte so lange, bis nur noch 10 Prozent übrig waren. Die meisten Tauben waren danach aber nicht mehr quietschfidel, sondern sind daran gestorben, und nur jene, die die Prozedur überlebten, konnten mit 10 Prozent der Gehirnmasse gerade noch den Futternapf finden und die Wasserschale. Mehr nicht. In freier Wildbahn hätten sie keine Chance gehabt. Wenn man aber mit 10 Prozent des Gehirns noch den Futternapf findet und die Wasserschale, dann hat Flourens mit seinen Versuchen quasi den Cluburlaub vorweggenommen. Und dort, das weiß jeder, der einmal dort war, ist man mit 10 Prozent mitunter sogar noch eher overdressed. N Dusls Schwerpunkt Puntigams Kolumne | Dusls Schwerpunkt

5
e-Konsulent Rudolf Kolbe Vizepräsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten "Erledigen Sie Ihre Amtswege bequem vom Sofa aus!" "Der Staat spart Millionenbeträge durch Einführung von e-Government-Lösungen." "Langzeitarchivierung und Datensicherheit sind die großen Probleme von digitalen Archiven." "Groß angelegter Betrug mit gefälschten E-Mails." Das sind nur einige Zeitungsmeldungen der letzten Wochen. Auch im beruflichen Umfeld lösen sich täglich Jubelmeldungen und Panikmache über das digitale Zeitalter ab und zurück bleibt vielfach ein verunsicherter Bürger, Kunde, Klient. Diesen können wir wieder die Sicherheit zurückgeben. Wie kaum eine andere Berufsgruppe setzen wir Ziviltechniker nicht nur seit dem Beginn der digitalen Tech- nik diese intensiv ein, wir beschäftigen uns auch mit allen Aspekten der Sicherheit. Bereits seit Jahren betreibt die BAIK das digitale Urkundsarchiv und garantiert mit diesem auch die digitale Rechtssicherheit für die öffentlichen Urkunden, die von den Ziviltechnikern erstellt werden. Die digitale Weitergabe dieser Urkunden an die Behörden, andere GOG-Archive und natürlich auch an den Auftraggeber ist fälschungssicher und erspart den Beteiligten beträchtlichen Aufwand. Im Bemühen, Innovationen sinnvoll für den Kunden einzusetzen, hat unser Berufsstand damit wieder die richtigen Weichenstellungen getroffen und den Schritt zum e-Konsulenten gemacht. N Immer mehr und immer mehr In den letzten Jahren sind die Anforderungen an die Einreichplanung sukzessive gestiegen. Immer mehr und immer mehr wurde und wird von den Behörden auf Grundlage sich ständig verändernder Rechtsvorschriften verlangtDies in Abkehr von früher gepflogenen Usancen, wo man vertiefende Planungsdetails im Rahmen einer Besprechung mit den ReferentInnen der Baupolizei klärte und auf dieser Grundlage die Baubewilligung erhielt. Wie selbstverständlich geht man davon aus, dass die Planerinnen und Planer diese (Mehr)Leistungen und die damit zusammenhängenden Haftungen ohne gesonderte Honorierung "mitnehmen". Insgesamt macht das dann rund 20 Prozent Rabatt aus, den zu gewähren uns niemand gefragt hat. Seitens der Kammer haben wir als ersten Schritt Gespräche mit der Wiener Baubehörde aufgenommen und Verständnis für unsere Kritik geerntet. Eine Arbeitsgruppe mit Experten von beiden Seiten wird das akute Problem analysieren und hoffentlich Auswege finden. Ziel ist dabei eine Linderung der Aufwandspirale durch Straffung bzw. Reduktion der überbordenden Regelwerke. Das größere Phänomen, das hier sichtbar wird, ist die gnadenlose Verrechtlichung und Normierung aller Lebensbereiche und damit einhergehend die schwindende Bereitschaft vieler AkteurInnen, eine ganz gewöhnliche Verantwortung zu übernehmen. Wenn wir aber alle keine Verantwortung mehr tragen wollen und glauben, dies mit mehr Bürokratie kompensieren zu können, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir als Wettbewerbsgesellschaft ins Hintertreffen gelangen. N Walter Stelzhammer Präsident der Kammer für Architekten und Ingenierukonsulenten für Wien /NÖ /Bgl. Die digitale "Gratis-Selbstverständlichkeit" Es gibt fast keinen Bereich des menschlichen Lebens mehr, in dem die technische Revolution rund um das Phänomen Digitalisierung nicht Einzug gehalten hätte - unbestritten mit einer Erleichterung des Gedanken- und Informationsaustauschs, den sich unsere Eltern niemals hätten vorstellen können. Es ist heute für jeden von uns selbstverständlich, jederzeit und überall Zugriff zu Informationen zu erlangen, die früher entweder nur einer bestimmten Gruppe von Menschen vorbehalten und auch dann nur mit gesicherten Zugangscodes zugänglich waren. Die digitale Revolution hat diese Mauern niedergerissen, sehr oft zu unser aller Vorteil, zugegeben. Leider immer häufiger aber hat dieser leichtere Zugang zu Daten und Fakten heute ein grenzenloses Anspruchsdenken ausgelöst, so quasi nach dem Motto: "Geh bitte, das haben Sie ja eh alles in Ihrem CompuStandpunkte Alfred Brunnsteiner Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Tirol und Vorarlberg ter, das haben Sie doch eh alles auf Knopfdruck parat, das wird doch jetzt keine große Sache sein, mir das weiterzuleiten, oder!?" Für viele ist es leider absolut selbstverständlich, von einer Fachfrau oder einem Fachmann gratis eine Leistung abzuverlangen, die sich diese/r aber durch ihre/seine Fachkenntnis erst hat erarbeiten müssen. Niemand würde je daran denken, von einer AutomechanikerIn einen Gratis-Check-up seines Wagens zu verlangen. Aber bei so manchen unserer AuftraggeberInnen ist es heute fast schon üblich geworden, sich unsere Leistung, die der ausgebildeten Ziviltechnikerin und des ausgebildeten Ziviltechnikers, in Form von digitalisierten Plänen und Unterlagen einfach übermitteln zu lassen, einfach so. Gegen dieses Gratis-Anspruchsdenken, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ZiviltechnikerInnen uns energisch wehren! N

6
Wohnbauförderung Wohnbauförderung plus Es ist ein Treppenwitz der jüngsten Krise: Da trägt die Wohnbauförderung maßgeblich dazu bei, dass im Unterschied zu so manch anderen EU-Mitgliedsland (Spanien, Irland) keine Immobilienpreisblase platzen und die Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen konnte, und was passiert? Auch sie gerät nun unter die Räder der Budgetkonsolidierung: 2011 wurden um 20 Prozent weniger Neubauwohnungen gefördert als noch 2009. Dabei ist die Wohnbauförderung unverzichtbar! Nicht nur aufgrund ihrer stabilisierenden Wirkung für den Wohnungsmarkt durch ihr erhebliches Lenkungspotenzial in der Wohnungsproduktion infolge der Schwerpunktsetzung auf direkte Objektförderung in Form niedrig verzinster Darlehen oder Annuitätenzuschüsse an Bauträger oder Privatpersonen, sondern auch aus sozialen, konjunkturellen und ökologischen Erwägungen. Eine geförderte Mietwohnung ist im Schnitt um rd. 280 Euro/Monat billiger als eine freifinanzierte. Gehen die Förderungsmittel wie aktuell zurück, können weniger erschwingliche Mietwohnungen errichtet werden. Leistbare Mietwohnungen, die gerade jetzt von den unteren und mittleren Einkommensschichten immer stärker nachgefragt werden. 70 Prozent aller nach 1945 errichteten Wohnungen wurden gefördert errichtet, im Mietsektor beträgt der Anteil 75 Prozent. Wohnbauförderung ist daher zur Deckung des Wohnungsbedarfs unabdingbar. Aber nicht nur das: Von ihr gehen auch erhebliche Entlastungseffekte für die Haushalte von jährlich 1,5 Mrd. Euro aus. Durch die Förderung von Miet- und Eigentumswohnungen, Gewährung von Wohnbeihilfen und die Energieeinsparung nach Sanierung werden so zusätzliche Mittel für den privaten Konsum freigespielt. Hinzu kommen die hohen volkswirtschaftlichen Multiplikatoreffekte: Die jährlich 1,4 Mrd. Euro produktiv eingesetzten Wohnbauförderungsmittel lösen ein Investitionsvolumen von insgesamt 6,5 Mrd. Euro aus und durch den geförderten Wohnbau werden jährlich rd. 100.000 Arbeitsplätze im Bau- und Baunebengewerbe gesichert. Zusätzliche Investitionen in den geförderten Wohnbau wären daher gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders sinnvoll. Und nicht zu vergessen die ökologischen Vorteile: Durch den schon üblichen Niedrigenergiestandard sowie die enormen Energieeinsparungen durch die thermische Sanierung trägt das geförderte Wohnbausegment maßgeblich zu den angepeilten Klimaschutzzielen bei. Wer kann bei all den Fakten noch an der Wohnbauförderung österreichischer Provenienz zweifeln? Markus Sturm N 6|7 286 Plus/Minus Keinesfalls streichen, aber unbedingt ändern! Bau und Aufwertung von Wohnraum zu subventionieren und das Wohnungspreisniveau dadurch zu regulieren ist sozialpolitisch richtig und wertvoll - selbst wenn sich die Wohnbauförderung zunehmend zur Mittelstandsförderung entwickelt hat. Auch im Sinne einer nachhaltigen Raumordnungs- und Verkehrspolitik darf es sich der Staat etwas kosten lassen, damit gerade in den Agglomerationen auf knappem, teurem Boden qualitätvoller Wohnraum in kompakter Form entsteht. Zur Debatte sollte also nicht die Förderung an sich, sondern ihre Handhabung und Stoßrichtung stehen. Denn mangels Bindung an raumplanerische und städtebauliche Qualitätskriterien trug sie in den letzten Jahrzehnten massiv zu Suburbanisierung und Zersiedlung bei. Die Förderpolitik unterscheidet kaum zwischen einem freistehenden Einfamilienhaus auf 1.000 m2 Grund, fernab jeglicher Infrastruktur, und einem Reihenhaus auf 250 m2 in zentraler Lage. Eine nennenswerte Ausnahme stellt Tirol dar, dessen Wohnbauförderung eine bodensparende Siedlungsentwicklung klar bevorrangt. Ziel müsste es österreichweit sein, freistehende Einfamilienhäuser gar nicht mehr zu fördern, da es sich hierbei - allein wegen der Erschließungskosten - um die volkswirtschaftlich teuerste Wohnform handelt, die zudem ohnehin auf meist billigem Grund entsteht. Jede weitere Subvention verstärkt die finanzielle Bevorzugung dieser ineffizienten Bebauungsform. Wiewohl auch in den Städten die Praxis der Förderung zu überdenken ist, zumal diese - etwa in Wien - die unsäglichsten Wohnbau- und Stadtentwicklungsprojekte der letzten 20 Jahre maßgeblich mit ermöglicht hat (Wienerberg City, Monte Laa, Gasometer City, Wohnpark Alte Donau ...) - was die bisherigen Qualifizierungsinstrumente für die Fördermittelvergabe infrage stellt. So lange Österreichs Wohnbaupolitiker jedweder Couleur Steuermittel im Verein mit parteinahen Wohnbaugesellschaften und amikal verbundenen Architekten nach eigenem Gutdünken vergeben dürfen, wird sich daran aber wenig ändern. Reinhard Seiß N

7
Digitalisierung Die Jahrhunderte währende Entgegensetzung von Geist und Materie wurde von der Kybernetik zusammengeführt. Rückblickend ist es verwunderlich, wie lange das gedauert hat. Seit Jahrhunderten trägt jeder Mensch einen Schlüssel in der Tasche. Und mit diesem Alltagsgegenstand eine Art Prototyp für die Lösung des Geist-MaterieDualismus. Denn ein Schlüssel ist ein materielles Ding, dessen Form ausschließlich dem Fixieren und Übertragen einer Information dient. Die Zacken stehen in keinem abbildenden Verhältnis zu dem Ort, zu dem sie Zugang gewähren, sondern sind Träger eines willkürlichen Codes, der nur vom Schloss dechiffriert werden kann. Der Schlüssel ist informierte Materie oder auch materialisierte Information, ein proto-digitaler Datenträger. Diese geistig-materielle Doublette trugen wir immer schon mit uns herum, doch erst mit der Verbreitung des Computers lernten wir zu verstehen, dass Information ohne materiellen Träger nicht existieren kann und dass wir umgekehrt ohne Information nicht wüssten, was Materie ist. Wolfgang Pauser N Dead Drops von Aram Bartholl courtesy of [dAM] Berlin Die ersten fünf UsB-Speicher verbaute Aram Bartholl im Oktober 2010, mittlerweile wuchs das Projekt durch unzählige Helfer zu einem weltweiten Offline-Netzwerk heran. Die Standorte und nähere Informationen zu diesem Projekt sind auf deaddrops.com zu finden.

8
Romantische Roboter | Die Welt wird digitaler, die Maschinen werden menschlicher Robert Trappl im Interview Das von ihm gegründete Austrian Research Institute for Artificial Intelligence ist im Wiener Schottenstift untergebracht. Als "Papst der Computerwissenschaften" will Robert Trappl nicht bezeichnet werden - zu sehr ist er dem Denken der Aufklärung verpflichtet. konstruktiv-Redakteur Wolfgang Pauser traf den 2007 emeritierten Pionier der Kybernetik an seinem Arbeitsplatz zum Gespräch. Von "Ruhestand" war dort nichts zu bemerken. Pauser: Was bedeutet "digital"? Trappl: Erstens einmal: auf Finger bezogen, vom lateinischen "digitus", das ist ein wichtiger Hinweis für mich. Und dann hat es Bedeutung im Gegensatz zu "analog". Zwar weiß man, dass die Welt quantisiert ist und daher in Wirklichkeit "digital". Aber wir erleben sie analog, obwohl wir in unseren Sinnesorganen die Verarbeitung der Reize dann wieder diskretisieren, also in digitale Signale, in Aktionspotenziale umwandeln müssen. P Heinz von Foerster hat darauf hingewiesen, dass das Nervensystem ebenso wie der Computer nur zwei Zustände, also Ein- und Ausschalten einer elektrischen Leitung, haben kann. Sodass, auch wenn wir nicht wissen, was im Gehirn letztlich stattfindet, eines ganz sicher ist: Die Leitung der Sinnesreize zum Gehirn erfolgt auf digitale Art, in Binärcodes. Am Beispiel der Schallplatte wird ja im Lebensalltag der Unterschied von analog und digital so aufgefasst, dass die Digitalisierung einen mehr oder weniger groben Raster über die kontinuierliche Wirklichkeit legt und dass uns dabei irgendwas an Wirklichkeitsbezug verloren ginge. Bei den Schallplatten ist das ja auch so, dass sie die Kontinuität der Schallwelle exakter übertragen als ein mp3-Format, das einen gröberen Raster darüberlegt. In unserem Alltagsverständnis ziehen wir aus diesem Beispiel oft den erkenntnistheoretisch falschen Schluss, wir hätten natürlicherweise eine analoge Beziehung zur Außenwelt. Die Kybernetik, insbesondere der Konstruktivismus belehren uns jedoch eines Besseren: Menschliche Erkenntnis ist immer schon digital! Wenn das so ist, erhebt sich die Frage, was dann überhaupt "analog" genannt werden kann? Ist "analog" eine digitale Konstruktion? Vielleicht sogar nur eine Illusion? T Alles, was wir auf der Welt haben, ist natürlich diskontinuierlich. Wir wissen, dass wenn wir etwas berühren, es aus einer Anzahl von Atomen oder Molekülen besteht, und das ist eine Zahl. Die Informationsübertragung im Zentralnervensystem ist eine digitale, besser gesagt eine diskrete. In der Wirklichkeit haben wir so viele einzelne Elemente, dass es gar keinen Sinn machen würde, ein Nervensystem zu konstruieren, das alle berücksichtigt. Und das tun wir ja auch nicht. Es ist zweckmäßig, dass wir fast alles analog erleben. Wir haben aber natürlich auch diskrete Dinge. In diesem Raum steht eine abzählbare Zahl von Sesseln, und es ist sinnvoll, dass wir in diesem Bereich diskret vorgehen, dass wir digitalisieren. Wenn ich aber einen Sessel aufhebe, dann würde es wenig Sinn ergeben, die Anzahl der Moleküle zu wissen, die in diesem Sessel sind. Dazu sind wir ja auch nicht in der Lage. Es gibt ja viele Untersuchungen über Reizschwellen und Unterschiedsschwellen. Diese lassen uns nur eine beschränkte Anzahl von Differenzen bemerken. Sie sind unterschiedlich je nach Sinnesqualitäten. Beim Gewicht ist unser Unterscheidungsvermögen relativ grob. Wir müssen ca. 1/30 der Masse hinzufügen, damit wir einen deutlichen Unterschied merken. Im optischen und akustischen Bereich sind wir viel sensibler. P Für unsere Vorstellung von einer Schallplatte, die als das analoge Ding schlechthin gilt, bedeutet das, dass sie ein Ergebnis der Reduktion von Überkomplexität ist, wie sie für die Praxis der Wahrnehmung unerlässlich ist. Aber eben doch eine digitale Konstruktion. T Im Prinzip müssten wir ansonsten feststellen, wie viele Luftmoleküle gegen unser Ohr prasseln, und das würde wenig bringen. P Und den musikalischen Reiz nicht wesentlich erhöhen. Der Begriff Digitalisierung im engsten Sinne meint ja das Scannen analoger Medien, um sie in digitale Medien zu verwandeln. Daneben gibt es aber auch noch einen metaphorisch erweiterten Begriff, wo etwa von Digitalisierung der Lebenswelt, der Alltagskultur, der Gesellschaft gesprochen wird. Was bedeutet Digitalisierung für Sie persönlich? T Für mich bedeutet sie Annehmlichkeiten. Ich schätze sehr, dass ich durch die Digitalisierung und noch mehr durch die Miniaturisierung ein System mit mir herumtragen kann, das früher nur in einigen Lastwagen bewegt werden hätte können. Sie haben mp3 angesprochen und das Problem der Datenkompression. Die Rohdaten sind ja in vielen Fällen so umfangreich! Vielleicht wird sich das auch wieder geben, denn jetzt haben wir ja riesige Speichermedien zur Verfügung. Gleichzeitig ändert sich auch unsere Wahrnehmung. Es gibt Untersuchungen aus den usa, wo man Personen die Rohdaten, also die nicht komprimierten Musikstücke vorgespielt hat und zum Vergleich solche mit mp3-Kompression. Vor allem die jüngere Generation hat die mp3-Kompression als die bessere empfunden. Also könnte es durchaus sein, dass wenn wir eines Tages im Wald gehen und Vögel zwitschern hören und Äste knacken, dass wir uns denken: "Na, das hört sich aber sehr unnatürlich an." Romantische Roboter

9
P Schrecklich analog! T Ja, wir kennen das nur von mp3 und das ist die neue Natur von uns. Wenn Sie Fotos machen, können Sie sich schon entscheiden, ob Sie die im Rohformat oder komprimiert speichern wollen. Man kommt da schon wieder zurück zur Natur, und zwar zu digitalisierter Natur. Schließlich hat auch unser Auge kein Kontinuum von Rezeptoren, sondern einzelne, die man abzählen kann. P Noch vor etwa 100 Jahren wurde die Welt aufgegliedert in diejenigen Wissenschaften, die sich mit den materiell "ausgedehnten Dingen", den "res extensa", befassen, und in die Geisteswissenschaften, die von all dem handeln, was gleichsam mehr gespenstermäßig mit wenig Materialität auskommt. Diese metaphysische Tradition lebt im Alltagsverständnis fort, obwohl sie wissenschaftlich schon lange obsolet ist. Sind Sie jemand, der sich aus einer technischen Tradition des Maschinenbaus heraus in den Bereich der künstlichen Intelligenz hinein bewegt hat? Und sich damit dem angenähert hat, was man früher "das Geistige" genannt hat? Obwohl Sie mit Maschinen arbeiten, ist man versucht, Sie einen Geisteswissenschaftler zu nennen. Oder muss man die Differenz zwischen ausgedehnten und geistigen Dingen gerade aufgrund der Kybernetik endgültig über Bord werfen? T Es ist kein Zufall, dass es an den Universitäten keine geisteswissenschaftlichen Fakultäten mehr gibt, sondern dass man Kulturwissenschaften und Sozialwissenschaften als Überbegriffe geprägt hat. Die Artificial-Intelligence-Forschung ist etwa Mitte der 90er-Jahre draufgekommen, dass wir zu sehr auf der Intelligenz herumgeritten sind und den emotionalen Bereich vernachlässigt haben. Inzwischen wissen wir, dass Rationalität und Emotionalität nicht Gegensätze sind, sondern einander bedingen. Auch den sozialen Aspekt haben wir erst spät entdeckt. Das gegenseitige Engagement ist von entscheidender Wichtigkeit. Wir nähern uns langsam dem, was man als das Menschliche bezeichnen könnte. P Wie war Ihr Weg von der Vision intelligenter Maschinen zu einer mehr anwendungsorientierten Forschung, etwa im medizinischen Bereich? Sie wollen offensichtlich nicht den Menschen ersetzen, sondern ihn unterstützen. Das ist ja ein Unterschied. T Ich komme ursprünglich von der Elektrotechnik her, wobei mich besonders die Mathematik interessiert hat. Daneben habe ich mit Psychologie begonnen und dort auch dissertiert, mit einer sehr mathematisch orientierten psycho-physikalischen Arbeit. Ich war dann zehn Jahre an einem Institut für Sinnes- und Neurophysiologie tätig. Dabei hat mich der Aspekt der Kybernetik besonders interessiert. Darüber habe ich dann auch Vorlesungen gehalten und in einem amerikanischen Verlag das Buch "Cybernetics: Theories and Applications" herausgegeben. Auf meinem Weg wurde mir immer klarer: Ja, das alles kann man doch eigentlich verbinden. Auf der einen Seite unser fragmentarisches Wissen über die menschliche Psyche, auf der anderen Seite unser neurophysiologisches Wissen und schließlich die Modelliermöglichkeiten des Computers, die Theorien der Kybernetik. Das ist zusammengewachsen und eigentlich war es immer dasselbe. Mich hat fasziniert, dass das, was die menschliche Psyche ausmacht, der einzige "Gegenstand" auf der Welt ist, bei dem es vier Zugangsmöglichkeiten gibt. Erstens die Introspektion, die, wie wir wissen, sehr oft falsch ist, die aber immerhin zu wunderbaren Werken der Literatur, der Musik, der Malerei geführt hat und die wir ja auch ständig verwenden. Wir sind ja sehr oft introspektiv, wir haben eine "First-person-Position", indem wir unser Bewusstsein haben. Zweitens haben wir die Verhaltensbeobachtung, wir machen ja ständig Modelle, nicht nur über die Welt, sondern auch über andere Personen, und diese machen wieder Modelle von uns, ohne dass sie introspektiv wissen, was wirklich in uns vorgeht (was wir ja selber auch nur fragmentarisch wissen). Zu diesen beiden Möglichkeiten des Zugangs kommt drittens hinzu die Hirnforschung, die durch bildgebende Verfahren und Markierungsmöglichkeiten immer größeres Wissen über das Zentralnervensystem liefert. Und als vierten Zugang haben wir jetzt plötzlich die Modellierungsmöglichkeiten. Wir können versuchen, dieses gesamte Wissen abzubilden. Die genannten vier Aspekte müssen freilich am Ende konvergieren, da es sich um denselben Gegenstand handelt, die menschliche Psyche. P Die Jahrhunderte währende Entgegensetzung von Geist und Materie wurde von der Kybernetik zusammengeführt. Rückblickend ist es verwunderlich, wie lange das gedauert hat. Seit Jahrhunderten trägt jeder Mensch einen Schlüssel in der Tasche. Und mit diesem Alltagsgegenstand eine Art Prototyp für die Lösung des GeistMaterie-Dualismus. Denn ein Schlüssel ist ein materielles Ding, dessen Form ausschließlich dem Fixieren und Übertragen einer Information dient. Die Zacken stehen in keinem abbildenden Verhältnis zu dem Ort, zu dem sie Zugang gewähren, sondern sind Träger eines willkürlichen Codes, der nur vom Schloss dechiffriert werden kann. Der Schlüssel ist informierte Materie oder auch materialisierte Information, Romantische Roboter

10
ein proto-digitaler Datenträger. Diese geistigmaterielle Doublette trugen wir immer schon mit uns herum, doch erst mit der Verbreitung des Computers lernten wir zu verstehen, dass Information ohne materiellen Träger nicht existieren kann und dass wir umgekehrt ohne Information nicht wüssten, was Materie ist. Dass es sich um zwei Seiten derselben Medaille handelt, sickert dank Kybernetik und Computerkultur langsam ins Alltagsbewusstsein ein. T Ja, aber es gibt doch ein Phänomen, das mich verblüfft, mit dem ich nie gerechnet hätte. Das neuerliche Aufleben von Religionen. Bis hin zu kriegerischen und inhumanen Radikalisierungen. Das ist so ein unglaublicher Rückfall in Zeiten vor der Aufklärung. P In der Mitte des vorigen Jahrhunderts war Wissenschaft noch über den technischen Fortschrittsglauben mit der Dimension Hoffnung im Sinne eines Erlösungsversprechens verbunden. Rationalität und Hoffnung gingen Hand in Hand. Die Aufklärung hat einen Weg genommen, der die tröstlichen Dimensionen, die Hoffnungs- und Sinndimensionen ihrem eigenen Programm gemäß immer mehr kassiert hat. Auch die Kybernetik leistet einen nicht unwesentlichen Beitrag zur großen Entzauberung der Welt, vor allem des Menschen selber, der in der Perspektive einer Simulierbarkeit durch Maschinen das Maschinenhafte an sich selbst entdeckte. Das war ein großer Schritt zur Selbsterkenntnis, weil Erkenntnis immer auch Regelhaftigkeit und damit Maschinenhaftigkeit impliziert. Ihre Forschung ist in gewisser Weise ja auch ein Spitzenprodukt der Aufklärung. Für manche Zeitgenossen an Ent-Täuschung offenbar zu viel. Ist es nicht unerträglich, so aufgeklärt zu sein, wie Sie es am Ende Ihrer Forschungen sein müssen? T Überhaupt nicht. Ich bin unverändert fasziniert von den Entdeckungen, die wir da machen. Und glaube nach wie vor, dass es sehr sinnvolle, für Menschen nützliche Anwendungen gibt. Ich bin mir bewusst, dass wir manchmal Forschungen machen, von denen wir nicht genau wissen, wo sie hinführen. Ob wir, wenn wir Roboter mit Persönlichkeit bauen, die uns immer ähnlicher werden, irgendwann damit aufhören werden oder immer weitermachen. Wir wissen nicht, ob unsere Urenkel uns einmal dankbar sein werden, dass sie von so vielen maschinellen Sklaven umgeben sind, sodass sie ein Leben wie die alten Griechen führen können, der Philosophie gewidmet und gescheiten Gesprächen, und dabei auch noch ein gutes Gewissen haben können, weil nach der Aufklärung es schwierig ist mit menschlichen Sklaven, hoffe ich zumindest. Oder ob sie uns verfluchen werden dafür, dass wir den Geist oder den Ungeist aus der Flasche gelassen haben, während sie die Folgen zu tragen haben. Das wissen wir nicht, aber das beschäftigt uns. P Sie arbeiten speziell an der Übersetzung zwischen Mensch und Maschine, mit der Anschlussfähigkeit. Was sind Perspektiven einer besseren Interaktion? T Ein ganz wichtiger Punkt ist die Sprache. Da gibt es starke Fortschritte, aber das alles hat viel, viel länger gedauert, als man gedacht hat. Das Gleiche gilt für den visuellen Bereich. Es ist überraschend, dass ein Computerprogramm einen Schachweltmeister schlägt, aber es keinen Roboter gibt, der unter Gerümpel im Nebenzimmer ein Schachbrett findet. Aber auch bei diesen Aufgabenstellungen geht es voran, seit man nicht mehr bloß die Schallwellen analysiert. Oder die von der Kamera gelieferten Pixelmuster daraufhin untersucht, wo die Kanten verlaufen. Ich habe ja ein Vorwissen! Beispielsweise wenn ich ein Gespräch führe, habe ich ein Vorwissen, was der Inhalt ist. Ich kann mir denken, was wohl für Fragen kommen werden. Das macht Verstehen leichter. Hinzu kommt noch etwas, woran man früher nie gedacht hat. Wir haben ungeheuer viele Quellen zur Verfügung im Internet. Die helfen z. B. Übersetzungsprogrammen, die selbstständig nach Sätzen suchen und vergleichen, wie diese schon einmal übersetzt wurden. Wenn man gleichzeitig ein Überwissen über die Domäne hat, wenn man semantische Netze hat, die eine Begriffsstruktur, eine Ontologie vermitteln, und ich sehe noch dazu, was ist wo und wie übersetzt worden oder was ist irgendwo geredet worden, dann ist das eine enorme Hilfe. Solche Zugriffe hat es vor zwanzig Jahren nicht gegeben, damals gab es Thesauren und Sammlungen, aber das waren vielleicht zehntausend und nicht Millionen. Da gibt es einen quantitativen und damit auch qualitativen Sprung. Was wir zunehmend erforschen, ist, was Interaktionen für andere Menschen attraktiv macht. Und was passiert, wenn mehrere Menschen zusammen sind. Was zum Beispiel sind die Strategien des "turn takings": Wann kann ich mir selbst das Wort erteilen, ohne dass mich jemand fragt: "Was meinst du dazu?" Das fällt Maschinen noch schwer. In der Zusammenarbeit mit Sozialpsychologen werden da Fortschritte gemacht. Hin zum Roboter als Partner am Arbeitsplatz, der danebensitzt, zuschaut, wie ich etwas mache, lernt und mit dem ich zusammenarbeiten kann. Dadurch lernen auch wir etwas. P Programme fließen auf verschiedene Weisen in die Arbeitswelt ein, auch in der Architektur. Nicht nur ins Zeichnen der Baupläne, sondern da gibt es auch Entwurfsprogramme, wo die 10 | 11 Romantische Roboter

11
Maschine den schöpferischen Akt übernimmt, nämlich selbst Vorschläge unterbreitet. Wie weit wird diese Entwicklung des Einfließens einer überholenden Intelligenz in den Arbeitsprozess gehen? T Sehr schwierig zu sagen. Was ich erlebt habe, mehrmals, ist Verweigerung. Entscheidungsträger haben gute Vorschläge abgelehnt, weil sie befürchteten, selbst überflüssig oder in ihrer Kompetenz relativiert zu werden. P Ich habe in Wikipedia eine Liste der etwa zwanzig bedeutendsten Kybernetiker gefunden und da sind mir zwei Österreicher ins Auge gestochen, nämlich Heinz von Foerster und Sie. T Ach so? Echt? Ich fühle mich geschmeichelt. Gut, dass sich der Heinz von Foerster nicht mehr wehren kann. P Cherry Turkle hat einmal geschrieben, die Erfindung des Cyberspace war die Abbildung des Papierkorbes auf dem Apple Desktop, weil ein Papierkorb eine räumliche Vorstellung ist. Das Wort Cyberspace hört man ja nicht mehr so oft, aber es war eine Leitidee im vorigen Jahrhundert. Aus der metaphysischen Tradition heraus hat man gedacht: Alles vor dem Bildschirm ist die Realität, und da irgendwo drinnen in dieser Box hinter dem Bildschirm tut sich ein unendlicher Raum auf, ähnlich dem Weltraum, das ist der Cyberspace. Diesen hat man nicht zur Realität gezählt, der galt als Himmel oder Geisterreich und daher auch als rechtsfreier Raum. Aber dieses Bild funktioniert jetzt nicht mehr. Derzeit sickert das Digitale aus dem Geisterreich herein in unser Alltagsleben. Indem unsere materielle Dingwelt sich digitalisiert, ist sie überall von selbstständigen Geistern bewohnt, die wir früher nur hinter dem Bildschirm vermuteten. Die Scheidung von zwei Welten funktioniert nicht mehr. T Vielleicht auch weil man den Zugang zum Cyberspace jetzt in der Hosentasche herumträgt, der Bildschirm beweglich ist und nicht mehr so ein Ding. Wie bei Gibsons Newromancer, wo die Leute noch versuchen, in den Bildschirm hineinzugreifen. Und dahinter ist nichts. P Die Erfindung des Flachbildschirms ist vielleicht einer der größten Metaphysikverluste der Geschichte, weil damit der Projektionsraum abhandengekommen ist. Die Aufklärung wollte ja immer schon sagen, dahinter ist nichts. Dank Flachbildschirm ist das einsichtiger geworden. Sie beschäftigen sich mit intelligenten autonomen Softwareagenten. Was kann sich ein Laie darunter vorstellen? T Das ist ein Computerprogramm, das bestimmte Zielsetzungen verfolgt und dabei mit der Außenwelt in Interaktion treten kann. Aber diese Außenwelt ist eben auch eine virtuelle, das sind "bit streams". Ein solches Programm kann Informationen aufnehmen und Aktionen setzen, indem es wieder irgendwelche bit streams abgibt. Solche intelligenten Softwareagenten kann man zum Beispiel für virtuelle Akteure in einem Computerspiel verwenden. Ziel ist ein Roboter, der von einem intelligenten, emotionalen und sozialen Softwareagenten gesteuert wird. Agent bedeutet einfach, er ist aktiv. Das ist nicht ein Programm, das ruht, und man drückt drauf oder man gibt Infos ein und dann läuft etwas ab. Ein Agent kann Prioritäten setzen, aus Aktionen auswählen, kann sehr rasch reagieren, wenn Gefahr droht. Je komplexer, umso menschlicher wird es. Die Zielsetzung sollte aber schon vom Menschen vorgegeben werden. P Sie beschäftigen sich auch mit der Vermeidung von Krisen und Kriegen. T Ich habe 2006 ein Buch herausgebracht, "programming for peace. computer aided methods for international conflict resolution and prevention". Die Reaktion war null. Niemand will da irgendwelche Unterstützungen haben, zumindest in Europa. P In Hollywoodfilmen sind Roboter meist kriegerische, eiskalt rationale Wesen. Die von Ihnen entworfenen Maschinen beziehen Emotionalität und soziale Empathie ein, daraus ergeben sich offenbar eher friedliebende Maschinen. Und die scheitern dann am Menschen. T Ich bin neugierig, wie die Entwicklung weitergeht. Es hat geheißen, die amerikanischen Streitkräfte planen bis 2020 ein Drittel der Soldaten durch Roboter zu ersetzen. P Für Kriegsroboter ist offenbar mehr Budget da als für Friedensagenten. Können wir uns zumindest die Trapplschen Roboter als mitfühlende Roboter vorstellen? T Ich hoffe, ich hoffe! N Romantische Roboter

12
Mit allen Mitteln - analoge / digitale Versuchsanordnungen | Forschungs- und Lehrpraxis dreier Architekturschulen Sebastian Jobst, Redaktion KONstruktiv, im Dialog mit: Richard Dank (* 1975 Graz) Studium der Architektur an der TU Graz, arbeitet gegenwärtig selbstständig als richdank.com, des Weiteren als Partner der Architekturkollaboratur 0704 und lehrt/forscht als Universitätsassistent am Institut für Architektur und Medien. Das Verflechten von Kunst und Architektur mit den Mitteln der Digitalen Medien ist sein zentrales Tätigkeitsfeld. Vom 29. März bis 11. Mai war im Haus der Architektur Graz (hda) eine Ausstellung zur wechselseitigen Durchdringung digitaler und analoger Prozesse in zeitgenössischer Architekturlehre zu sehen. Marjan Colletti, seit letztem Jahr Senior Lecturer an der Bartlett School of Architecture und seit Anfang dieses Jahres Professor am Institut für Experimentellen Hochbau an der Universität Innsbruck, Urs Hirschberg/Richard Dank vom Institut für Architektur und Medien an der Technischen Universität Graz und Wolfgang Tschapeller, seit diesem Jahr Vorstand des Instituts für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und international tätiger Architekt, zeigten anhand von ausgewählten Projekten Studierender unterschiedliche Ansätze, Methoden und Taktiken der Verflechtung digitaler und physischer Realitäten auf. Sehr schnell wird dabei klar, dass es sich bei dem Thema um ein vielschichtiges und komplexes Feld handelt, denn der Einzug computergestützter Tools in die Sphäre der Architektur seit den frühen 1960er-Jahren vereinfachte Prozesse nicht nur, sondern veränderte sie zum Teil grundlegend. "Augmented Architecture", das Leitmotiv des Instituts für Architektur und Medien der tu Graz, macht die Veränderungen augenscheinlich, Simulations-, Planungs- und Gestaltungstools eröffnen völlig neue Entwurfsmethoden, digitale Fabrikationstechniken wie etwa Computer Aided Manufacturing lassen Gestalter auf die Umsetzung der Entwürfe unmittelbarer Einfluss nehmen, während Sensoren und interaktive Elemente zusehends alle Bereiche unserer gebauten Umwelt durchdringen. Diese Entwicklungen haben die strikte Trennung zwischen Simulation/Virtual Reality und physischem Raum durchbrochen und münden in hybriden Architekturpraktiken. arc(2)himera, ein Forschungsprojekt Marjan Collettis mit Studierenden einer Masterunit, veranschaulicht dies besonders Marjan Colletti (* 1972 Bozen) Studium der Architektur an der Universität Innsbruck, MPhil/ PhD in Digital Architectural Design and Theory an der Bartlett School of Architecture, University College London (UCL). Er ist seit 2012 Professor für Hochbau und Konstruktives Entwerfen am Institut für Experimentelle Architektur in Innsbruck, seit 2000 assoziierter Professor/Senior Lecturer für Architektur an der Bartlett School of Architecture, UCL in London und Ko-Gründer des Londoner Ateliers marcosandmarjan. Wolfgang Tschapeller (* 1956 Dölsach) Nach seiner Ausbildung zum Tischler studierte er an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und an der Cornell University in Ithaca, N.Y. Seit 2005 ist er Professor für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und seit 2012 Vorstand des Instituts für Kunst und Architektur. Er unterrichtete als Gastprofessor u. a. an der Cornell University Ithaca, N.Y., der Kunstuniversität Linz und der State University of New York in Buffalo. eindringlich. In einem automatisiert gefertigten Modell basierend auf computergestützten Entwürfen treffen biomorphe auf technoide Formen und Funktionen. Diese "monströse" Struktur, wie sie Colletti selbst bezeichnet, legt Analogien zu Haut, biologischer Anatomie und Wachstum, aber auch Elemente aus der Robotik, interaktives Mediendesign und die Integration von Sensoren an den Tag. Diese Herangehensweise versteht Colletti als "New Materialism", einen Materialismus, der untrennbar mit dem eigenen digitalen Doppelleben verwoben ist. Der Forderung nach einer zeitgenössischen Architektur kann man nur unter Zuhilfenahme aller Mittel gerecht werden. In einer Zeit, in der digitale Prozesse und vor allem Netze zusehends individualisiert beziehungsweise physische Strukturen von virtuellen Ebenen überlagert werden, ist digital/ analoge Architektur längst zur Realität geworden. Die Arbeiten von Studierenden der Plattform adp, geleitet von Wolfgang Tschapeller, veranschaulichen das anhand von Bestandsaufnahmen, Sondierungen und Analysen bestehender Gebäude und zeigen, dass diese Strukturen mehr als statische Hüllen sind. Automatisierte Prozesse, die gewöhnlich im Verborgenen der Gebäude ablaufen, werden sichtbar gemacht und lassen uns verstehen, dass Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Flughäfen schon längst zu architektonischen Maschinen geworden sind. So scheint laut Tschapellers Forschungs- und Lehransatz die Loslösung der Architektur vom Festkörper eine logische Konsequenz zu sein. 12 | 13 Mit allen Mitteln - analoge | digitale Versuchsanordnungen The Framed Pavilion, 2012Sabine Lehner; Master Design StudioBetreuer: Richard Dank, Christian Freißling, Urs HirschbergFoto: thomasraggam.com The Framed Pavilion, 2012Sabine Lehner; Master Design StudioBetreuer: Richard Dank, Christian Freißling, Urs HirschbergFoto: thomasraggam.com Foto: thomasraggam.com Foto: thomasraggam.com Der malende RoboterTU GrazFoto: thomasraggam.com aRC(2)himera, 2012Yifan Tian, Minsi Hu, Le Zhai, Jingyi Zhou, Jing Shen, Liang Cao, Muhammad Hissaan Awaiz, Sahar Navabakhsh, Camilo Andres Aragon Arevalo; Adamantia Keki, Sydney Züllig, Vasileios Chlorokostas, Master Studio ProgrammeTeachers: Marjan Colletti, Guan Lee, Tea LimConsultants: Pavlos Fereos, Nahed Jawad, Niccolo Casas, Richard BeckettFoto: thomasraggam.com aRC(2)himera, 2012Yifan Tian, Minsi Hu, Le Zhai, Jingyi Zhou, Jing Shen, Liang Cao, Muhammad Hissaan Awaiz, Sahar Navabakhsh, Camilo Andres Aragon Arevalo; Adamantia Keki, Sydney Züllig, Vasileios Chlorokostas, Master Studio ProgrammeTeachers: Marjan Colletti, Guan Lee, Tea LimConsultants: Pavlos Fereos, Nahed Jawad, Niccolo Casas, Richard BeckettFoto: thomasraggam.com aRC(2)himera, 2012Yifan Tian, Minsi Hu, Le Zhai, Jingyi Zhou, Jing Shen, Liang Cao, Muhammad Hissaan Awaiz, Sahar Navabakhsh, Camilo Andres Aragon Arevalo; Adamantia Keki, Sydney Züllig, Vasileios Chlorokostas, Master Studio ProgrammeTeachers: Marjan Colletti, Guan Lee, Tea LimConsultants: Pavlos Fereos, Nahed Jawad, Niccolo Casas, Richard BeckettFoto: thomasraggam.com aRC(2)himera, 2012Yifan Tian, Minsi Hu, Le Zhai, Jingyi Zhou, Jing Shen, Liang Cao, Muhammad Hissaan Awaiz, Sahar Navabakhsh, Camilo Andres Aragon Arevalo; Adamantia Keki, Sydney Züllig, Vasileios Chlorokostas, Master Studio ProgrammeTeachers: Marjan Colletti, Guan Lee, Tea LimConsultants: Pavlos Fereos, Nahed Jawad, Niccolo Casas, Richard BeckettFoto: thomasraggam.com Electronic Topographies, 2010Peter Jellitsch; DiplomarbeitBetreuerIn: Nasrine Seraji, Wolfgang TschapellerFoto: thomasraggam.com Electronic Topographies, 2010Peter Jellitsch; DiplomarbeitBetreuerIn: Nasrine Seraji, Wolfgang TschapellerFoto: Antje Lehn Into the Blue, 2012Daniela Mitterberger; Masterprojekt ADP: Architectural KnowledgeBetreuer: Wolfgang TschapellerFoto: thomasraggam.com Into the Blue, 2012Daniela Mitterberger; Masterprojekt ADP: Architectural KnowledgeBetreuer: Wolfgang TschapellerFoto: thomasraggam.com Kleinbehältertransportanlage, 2011Clemens Hasler; Masterprojekt ADP: ?Big! Bad? Modern:?Betreuer: Werner Skvara, Wolfgang TschapellerFoto: Antje Lehn

13
"Mit allen Mitteln" lautete der Titel der Ausstellung im hdA, deren Kurator Sie sind; gemeint waren damit vor allem Hybridisierungen digitaler und analoger Werkzeuge und Prozesse. Welcher Mittel bedienen Sie sich insbesondere in Ihrer Lehr- beziehungsweise Entwurfstätigkeit? Richard Dank Dem vermeintlichen Widerstreit zwischen analogen und digitalen Werkzeugen können wir am Institut für Architektur und Medien nicht viel abgewinnen. Wir sehen diese zwei oft hochgespielten Pole vielmehr als Entitäten ein und desselben Entwurfsprozesses. So müssen an der tu Graz bereits alle drittsemestrigen Studierenden, nachdem sie bereits im Jahr zuvor intensiv an analogen und digitalen Konstruktions- und Darstellungstechniken ausgebildet worden sind, verpflichtend den Kurs "Digitale Methoden der Gestaltung" belegen. In diesem werden sie nicht nur den Grundlagen des Programmierens ausgesetzt, sondern sie versuchen zusätzlich ihre algorithmisch entstehenden Kleinstentwürfe auch skizzenhaft zu verstehen, weiterzuent wickeln und zu dokumentieren. Für fortgeschrittenes Arbeiten am Rechner ist alphanumerischer Code jedoch unerlässlich. Abgesehen davon sekundiert das dafür notwendige Formalisieren von Ideen auch das Verfeinern der entscheidenden Entwurfsprämissen - egal ob man nur analog oder eben auch wirklich dem digitalen Medium entsprechend vorgeht. Dabei ist es natürlich auch wichtig, entscheiden zu lernen, wann eine Aufgabe nach einem parametrischen Setup verlangt und wann man damit den Rahmen sprengt. Marjan Colletti Eine Prämisse: Das Wichtigste in der Architektur ist Kommunikation. ArchitektInnen müssen imstande sein mit sich selbst zu kommunizieren (beim Entwurf und der Umsetzung einer Idee/Vision), mit Kollegen (der theoretische und praktische fachspezifische Diskurs innerhalb der Disziplin), mit der Gesellschaft (ein übergreifender Austausch von Bedeutungen und Inhalten) und eben auch mit Tools (z. B. digitale Technologien). Dementsprechend bedeutet Hybridisierung für mich zuallererst die Überlappung von Praxis und Theorie. Dies sowohl in meiner Entwurfs- als auch in meiner Lehrtätigkeit. Wenn man Architektur nicht nur als Baugewerbe versteht, muss man auch stets eine theoretische Auseinandersetzung mit sich selbst pflegen. Digitale Technologien waren und sind so unheimlich wichtig, weil sie zunächst eine nun jahrzehntelange theoretische Debatte über Architektur initiierten: Wie kann anders entworfen werden und warum? Erst jetzt ist es wirklich dazu gekommen, dass man sich sinnvoll die Fragen stellen kann, wie man anders bauen kann; denn die Industrie kann jetzt auch mitziehen. Wobei auch hier digitale Fabrikationsmethoden theoretisch hinterfragt werden sollen. Digitale Technologien können sowohl die praktische als auch theoretische Hinterfragung von Architektur steuern - und ergo: Kommunikation. Deshalb bediene ich mich solcher Technologien, v. a. 3D- und 4D-cad-Programme und gescripteter Tools. Die Benutzung von Rapid-Prototyping-Maschinerie, cad/cam (Computer Aided Design und Computer Aided Manufacturing)-Technologien, d. h. Laserschneiden, Wasserstrahlen, cnc (Computer numerisch gesteuerte)-Fräsen, Thermoformen und Industrierobotern implementiere ich konsequenterweise bewusst, aber auch ganz gelassen. Dass Hybridisierung nun auch die verwischten Grenzen zwischen digitalen und analogen Prozessen und Werkzeugen bedeutet, ist kein Wunder. Die virtuellen Media-Zeiten und die cyber worlds sind Vergangenheit. Wir reden nun von einer postdigitalen Ära, von Neo-Materialismus. Digitale Technologien können und werden die reale Welt verändern und verbessern. Man überlege nur, wie stark solche Technologien z. B. die Kommunikationsfähigkeiten vervielfacht haben. Wolfgang Tschapeller Mit allen Mitteln ist exakt die Situation, die wir wünschen: Mit allen Mitteln, mit Algorithmen und Strohhalmen, mit frei in Raum und Zeit flottierenden Datensätzen, mit Schraubenziehern und Zündhölzern, mit analogen, digitalen und digital fabrizierten Modellen, mit Bildern, Filmen und Sprache, von Wind verblasenen Sounds. Wir haben für diese Ausstellung einige exemplarische Projekte der letzten Jahre ausgewählt. Es sind Sondierungen, Kartografien oder Untersuchungen, die sich mit unserem Environment und mit uns selbst, wie wir funktionieren, beschäftigen. Wir untersuchen z. B: Radiowellen, z. B. einen trüben, schweifenden Blick einer Liegenden in einem Krankenhaus, wir konstruieren einen konzeptuellen Sturz durch eine leer stehende Universität, wir analysieren einen Filmausschnitt und bauen daraus ein Stadtmodell, wir visualisieren das interne Transportsystem eines Krankenhauses, Container in verschiedenen Formaten surren auf Schienen und Weichensystemen im freien Raum, oder wir analysieren die Organisation und Ökonomie von Oberflächengeometrien ... kurzum eine unzusammenhängende Sammlung von Prozessen und Ereignissen, die dem von Apollinaire formulierten Treffen von beziehungslosen Gegenständen auf einem Operationstisch ähnelt. Mit allen Mitteln - analoge / digitale Versuchsanordnungen

14
Wolfgang Tschapeller Gar nicht, wir sind noch immer auf Umlaufbahn und in Sonnennähe. Ich würde nicht sagen, dass sich die Position des Architekten ändert, ich würde vielmehr sagen, dass sich das Terrain, auf dem wir zu stehen meinen, und der Aggregatzustand unserer Umgebung, in der wir uns zu befinden meinen, drastisch ändern. Die in der Ausstellung gezeigte lose Sammlung von Untersuchungen liefert wertvolle Informationen über das veränderte Terrain und den veränderten Aggregatzustand von Architektur. Und sie versucht auch den veränderten Blick eines gänzlich veränderten Subjekts zu erkunden. "... I look to my left and I am in one city, I look at my right and I am in another. My friends in one can wave to my friends in the other through my having brought them together ...", formuliert Marcos Novak um 1991 in "Liquid Architecture". Worte, die aus dem Cyberspace gesprochen sind, das Terrain der Architektur wurde von der Erdoberfläche in den Cyberspace hinausgeschoben, der Aggregatzustand von Architektur verändert. Architektur ist kein Festkörper mehr, Architektur ist jetzt beweglich, veränderlich und flüssig. Sie kann überall sein, überall eindringen, auch in den, der formuliert, der schaut oder der sich in ihr befindet. Terrain, Aggregatzustand und das wahrnehmende Subjekt werden in einem inneren Monolog neu verknüpft. Sowohl im Erdenken und Planen von Strukturen als auch für deren Umsetzung stehen digitale Werkzeuge bereit, die Arbeitsprozesse nicht nur vereinfachen, sondern gänzlich neue Möglichkeiten eröffnen (z. B.: scripted design). Inwieweit verändert sich die Position des Architekten durch diese neuen Werkzeuge? Richard Dank Die neue Generation von Architekturschaffenden muss sich mit einer immer stärker differenzierten Baubranche auseinandersetzen. Aber bei aller Interdisziplinarität darf dabei nicht das Wesentliche aus der Hand gegeben werden - der substanzielle Entwurf des Gebäudes. Das wird zukünftig noch schwieriger werden, wenn wir ArchitektInnen nicht in der Lage sind, neue Medien, avancierte Geometrien, moderne Fertigungstechniken etc. zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten. In der Tat ist die Vereinfachung analoger Herangehensweisen durch die digitalen Möglichkeiten der unerheblichste Aspekt des Entwickelns von Architektur am Computer. (Wenngleich diese Grundlagen natürlich gelegt sein müssen.) Auch das Schaffen rein virtueller Realitäten interessiert unser Institut primär nur als künstlerische Gedankenexperimente. Wir arbeiten vornehmlich an algorithmischen Prozessen, die so nicht (!) analog reproduzierbar wären. Wir versuchen für das Informationszeitalter adäquate Prozesse, Strukturen und Räume zu entwickeln. Diese Entwurfsarbeit werden Softwarehersteller nicht leisten können. Das dürfen wir auch auf keinen Fall zulassen! Wir müssen die Gestaltung aktiv kontrollieren und es uns nicht auf den von der Industrie zur Verfügung gestellten Applikationen und Plugins bequem machen. Marjan Colletti Der Architekt war für Vitruvius ein "Kind von Theorie und Praxis". In der Renaissance hat sich dann die Architektur aus der Werkstätte "befreit" und sich in die Akademie platziert - als "mentale" Disziplin, die sich mit abstrakten Zeichen beschäftigt: design als di-segno (über Zeichen). Aber immer noch wurde mit mathesis und mythos getüftelt. Mit den neuen digitalen Technologien werden die Grenzen zwischen Zeichentisch und Werkstätte wieder unscharf. Man kann Zeichen entwerfen, die aber zugleich auch "Sachen" sind: Das ist richtige Magie (und Mathematik zugleich)! Die Zeichnung ist wirklich, und ganz direkt, die Protokollierung von Manufaktur: File-to-factory-Prozesse, die optimierte und einzigartige geometrische und formale Vielfalt zu branchenüblichen oder sogar geringeren Kosten erlauben. Steigende Komplexität bewirkt, dass die 2D-Zeichnung vom 3D-Modell ersetzt und dass 3D-Modelle mit codes und scripts augmentiert werden. Heutzutage sind ArchitektInnen meiner Meinung nach wiederum DemiurgInnen: Sie können neue Welten erfinden, aber auch selbst fabrizieren. Dies bedeutet, dass mit Building Information Modelling (bim) und der erweiterten Fähigkeit der architektonischen Zeichnung (im weitesten Sinn), Komplexität zu verwalten und kommunizieren, ArchitektInnen wiederum mehr (viel mehr) Kompetenz und Übersicht über ein Projekt haben. Alles wird anhand eines digitalen Modells gesteuert. 14 | 15 Mit allen Mitteln - analoge / digitale Versuchsanordnungen

15
Architektur kann auch als Konglomerat unterschiedlichster Disziplinen verstanden werden, sie gestaltet mehr als physische Hüllen. Ist die voranschreitende Verwebung der physischen mit der digitalen Welt auch als Erweiterung des Handlungsraums des Architekten zu verstehen? Unser Alltag ist beinahe unausweichlich von virtuellen Räumen und Strukturen durchzogen. Gilt es künftig, dies stärker in die Architektur mit einzubeziehen? Richard Dank Es gilt sehr wohl, alle zur Verfügung stehenden Mittel in den Architekturprozess mit einzubeziehen. Um genauer zu sein, scheint es für entsprechende Entwurfsaufgaben sogar angezeigt, eigene, neue Mittel selbst zu entwickeln! Damit ist nicht das Ausschließen anderer Disziplinen gemeint, sondern vielmehr das Verhindern von Informationsverlust zwischen Entwurf und Umsetzung. Sehen wir uns den üblichen Ablauf aktueller Architekturproduktion - auch bei Prestigeprojekten - etwas genauer an: Am Anfang steht vielleicht nur eine Idee, eine Skizze, ein haptisches Modell, welches dann von einem anderen Team im Optimalfall in 3D (oberflächlich) konstruiert wird. Dann kommen Statik, Fassadengeometrie, Detaillierung etc. ins Spiel. So entstehen oft parallel mannigfache Planungsgrundlagen, die dann wieder von anderen Gewerken umgesetzt und/oder für cnc-Maschinen vorbereitet werden sollen. Alle arbeiten mit unterschiedlichen Quellen auf unterschiedlichen Plattformen. Nicht nur, dass ein solches heterogenes System äußerst fehleranfällig ist. Mit jedem Zwischenschritt geht auch etwas des ursprünglichen Entwurfsgedankens verschüttet. Dabei ginge es auch heute schon ganz anders. Man muss einzig in der Lage sein, seine Ideen zu präzisieren und algorithmisch zu formulieren. Wenn man es schafft, aus einem von allen SpezialistInnen gemeinsam bearbeiteten, zentralen, parametrischen Modell alle Gebäudedaten, Pläne, Dokumentationen und z. B. auch direkt den Fräscode für den schlussendlich produzierenden Roboter erzeugen zu lassen, bleibt der gesamte Entwurf bis kurz vor der Produktion immer im Fluss und somit formbar. Ein Prototyp dafür wäre der im Studio geplante und gebaute Holzpavillon. Marjan Colletti Wie schon erwähnt, halte ich die Diskussion über virtuelle Räume und Strukturen für überholt. Unser Alltag ist von wirklichen Digitalwelten durchzogen: das Handy, das Netz, social networks, Designerartikel, die natürlich total digital entworfen und fabriziert wurden, Systeme, die Flugzeuge nicht zum Abstürzen bringen, das Hightech-Equipment im Krankenhaus, Ihr Urlaubsticket, Ihr Bankkonto und Sozialversicherung ... Mehr als multidisziplinär verstehe ich Architektur als interdisziplinär. Der Unterschied ist, dass im ersten Fall die Disziplin als schwach beschrieben wird - sie braucht die anderen Disziplinen um sich zu "beweisen" -, während sie im zweiten Fall sie als offen, dynamisch und weich verstanden wird - sie kann (falls es gewünscht ist) sich in andere Disziplinen infiltrieren. Trotzdem gibt es die Notwendigkeit zur Spezialisierung innerhalb des "klassischen" Territoriums der Architektur: Ob es sich dabei um konstruktivfassadentechnische Details, materialbezogene Fabrikationsmethoden oder algorithmische Modulsysteme handelt, ist persönliche Vorliebe. Aber: Das Gestalten physischer Hüllen ist für mich immer noch sehr wichtig und sehr schwierig. Es werden ja stets zu viele hässliche und dumme Gebäude entworfen und gebaut. Da helfen virtuelle Räume und Strukturen auch nicht wirklich ... Viele mögen Digitalität als Prozessdenken verkaufen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es geht immer noch - eigentlich immer mehr - um die Präsenz von Architektur. Da ist die ästhetische Offenheit digitaler tools einzigartig. Mancherlei Architektur könnte dann auch monströs ausfallen. Aber "Monster", wollte ich noch kurz klären, kommen ja aus dem Lateinischen monstrare (aufzeigen), welches wiederum monere (mahnen) beinhaltet. Wolfgang Tschapeller Architektur umfasst Werkzeuge und Verhalten, die nicht material- oder disziplingebunden sind. Architektur hat immer aus unterschiedlichsten Konsistenzen bestanden, z. B.: aus virtuellen, sozialen, politischen, physischen, reflektierenden, psychischen, vegetarischen oder allen anderen möglichen Konsistenzen. Die Verwebung von physischer und digitaler Welt hat ein äußerst produktives Terrain erzeugt, Neuland sozusagen, neue Flächen und Räume, die unser Sensorium herausfordern. Mit allen Mitteln - analoge / digitale Versuchsanordnungen

16
Der Mensch gestaltete seit seinen ersten Ursprüngen seine Umwelt, daraus resultierte eine Kulturlandschaft, die unseren eigentlichen Naturbegriff veränderte. Ist die Augmented Reality und in Folge Augmented Architecture die Fortführung dieser Entwicklung? Wie wird die Verwebung virtueller Informationen mit unserer Umwelt Architektur und unsere Wahrnehmung verändern? Werden wir mit aktiven architektonischen Environments konfrontiert? Richard Dank In Wirklichkeit sind wir längst konstant mit virtueller Information unmittelbar vernetzt - durch all die mobilen Devices, die wir ständig bei uns haben. Und unsere Wahrnehmung der unmittelbaren Umgebung, der Stadt, ja, der ganzen Welt hat sich dadurch bereits epochal gewandelt. Haben die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstehenden Eisenbahn- und Telegrafennetze die Kommunikationsdistanzen extrem schrumpfen lassen, so haben Individual- und Flugverkehr endgültig das Messen von Entfernungen von Kilometer in (Fahr)Zeit gewandelt. Und die bereits jetzt geborene Generation wird die Grenzen der eigenen Nachbarschaften letztlich nur noch zwischen on- und offline ziehen. Auch im urbanen Raum sind "aktive Environments" längst eher die Regel denn die Ausnahme - denken wir an den Times Square und Shibuya oder an das Kunsthaus Graz und den Tower of Winds in Yokohama oder einfach nur an ganz alltägliche Außenwerbung. Einzig die Interaktion mit all diesen Informationen und Displays im Stadtraum ist noch nicht vorhanden - aber sie wird möglich sein. Für ArchitektInnen stellt sich also eigentlich nicht die Frage, ob diese Evolution stattfinden wird, sondern vielmehr, wie wir diese gegenwärtigen Entwicklungen im gestalterischen Sinne tatsächlich nutzbar machen (können). Marjan Colletti Endlich: Bei Architektur ist es am notwendigsten, von Kultur zu sprechen! Oder sogar von Zivilisation. Selbstverständlich hat Kultur unseren Naturbegriff verändert, aber auch umgekehrt: Die Naturlandschaft hat unseren Kulturbegriff auch stets verändert (man denke an die klimabezogenen Unterschiede zwischen Kulturen) - oder besser: Der Naturbegriff umformt stets unsere Kulturlandschaft. Dies ist heutzutage relevanter als je zuvor. Ökologie ist ganz klar ein Kulturparadigma geworden; dies bezieht selbstverständlich Architektur ein. Mit Nature 2.0 kommt ein neues Verständnis von Natur und deshalb von Kultur auf. Vielleicht ist Augmented Architecture noch zu wenig. Benötigen wir nicht mehr als ein Update, eine völlig neue Version von Kultur, Finanz, Nachhaltigkeit? Dies kann nur mit der Verwebung realer und eben nicht "virtueller" Informationen geschehen: also wo sich Digitalität mit Biologie, Chemie, Mathematik, Statistik usw. verbündet. Aber wenn wir von aktiven architektonischen Environments sprechen, sollten wir ebenfalls von aktivierenden Environments sprechen. Von Architektur, die zu solchen Veränderungen motiviert. Von Architektur, die kommuniziert, anhand von Gebäuden, dank vieler Ausstellungen, an Lehrstühlen, durch Bücher, mithilfe von Zeitschriftenartikeln. Eben: mit allen Mitteln! Wolfgang Tschapeller Ja, wenn man das so sehen will. Augmented Reality kann als Naturproduktion gesehen werden. Aber auch als Raumproduktion im Sinne einer "land reclamation", wo Material ins Meer geschüttet wird, um Festland zu gewinnen. Wir müssen dann aber weiterfragen, ob nicht bereits Techniken, wie z. B. die Psychoanalyse, als Instrument der Raumproduk tion gesehen werden müssen. N 16 | 17 Mit allen Mitteln - analoge / digitale Versuchsanordnungen

17
Digitalisierung in Kartografie und Vermessungswesen | Eine Revolution? Manuel Schramm Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie; Habilitation an der TU Chemnitz 2007; aktuell: Privatdozent an der TU Chemnitz und Vertreter des Lehrstuhls für Technikgeschichte der TU Dresden; Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Kartografie und Vermessungstechnik; Konsumgeschichte; Historische Innovationsforschung. Nicht nur in Kartografie und Vermessungswesen, auch gesamtgesellschaftlich ist häufig von einer "digitalen Revolution" die Rede. Der zunehmende Einsatz von Computern und Mikroelektronik verändere nicht nur die Wirtschaft, sondern auch unsere Gesellschaft und Kultur in vielfältiger Weise. Auch wenn manche Behauptungen wie die von der "Vernichtung des Raumes" (Paul Virilio) oder vom "Ende der Arbeit" ( Jeremy Rifkin) überspitzt wirken, so ist doch nicht zu leugnen, dass in einigen Bereichen die Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien wichtige Auswirkungen hatten. Schon in den 1980er- und 1990er-Jahren sprachen manche Beobachter von einer digitalen Revolution in der Kartografie.1 Dabei war der Aufstieg der digitalen Kartografie ein zunächst langsamer Prozess, der lange Zeit nur wenig veränderte (Abschnitt 1). Bedeutende Veränderungen ergaben sich erst in den 1990erJahren mit der zunehmenden Verbreitung von Geografischen Informationssystemen (gis) und nach der Jahrtausendwende mit dem Aufkommen von dynamischen und mobilen gis (Abschnitt 2). Das eröffnete den Kartennutzern vielfältige neue Möglichkeiten, warf aber gleichzeitig auch bestimmte Probleme auf (Abschnitt 3). 1. Der Aufstieg der digitalen Kartografie Die Automatisierung der Kartografie mithilfe von elektronischer Datenverarbeitung und der Aufbau von Geografischen Informationssystemen verliefen lange Zeit weitgehend getrennt voneinander. Noch 1980 unterschied man daher die automatisierte Kartenherstellung von der computergestützten Kartografie. Erstere diente allein der effizienteren Produktion von herkömmlichen Karten, Letztere stellte die Nutzung der analytischen Möglichkeiten des Computers dar. Historisch gesehen trat die Automatisierung der Kartenherstellung eher auf. Auch die Fotogrammetrie könnte man als Schritt zur Automatisierung der Kartenherstellung betrachten. In den Sechzigerjahren entstand in Kanada das erste Geografische Informationssystem auf der Basis von Großrechnern. Es war ein Gemeinschaftsprojekt der kanadischen Regierung, die ein nationales Landinventar erstellen wollte, mit ibm und einem Luftfahrtunternehmen. In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre wurde mit symap das erste Programmpaket für die automatisierte Kartografie entwickelt. In den usa hatte die Automatisierung 1970 bereits begonnen, alle Stufen des Herstellungsprozesses zu erfassen, auch wenn noch kein vollständiges System zur Verfügung stand, das alle Stufen des Produktionsprozesses integrieren konnte. Die Automatisierung der Kartografie mithilfe von elektronischer Datenverarbeitung und der Aufbau von Geografischen Informationssystemen verliefen lange Zeit weitgehend getrennt voneinander. Die in den 1970er-Jahren sich langsam ausbreitenden Landinformationssysteme waren weniger auf kartografische Anwendungen ausgerichtet, sondern umfassten vor allem Grundstücksdatenbanken und Liegenschaftskataster. Insofern handelte es sich dabei in erster Linie um den Versuch der Modernisierung der Grundstücksverwaltung. Kartografische Anwendungen wie die Automatisierte Liegenschaftskarte waren zwar Ende der 1970er-Jahr technisch durchaus im Bereich des Machbaren, jedoch waren die Umstellungskosten sehr hoch: So wäre nach einer Modellrechnung von 1978 die gesamte niedersächsische Vermessungs- und Katasterverwaltung (ca. 3.000 Arbeitskräfte) mit der Umstellung auf die automatisierte Liegenschaftskarte 17 Jahre beschäftigt gewesen.2 Noch 1988 bemerkte ein Autor, dass die digitale Revolution in der Kartografie gerade erst begonnen habe.3 Ein Grund dafür lag in technischen Beschränkungen der frühen Computer, die besser für statistische Analysen geeignet waren als für grafische Arbeiten, sowie in den Beschränkungen der frühen Software. Erst gegen Ende der 1980er-Jahre wurde das kartografische Potenzial Geografischer Informationssysteme entdeckt, das nicht nur in der billigeren Produktion herkömmlicher Karten bestand, sondern vor allem im Bruch mit etablierten kartografischen Konventionen. Die Integration verschiedener gis machte es zumindest theoretisch möglich, verschiedene geografische Datenbanken zu kombinieren und damit völlig neue Karten zu erstellen: Die Kartografie wurde potenziell multiperspektivisch. Bereits 1944 wurde von der Us-Armee ein "automatic mapmaker" konstruiert. Die Einführung der Rechentechnik in die Vermesungsbehörden begann Mitte der Fünfzigerjahre. Bis in die Sechzigerjahre wurde sie allerdings nur zur Erledigung geodätischer Routineberechnungen benutzt. Sie beschleunigte die Arbeit der Behörden beträchtlich, auch wenn ein Teil des Zeitgewinns durch Umstellungsprobleme wieder aufgezehrt wurde. Digitalisierung in Kartografie und Vermessungswesen

18
Abbildung rechts: Sohei Nishino Diorama Map Istanbul Oktober 2010 - Jänner 2011 Die Veduten Sohei Nishinos sind aus unzähligen einzelnen Fotografien zusammengesetzt. 2. Transformationen der Kartografie Die Kartografie unterlag infolge der weitreichenden technischen Veränderungen im 20. Jahrhundert drei wichtigen Transformationen. Erstens änderte sich die soziale Verteilung des Wissens. Standen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch kartografische Experten und Laien relativ unvermittelt einander gegenüber, so vermischten sich diese Bereiche zunehmend, vor allem seit dem Aufkommen der Computerkartografie, die es mit spezieller Software auch Laien ermöglichte, Karten anzufertigen. Für die Kartografen stellte diese Entwicklung natürlich eine Bedrohung dar, die ihre tradierten Kenntnisse zu entwerten schien. Sie reagierten darauf mit Warnungen vor drohendem Qualitätsverlust und Diskussionen über eine inhaltliche Neuausrichtung ihrer Disziplin.4 Vor allem befürchteten sie, die neuen Möglichkeiten könnten in den Händen nicht ausgebildeter Benutzer schlecht gestaltete und irreführende Karten hervorbringen. Der seit den Achtzigerjahren geförderte Aufbau einer digitalen Datenbasis, wie z. B. in Deutschland mit atkis (Amtlich topografisch-kartografisches Informationssystem), sollte auch dem "wilden" Digitalisieren dieser Zeit einen Riegel vorschieben. Allerdings führte dies keineswegs zu einer globalen Homogenisierung, wie man annehmen könnte. Vielmehr entstanden gerade in den Neun zigerjahren neue Unterschiede, die sich aber nicht mehr primär an nationalen Grenzen orientierten. Auch dafür bietet die Entwicklung von atkis ein instruktives Beispiel. Zunächst standen hier die Zuständigkeiten der Bundesländer einer einheit lichen Lösung im Weg. In den 1980er-Jahren entwickelten die einzelnen Länder unterschiedliche automatisierte Liegenschaftskataster (alk), die nicht miteinander kompatibel waren. Ende der 1980er-Jahre wurde die von den Bundesländern Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen entwickelte Grundstufe des alk nicht einmal teilweise eingesetzt. Ein Beispiel aus Südhessen zeigt, welche Schwierigkeiten mit unterschiedlichen Datenstandards auch 1999 noch bestanden.5 In diesem Fall zeigte die Hessische Elektrizitäts-ag (heag) ein Interesse an der Integration verschiedener Datenbestände von Kommunen, Landkreisen, Landesvermessungsamt und regionalen Versorgungsunternehmen. Durch spezielle Schnittstellensoftware eines privaten Unternehmens war der Datenaustausch rein technisch zwar möglich, erfolgte jedoch kaum. Große Probleme bereiteten die Datenbeschaffung, die Nutzungsrechte und Überlassungsbedingungen, die Datenqualität sowie die verschiedenen Systemarchitekturen. Im Endeffekt war es für eine Kommune immer noch sinnvoll, gleiche Datenbestände mit verschiedenen gis zu bearbeiten. Es greift daher zu kurz, von einer technologisch bedingten Globa- lisierung oder Schrumpfung des Raumes zu reden, wenn nicht gleichzeitig die ebenfalls vorhandenen Tendenzen der Fragmentierung entlang neuer Grenzen berücksichtigt werden. Das Problem der Datenstandards war bis in die 1990er-Jahre hinein eines der dringendsten. Lange Zeit existierten keine allgemein akzeptierten Standards, sodass die Nutzer sich in verschiedene Lager aufspalteten. Ein Forscher beschrieb die Gemeinschaft der gisNutzer in der Westschweiz als ein Archipel, dessen Inseln nicht alle gleich gut zu erreichen sind. Personen von einem Ende des Archipels blieben zusammen und hatten wenig Austausch mit Personen vom anderen Ende.6 Drittens schließlich änderte sich das professionelle Selbstverständnis der Kartografen und Vermessungsingenieure. Zweitens wurden die bis dahin weitgehend homogenen nationalen kartografischen Kulturen zunehmend infrage gestellt. Die Einführung der Computertechnik spielte dabei eine wichtige Rolle, da Soft- und Hardware zunehmend global verbreitet wurden. Traditionelle Fähigkeiten wie das manuelle Zeichnen wurden abgewertet, neue Kenntnisse gewannen an Bedeutung. Wie weit diese Umorientierung gehen sollte, war freilich lange Zeit umstritten, definierte sich doch die traditionelle Kartografie gerade über die zeichnerischen Fertigkeiten, z. B. bei der Geländeschummerung. In den Neunzigerjahren wurde die Computerkartografie in den Lehrbüchern zunehmend berücksichtigt, zum Ende des Jahrzehnts richteten mehrere deutsche Universitäten und Fachhochschulen entweder Vertiefungsrichtungen oder eigenständige Studiengänge in Geoinformatik oder Geomatik ein, z. B. am 1994 gegründeten Institut für Geoinformatik der Universität Münster. 3. Im digitalen Dschungel: Nutzungsprobleme Um die Jahrtausendwende veränderte sich der Nutzungskontext durch den Wandel Geografischer Informationssysteme von "großen" zu "kleinen" Systemen einerseits und der Integration von Internetdiensten andererseits. Die traditionelle Papierkarte wird zunehmend von mobilen Diensten, wie z. B. Autonavigationssystemen oder webbasierten GIs, wie Google Maps oder Microsoft Virtual Earth, abgelöst. Die Vorteile für die Nutzer verglichen mit herkömmlichen "großen" gis sind ganz offensichtlich: geringere Kosten und einfacherer Zugang, sowohl räumlich - Zugriff mittels Webbrowser von überall, wo es einen Internetzugang gibt - als auch sozial - es ist nicht mehr nötig, selbst ein Experte zu sein. Die bekanntesten und wohl am weitesten verbreiteten Anwendungen sind die Autonavigationssysteme. Ihre Funktionsweise beruht auf dem Abgleich zwischen der aktuellen Position des Fahrzeugs, die mittels GPS bestimmt wird, und digital gespeichertem Kartenmaterial. Ähnlich wie bei einem Routenplaner werden dann bestimmte Fahrstrecken vorgeschlagen. Das Navigationssystem übernimmt damit im Prinzip die Funktion des Bei- 18 | 19 Digitalisierung in Kartografie und Vermessungswesen

19
Digitalisierung in Kartographie und Vermessungswesen

20
fahrers. Bei der Mensch-Maschine-Interaktion treten aber verschiedene Probleme auf. So sind beispielsweise die Angaben der Navigationssysteme häufig zu abstrakt, da sie auf Entfernungsangaben basieren, wie z.B. "in 200 m rechts abbiegen", während die meisten Autofahrer sich an Landmarken (markanten Gebäuden oder Ähnlichem) orientieren.7 Ein anderes, ebenfalls häufig auftretendes Problem ist veraltetes Kartenmaterial. Interessant ist in diesem Fall, dass sowohl der Nutzungskontext als auch die auftretenden Probleme ganz ähnlich denjenigen der analogen Kartografie sind. Lässt sich somit von einer "digitalen Revolution" in der Kartografie sprechen? Möglicherweise schon, denn es fanden mehrere bedeutende Verschiebungen statt, z. B. im Verhältnis zwischen Laien und Wissenschaftlern, im Verhältnis verschiedener Wissenschaften zueinander und in den Nutzungskontexten. Die neuen Technologien führten zu vielen neuen Möglichkeiten, aber auch zu neuen Problemen oder zu alten Problemen in neuem Gewand. Vieles ist derzeit noch im Fluss, und es ist dementsprechend schwierig, ein Fazit zu ziehen. Die digitale Kartografie hat möglicherweise ihr volles Potenzial noch gar nicht realisiert, was z. B. die Veränderung der Kartengrafik betrifft. N Der Nutzer ist im Gelände und muss sich dort zurechtfinden. Auch die Daten sind überwiegend lokal gespeichert, nur ein Teil wird gesendet, neben der Ortsbestimmung z. B. aktuelle Verkehrsinformationen. Somit treten wie bei analogen Karten Probleme auf, die kartografische Darstellung, ob sie nun visualisiert oder gesprochen wird, mit der vorgefundenen Realität in Übereinstimmung zu bringen. So wie in den 1950er-Jahren in den usa über das Einfügen von Schummerung diskutiert wurde, um Karten plastischer zu machen, wird heute über die Berücksichtigung von Landmarken in Autonavigationssystemen nachgedacht. Natürlich sind Autonavigationssysteme nur ein Beispiel für mobile gis. Andere Anwendungen sind sogenannte Informationsdienste, die z. B. über den Standort des nächsten Hotels oder Restaurants und den Weg dorthin informieren (location-based services). Dabei kann eine ganze Reihe von Problemen auftreten. So kann das nächste Restaurant, das angezeigt wird, geschlossen sein. Auch technische Probleme und Begrenzungen spielen eine gewisse Rolle, z. B. hinsichtlich der Visualisierung im Display oder der Datenstruktur. Neu hinzugekommen ist das Problem der Datensicherheit und des Schutzes der Privatsphäre. Mobile Dienste beruhen darauf, dass sie die Position des Nutzers feststellen können. Mit den gespeicherten Daten lassen sich Bewegungsprofile erstellen. Diese Daten sind offensichtlich hoch sensibel und der Schutz vor Missbrauch wird ein wichtiges Thema bleiben. Aus kartografischer Perspektive interessant sind die Diskussionen über die richtige Visualisierung von digitalen Karten auf mobilen Displays, die häufig viel kleiner sind als die traditionelle Papierkarte oder der Desktop-Bildschirm. Bisher ist aber zumeist die Gestaltung der traditionellen Papierkarten unhinterfragt übernommen worden. Ob das der richtige Weg ist und wie z. B. die dritte Dimension sinnvoll integriert werden kann, ist Gegenstand der Diskussion. So sind nicht-fotorealistische 3D-Darstellungen den fotorealistischen offenbar überlegen, weil sie den Nutzer nicht überfordern. Zudem wird die Planung verschiedener raumzeitlicher Aktivitäten nicht unterstützt, da meist die Zeitdimension unberücksichtigt bleibt. Literatur: Döhring, Jörg/ Thielmann, Tristan (Hg.): Mediengeographie. Theorie, Analyse, Diskussion, Bielefeld 2009. Drummond, Jane et al. (Hrsg.): Dynamic and Mobile gis. Investigating Changes in Space and Time, Boca Raton 2007, S. 289-300. Harvey, Francis/ Chrisman, Nicholas: The Imbrication of Geography and Technology. The Social Construction of Geographic Information Systems, in: Stanley Brunn et al. (Hrsg.), Geography and Technology, Dordrecht 2004, S. 65-80. Konecny, Gottfried: Geoinformation. Remote Sensing, Photogrammetry and Geographic Information Systems, London 2003. Rifkin, Jeremy: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt/ Main 2001. Schramm, Manuel: Digitale Landschaften, Stuttgart 2009. Virilio, Paul: Fluchtgeschwindigkeit, Frankfurt/Main 1999. 1 Joel Morrison, The Cartography Revolution in the 1980s, in: David W. Rhind/ David R. F. Taylor (Hrsg.), Cartography Past, Present, and Future. A Festschrift for F. J. Ormeling, London/New York 1989, S. 169-185. 2 Johannes Nittinger, Zur Ideologie und Technologie des Landinformationssystems, in: Allgemeine VermessungsNachrichten 85 (1978), S. 207-214, hier S. 212. 3 Michael F. Goodchild, Stepping over the Line: Technological Constraints and the New Cartography, in: The American Cartographer 15 (1988), S. 311-319. 4 Vgl. Jean-Claude Müller, gis, Multimedia und die Zukunft der Kartographie, in: Kartographische Nachrichten 47 (1997), S. 41-51, bes. S. 43; Robert Bucher, Entwicklung einer Digitalen Topographischen Grundkarte für Baden-Württemberg, in: Kartographische Nachrichten 48 (1998), S. 45-51, hier S. 51. 5 Joachim Figura, Möglichkeiten der Datenintegration am Beispiel der Region Südhessen, in: Allgemeine Vermessungs-Nachrichten 106 (1999), S. 243-249. 6 Francis Harvey, Constructing gis. Actor Networks of Collaboration, in: urisa Journal 13 (2001), S. 29-37, hier S. 33. 7 Martin Raubal, Menschlich denkende Navigationssysteme, in: Conrad, 2006, H. 1, S. 24-27. 20 | 21 Digitalisierung in Kartografie und Vermessungswesen

21
Digital und noch immer analog | vorgegebenen Grenzen hinausgehen. Auf die Dislokation folgt im Netz eine weitere Stufe des disembodiEine Zwischenbilanz ment, die von den telematischen Medien eingeleitet wurde. Browse Architecture2 im Netz ist am weitesten entfernt von körperzentrierter Architektur. An die Die Analysen und Prognosen zum elektronischen Zeitalter (McLuhan etc.) in Stelle des Bauherrenwunsches tritt die Information den 1960er-Jahren waren, wie sich herausgestellt hat, einerseits noch zu zagdes highways, die inputs sind ready-mades, das Surhaft und wurden doch durch unerwartete Entwicklungen getopt, andererseits fen beliebig, die Selektion und Interpretation automaließ sich das Konservative nicht überrumpeln und sitzt noch immer fett in tisch, die sites (auch Bauplätze) translokal. Ihre ferneiner Zeitfalte, kräftig präsent. "Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt!", können auch wir nach über 30 Jahren cad feststellen. Der Einfluss des korrelierten Zeichenketten verhalten sich wie Gruppen, ihre Datenclusters wie Schwärme von IndiDigitalen auf die Entwicklungen und Strömungen in der Architektur ist viduen. schneller und vor allem anders gekommen, als es anfänglich vorstellbar war, Dabei entsteht eine Architektur, in der der Realivor allem sind eigendynamische Effekte, autogenerative Entwicklungen auftät der Baukörper nicht mehr Realität zugestanden getreten, die niemand intendiert hat, kein Planer im Griff hat. wird als der digitalen Realität, gerade deshalb real life architecture/real virtuality. Die Ort- und ZeitDer seinerzeitige Streit zwischen analogen bzw. Manfred Wolff-Plottegg, geboren 1946, ist Architekt. losigkeit von bit & pixel zeugen von der Formlosigkeit, digitalen Architekten ist noch immer diagnostizierAls Pionier der Computerder einzig möglichen Form der Architektur im Zeitbar, die Computergegner sind aber heute eindeutig architektur war er langalter von Internet, Cyberspace und virtueller Realität: in der Minderzahl (dafür aber exklusiver und milijährig Lehrbeauftragter der browse architecture. tanter) und ihre Argumente bzw. Anfeindungen für Grundlagen der EdV und für PlanungsmethoDie autochthone Architektur bekam durch die werden von den Computerusern und -freaks zumeist den an der TU Graz, kommentarlos übergangen - das Match ist gelaufen. überall verfügbaren Programme Konkurrenz und 1994/95 Professor für CAd gleichzeitig differenzierte sich der output trotz aller Ein Überblick von den ersten pixeligen Strichen an der TU München und auf den Bernstein-Bildschirmen bis zu den High-res- systemischer Selbstähnlichkeit. Dort, wo Architektur 2001 bis 2011 Professor für Gebäudelehre, Entwerfen nicht mehr die Signatur eines Individuums ist, nicht Renderings zeigt: Obwohl die "Handschriftler" aus und Planungsmethoden mehr nur ein System architektonischer Ornamente, Furcht vor dem Verlust des Persönlichen dagegen an der TU Wien. sondern ein System, das sich selbst generiert, dort waren, hat sich spätestens seit 1990 cad zur allWissenschaftliche Schwergemeinen Applikation in Architekturbüros als Selbst- lebt die Architektur. Algorithmen als architekturerpunkte sind Funktionsforschung / Hyper Funktiozeugende Regeln, unabhängig vom beliebigen Geverständlichkeit für das Plänezeichnen durchgenen / Hybrid Architektur / schmack des Architekten, befreien aus dem Gefängsetzt, auch wenn es für Lehmbauten nicht erforderArchitektur Algorithmen / nis der architektonischen Modellwelten und den lich ist. Und weil cad in der Praxis (auch im FerialComputergenerierte job) verlangt wird, beherrschen Studenten spätestens Beschränkungen der architektonischen Planung. Der Architektur. digitale öffentliche Algorithmus ersetzt den indiviab dem zweiten Jahr zumindest das "Bildschirmduellen Algorithmus des demiurgischen Architekten zeichnen". So wie für eine Sekretariatsstelle selbstund die bisherigen Architekturregeln (Stile etc.), die verständ lich Kenntnis der Office-Programme vorausgesetzt wird, wird schon von Praktikanten Kennt- dieser entwickelt hatte. Diese naheliegende Möglichkeit, sich von der tranis der wichtigsten cad-Programme erwartet. Und ditionellen Architekturproduktion und vom persöndie Architektur-/Ingenieurbüros verkehren unterlichen Expressionismus abzunabeln, wurde jedoch einander und mit den ausführenden Firmen überkaum umgesetzt. Obwohl die geometrisch/formale haupt nur noch digital. Das ist und läuft sehr pragmatisch, die ursprüng- Dominanz der heutigen cad-Programme systemisch bedingt ist, wird von Architekten noch immer die lichen Erwartungen waren andere. Der Ansatz, den Rolle des demiurgischen Baukünstlers mit individutraditionellen Code der Architektur zu brechen - eller Handschrift behauptet. auch eine Art der Dekonstruktion -, kam systembedingt: Im digitalen Datenraum kommt es zu einer Implosion des klassischen Raumes. "Was Zaha kann, kann ich auch ...", sagt der Die Distanzen, Maßstäbe und Skalierungen, die im klassischen, realen Raum gelten, gelten im nicht-klassischen, immateriellen Datennetz bzw. Netzraum nicht mehr. 1 Plottegg / Weibel, Architektur Algorithmen. Passagen Verlag Wien 1996. 2 Novak / Plottegg, Browse Architecture for algorithmic poetics and internet surfing, Graz 1995. Dort sind alle Entfernungen gleich. Dort gelten auch die Gesetze, dass es mehr Verbindungen als Knoten gibt und je exponentieller die Zahl der Verbindungen steigt, desto komplexer das Netz wird. Und bei einem bestimmten Maß der Komplexität emergiert im Netz eine neue Eigenschaft, die Selbstorganisation. Architektur kann sich daher auch fernkorreliert - eine Form der Dislokation - im Datennetz entwickeln. Daraus waren durchwegs Impulse für die Entwicklung der Architektur zu erwarten. Evolutionäre algorithmische Architektur1 schafft neue Schnittstellen zur Umwelt, die weit über die bisher von den Beschränkungen des Körpers Student (und meint das CAd-Programm das beide benutzen). Die Bandbreite ist schizophren: "Ich habe es entworfen, aber der Computer ist schuld!", und damit zeigt sich, dass sich im Hintergrund vieles und doch nichts geändert hat. Von allem Anfang an war auffallend: Programmierer sind keine Architekten, Architekten sind keine Programmierer und hinken hinter der Software her. Und weil Programmierer "architektonische Aspekte" nicht kennen, haben sie weitgehend getan "comme il faut", das imitiert, was Architekten bisher getan haben, zielorientiert, produktorientiert, objektorientiert, vor allem bildorientiert. So gesehen hat die Pixel-Conversation architektonisch nichts gebracht, auch wenn die neuen Geometrien darüber hinweg- Digital und noch immer analog

22
Abbildung S.23 /24: Die interaktive Multimedia-Installation "Web of Life", 2002 im ZKM, verwob auf visueller und räumlicher Ebene virtuelle und physische Realitäten. täuschen. Die Tradition und Konvention der Bildhaftigkeit der Architektur wurde sogar verstärkt, je mehr bubble oder Gurke, umso besser für Branding, Identity und Marketing. Hier treffen sich Architekten, Investoren, Touristen. Hier treffen sich die Argumente der Hardcore-Computerarchitekten und der Computerskeptiker und hier bekommen die Kritiker recht. Die Bilderflut ist Folge der Austauschbarkeit der Formen in den Programmen. Dass heute alle Formen (ob sie einem gefallen oder nicht) gezeichnet werden können und weltweit gebaut werden dürfen, ist sicherlich eine Folge des ungebremsten Formenreichtums durch Generierungen. "Schön gestorben ist auch gestorben", und dafür gibt es auch schon wieder in beide Richtungen Gegenbewegungen. Dass die virtuelle Bilder flut real und die Umsetzungen so aussehen wie Renderings, liegt wieder an der Software: Die unglaublichsten Geometrien werden per cnc-Produktion umgesetzt, die Statik mit raffinierten (ebenfalls para metrisier ten) Programmen der Finite-Elemente-Methode vor geschlagen, Vermessungen (speziell für die komplexen Geometrien), Bauphysik und Haustechnikprogramme (für die hochgezüchteten neuen Standards) bis zu ava usw. usw. oftmals mit Schnittstellenproblemen, aber allemal besser und schneller als händisch-analog. In Hinblick auf diese Fülle an ingenieurtechnischen Fortschritten und Planungshilfen, technologischen Innovationen, mit welchen nicht nur der Planungsprozess, sondern auch die Nutzungen gesteuert werden können, ist es erstaunlich, dass Architekten sich zumeist auf die formale Innovation beschränken. Obwohl 3D an der Oberfläche, der (Bildschirm)Benutzeroberfläche extrem gut entwickelt ist, wird das übrige Potenzial des Computers zur architektonischen Weiterentwicklung nicht annähernd auslizitiert - die Architektur ist nicht am Ball geblieben. Ursprünglich hat es ja einfach angefangen: Wer nicht mehr mit Reißschiene, Dreieck und BurmesterSatz zeichnen, sich nicht mehr mit den Eigengesetzlichkeiten dieser Geräte begnügen und sich die Bandscheiben weiterhin nicht ruinieren wollte, untersuchte die Regeln der ersten digitalen Formfindungen, von den orthogonalen Klassizismen zu den meshes, splines und nurbs, zu hatch und strech, zu 2 ½ D mit extrude commands und später zu 3D mit Form Z, AutoCad, Microstation, Grafic Design, dann die ersten Animationen Maya, 3Dmax, mapping mit Texturen bis zur virtual reality. Jenseits von Grundrissdenken - Artikulationen im 3D-Modelling, ein Eldorado für Manipulationen jenseits vom fotorealistischen "so tun als ob". Einfache Handlungsanweisungen lassen im Computer Formen entstehen, die bisher nicht voraussehbar waren und die bisher auch nicht gesehen worden sind. Diese "unsichtbaren" Formen beruhen auf Interaktionen, im verschärften Fall auf Autogenerierung. Der Architekt ist nicht mehr der gottähn- Der Überfluss an Bildern auf den Bildschirmen ergibt im Realen die Inflation der Formen, und daraus folgt, dass sich die Form als Kriterium der Architektur überholt hat. liche Demiurg, der einen Raum gestaltet. Hier ist der Architekt nicht mehr der alleinige Akteur und Autor, sondern er tritt nur mehr in der Interaktion auf, als user, als Verfasser von Regeln und scripts, um durch die Angebote des Algorithmus zu browsen. Der Algorithmus als Architekt. Das ausgeweitete Umfeld der Planung: Es geht nicht nur um Objekte/Bilder/ Oberflächen, es geht um Abläufe/Flussdiagramme/ Steuerungen, um Planung, Planungsabläufe, Planungsmethoden, Planungsmanagement, Grundlagen der Planung, das Planen der Planung, Planung n-ter Ordnung, somit um Projektsteuerung. Da gibt es viel beyond rendering. Diese Entwicklungen basieren gemeinsam auf den neuen Systemtheorien des 20. Jahrhunderts - Kybernetik, Fraktale, Chaos, Fuzzy Logic, Game of Life, Konstruktivismus, Komplexität, Surplus, Autopoiesis etc., welche den Paradigmenwechsel begleiten. Speziell in der Architekturplanung ist der Computer auf der operativen Ebene ein Instrumentarium mit einer neuen Technik, um zu simulieren, durch random exemplarisch zu generieren. Zusätzlich eröffnen die Netzwerke lan, wan, www neue Plattformen der Kommunikation. Die Architektur beschäftigt sich nicht mehr mit sich selbst und ihren eigenen ursprünglichen Fragestellungen (Struktur, Material, Ort etc.), sie lässt sich auf das Digitale, auf einen neuen Diskurs und neue Einflüsse ein. So gesehen wird die Architektur postmedial. Das erklärt, warum die digitale Architektur so eigenartig architekturfremd (und deswegen kritisiert) wird und warum sich Architekten dabei so schlecht auskennen. Vor allem der Diskurs der Architektur hat sich geändert. "Der Raum an sich", die Wirkung des Raumes, der "auratische Ort", die (Selbst)Repräsentation haben ausgedient, es geht um steuerbare Regeln, um das Steuern von Abläufen. Durch die browsearchitecture im Internet wird Architektur beschleunigt, weil eben nichts Bestimmtes/Antizipiertes gewollt, gesucht, geplant wird. Wie das Internet vom rasanten Zugang zu einer enormen Fülle von hierarchiefreien, quasi gleichwertig nebeneinander und übereinander liegenden Datenclusters geprägt ist, wird Architektur nicht mehr durch Baumassen, sondern im browsing und surfing manifest. Architektur - vermutlich bislang das langsamste Medium - erfährt nun eine Beschleunigung. Umfasste z. B. die Gotik noch einen Zeitraum von rund vier Jahrhunderten, ist nun die Generationsdauer der Hochgeschwindigkeitsbauten in den Boom- und High-DensityZentren rund um die Welt ebenso auf wenige Jahre komprimiert wie die Generationenspanne der Computerprogramme. Die Phasen der Formfindungen, der blobs, der Parametrisierungen etc. sind auf weniger als fünf Jahre zusammengeschrumpft. Eine radikale Änderung liegt in der Anwendung des Computers für Prozesssteuerungen - dem eigentlichen Spezifikum der Computer: Diese ermöglicht den schon in den 1960er-Jahren von Kybernetikern angedachten Wechsel vom Determinismus zu offenen 22 | 23 Digital und noch immer analog

23


24


25
PS.: Auf dem Gebiet der digitalen Architektur gibt es viele selbsternannte Experten, die ein leichtes Spiel haben, weil sich niemand so richtig auskennt und die meisten Architekten diesbezüglich beratungsresistent sind. Eine typische Scharlatanerie-Architektur war seinerzeit, als die wire-frame plots aufkamen: In Architekturbüros, die ideologisch fixiert ausschließlich analog arbeiteten, wurden händisch gezeichnete wire-frame-Perspektiven angefertigt. Auch heute wird vieles als parametrisiert verkauft. Systemen, architektonisch gesehen von der Objektarchitektur zur prozesshaften Architektur, von der Funktionstrennung zur Hyperfunktion. Es geht somit nicht mehr darum, wie ein Gebäude aussieht und für einen Zweck optimiert ist, sondern darum, was Architektur kann, wie sie sich im Laufe der Entwicklungen mit diesen weiterentwickeln kann. Z. B. im Industrie- oder Spitals- oder Städtebau geht es generell darum, wie Abläufe gesteuert und laufend geändert werden können. Und dafür sind Simulationen per Computer, in Zusammenhang mit Architektur natürlich auch mit 3D-Modellierungen per parametrisierenden bis zu generierenden Algorithmen ein geeignetes Tool. Das war das Interessante zu Beginn, darauf hat W. J. Mitchell per "The logic of Architecture - Design, Computation and Cognition" hingewiesen, N. Negroponte gründete die "Architecture Machine Group", K. Oosterhuis arbeitete an "The Synthetic Dimension of Architecture", M. Novak an "Liquid Architecture". Eckpunkte in der timeline, die das Potenzial für eine nicht-deterministische Planung, für veränderbare Architekturen aufspürten, zumal ein Spektrum von dynamisch, evolutionär etc. angeboten wurde, alles Beiträge zu einer prozessorientierten Architektur, die operativ/planungstechnisch bis dahin schwer vorstellbar war. Was J. P. Weeber "Von der Endzustandsplanung zur Entwicklungszustandsplanung" andachte, was Cedric Price mit "non-plan/flexible space/fun palace" skizzierte, schien nun durch Simulationen planungstechnisch umsetzbar. Die neuen bildgebenden Verfahren haben (wie in anderen Wissenschaften auch) einen Entwicklungsschub mit sich gebracht, der sich im Verhalten der Architekten und Nutzer noch nicht niedergeschlagen hat. Es werden nun mit dem Computer zumeist Prä-Computer-Architekturen produziert. Die avancierte Computer-Architektur arbeitet heute aktuell mit scripting, was ursprünglich mit batch, macro und lisp begann, jetzt also per spezifischeren Programmsprachen (processing, vvvv, grashopper usw.) um "programmierte" Entwürfe, wwwbased architecture, coding architecture zu generieren, sei sie parametrisch oder postparametrisch, exekutierend, konvergierend oder doch "nicht deterministisch" offen, und wenn gegebene scripts noch immer nicht reichen, werden neue geschrieben. Das Feld ist weit, verschiedene Plattformen, verschiedene Programme, für jeden ist etwas dabei. Architektur als Prozesssteuerung: Das algorithmische Denken (im Hirn oder mit Computer), das selbst schon - indem es sich ausdrücklich auf Regelhaftigkeiten bezieht - eine Vorgangsweise zweiter Ordnung ist, wird durch Systematisierung in der Prozesssteuerung grundlegend einer weiteren höheren Ordnung zugeführt, speziell im Bereich von generativen Modellen. Hier zeigt sich der Paradigmenwechsel von einem Gebäude als Endprodukt einer Planung zu einer Architektur der Steuerung von Entwicklungen. Die Prozesssteuerung bezieht sich auf den Planungsprozess und auf prozesshafte Architekturen selbst, Auch W. A. Mozart hat schon mit scripting aleatorisch Walzer komponiert. 3 Maas / Plottegg, Der neuronale Architekturgenerator, Wien 1999. und hier erklärt sich die Relevanz des Computers mit seiner cpu "central processing unit" - dem Kern, in dem Inhalt und Methode verschmelzen. Insbesondere das www als nicht-zielorientierter, kollektiver, selbstgenerativer Informationsgenerator verändert die Verfügbarkeit und die Struktur der Information, das geänderte Potenzial bestimmt die Kommunikation, bestimmt die Arbeitsabläufe. So gesehen bedeutet das einen intensiveren Einfluss als die Theorie der interfaces. Nicht der Input (individuelles Wollen), sondern das Prozedere bestimmt den Output, wie schon W. Sierpinski nachgewiesen hat. Architektur ist seit jeher ein globales Medium, ihre Funktion ist - vergleichbar mit den elektronischen Medien -, ein Betriebssystem zur Steuerung von Nutzungen vorzuhalten. Das Generieren von Bildern/Räumen/Architekturen muss nicht mehr händisch, gedanklich, anthropozentrisch/expressionistisch ausgeführt werden, es kann als Datenverarbeitung/Datenmanipulation praktiziert werden. Der ausschließliche Umgang mit den klassischen Elementen Säule/Wand/Decke zur Steuerung von Nutzungen wird in den Softwarebereich verschoben. Die elektronisch-telematische Kommunikation überspielt die örtlichen Zusammenhänge: Ungeachtet der Präsenz von Personen/Gegebenheiten vor Ort wird im Web gesurft. Die unterschiedlichen Wirklichkeitsbereiche sind präsent durch binäre Zeichenreihen als Vokabular der Kommunikation zwischen den Neuronen im Hirn (spike trains) gleichermaßen wie zwischen Computern (bit strings). Informationen, Vorstellungen und Ideen der realen Welt und der Welt in unserem Kopf, wie sie von biologischen Organismen tatsächlich codiert sind, und die Welt der digitalen Datenverarbeitung sind auf dem gemeinsamen Nenner der Informationsverarbeitung miteinander verknüpft.3 0 1 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 010011101100101100110111011100101101 1001011001 Architektur ist also Informationsverarbeitung und dafür ist der Computer prädestiniert: Wie bisher können Daten vom Bauherrn, vom Grundstück, das Raumprogramm, die Baugesetze und Bauregelwerke, Regeln der Bauordnung und Raumplanung etc. auch alle individuellen Informationen, alles bisher Gesehene und Gelernte in der Planung verarbeitet werden. Aber dies geschieht nun regelbasiert, per Script algorithmisch. Schon die Disposition, von wo welche Information genommen und nach welchen Regeln verarbeitet wird (z. B. kopieren, verändern, generieren) ist algorithmisch. Die Planung transformiert Informationen in eine gebaute Umwelt. Durch die Informationsverarbeitung wird Architektur zum Informationseditor und Informationsträger (vgl. Archäologie). Es wird nicht das antizipierte "einzigartige Objekt" hergestellt, sondern ein Potenzial an Nutzungsmöglichkeiten und zusätzlich die dazugehörige Prozesssteuerung geboten. Also Planung als Prozesssteuerung (der Planung und der Nutzung). Architektur ist das Interface der Steuerung. Mir genügen gute Programme und schnelle Rechner, ich browse ohne Visionen. Ein Script bestimmt den Entwurf (wie den Film), jeder Krimi braucht einen Plot. N Digital und noch immer analog

26
"Kobra" aus Brettsperrholz | Neue Methode zur Realisierung von Freiformflächen aus ebenen Elementen an Prototyp erprobt Markus Manahl spezialisierte sich schon während seines Architekturstudiums auf digitale Entwurfs- und Produktionsmethoden. Seit seinem Studienabschuss 2011 ist er Mitarbeiter im Forschungsteam des Instituts für Architektur und Medien, TU Graz. Albert Wiltsche Diplomstudium in den Fächern Geometrie und Mathematik. Doktorat in Geometrie über Freiformflächen. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Geometrie in der Architektur, vor allem Verwendung von Freiformflächen und IndustrieRobotern. TU Graz. Im Rahmen des fwf-Forschungsprojekts "NonStandard-Architektur mit Ornamenten und planaren Elementen" (L695) hat sich eine Forschergruppe am Institut für Architektur und Medien der tu Graz zum Ziel gesetzt, neue Maßstäbe hinsichtlich der Realisierbarkeit von Freiformflächen zu setzen. Im Rahmen des Projekts wurde ein geometrischer Algorithmus entwickelt, der es erlaubt, doppelt gekrümmte Freiformflächen in ornamentale ebene Teile zu zerlegen, die mit konventionellen cncMaschinen kostengünstig gefertigt werden können. Dem kreativen Einsatz neuer digitaler Planungswerkzeuge verdanken wir so aufsehenerregende Bauwerke wie das Kunsthaus in Graz (Peter Cook und Colin Fournier) oder die Hungerburgbahn in Innsbruck (Zaha Hadid Architects), deren Gebäudehüllen aus doppelt gekrümmten, frei geformten Flächen bestehen. Solche Elemente waren mit Lineal und Zirkel nur schwer zu beschreiben, doch mit den heutigen dreidimensionalen cad-Programmen können auch die komplexesten virtuellen Formen modelliert werden. Die Umsetzung dieser Modelle in gebaute Realität ist jedoch eine ganz andere Frage. Noch immer wird nach geeigneten Methoden gesucht, um die neue Formensprache mit vertretbarem Aufwand zu materialisieren. Während die Massenproduktion gebogener Bauteile im Flugzeug- oder Automobilbau auf eine bald hundertjährige Tradition zurückblicken kann, ist die Fabrikation von fließend gekrümmten, nichtstandardisierten Einzelbauteilen im architektonischen Maßstab noch immer eine große Herausforderung. Üblicherweise erfordert die Herstellung von frei geformten Fassaden die individuelle Produktion von eigenen Guss- oder Pressformen für jedes einzelne Fassadenelement. Es versteht sich von selbst, dass so aufwendige Verfahren enorme Kosten verursachen können. Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahren verschiedene Strategien erforscht, die eine effizientere Produktion von Freiformbauten erlauben, indem etwa die Gebäudehüllen so angepasst werden, dass Formteile mehrmals verwendet werden können, oder indem die Flächen sogar so vereinfacht werden, dass die Herstellung mit seriell gefertigten Bauelementen möglich wird. 26 | 27 "Kobra" aus Brettsperrholz

27
Unter dem Begriff "Design Rationalisation" zusammengefasst, haben sich solche Anpassungen im Sinne der Herstellbarkeit eines Entwurfs zu einem zentralen Forschungsfeld im Bereich der computergestützten Planungsmethoden entwickelt. Eine besonders effektive Rationalisierungsstrategie ist die planare Diskretisierung. Dabei wird eine kontinuierlich gekrümmte Freiformfläche durch eine Geometrie angenähert, die aus vielen einzelnen planaren Elementen besteht. Diese ebenen Paneele können aus industriell massenproduzierten Standardbaumaterialien gefertigt werden und sind üblicherweise sehr leicht mithilfe von cnc-Maschinen herzustellen. Die Fertigung einer solchen diskreten Geometrie ist damit natürlich sehr viel günstiger als die Produktion einer kontinuierlich gekrümmten Fläche. Die einfachste geometrische Möglichkeit, um eine Freiformfläche in planare Elemente umzuwandeln, ist die Triangulation. Dabei wird eine Reihe von Punkten auf der kontinuierlichen Fläche berechnet, aus denen dann ein Dreiecksnetz gebildet wird. Diese Methode wurde unter anderem bei der Hofüberdachung des British Museum in London von Norman Foster und der neuen Messe in Mailand von Massimiliano Fuksas angewandt. Die Dreiecksgeometrie bedingt jedoch, dass bei einer regelmäßigen Triangulation an den Eckpunkten der einzelnen Flächen im Durchschnitt sechs Paneele aneinanderstoßen, was zu komplexen und wiederum kostspieligen Konstruktionsdetails führt, insbesondere wenn entlang der Flächenkanten eine tragende Unterkonstruktion geführt wird. Schlaich Bergermann & Partner entwickelten in Zusammenarbeit mit Frank Gehrys Büro eine verfeinerte Methode, die es erlaubt, bestimmte Flächen durch ein Netz ebener Vierecke zu approximieren. Bei einem Vierecksnetz stoßen nur mehr vier Paneele aneinander, allerdings ist dieses Verfahren auf die Diskretisierung von einer bestimmten Klasse von Flächen, den Translationsflächen, beschränkt. Auch in Österreich wird zur Geometrierationalisierung geforscht. Die Wiener Forschergruppe um Helmut Pottmann entwickelte eine Methode, bei der eine Freiformfläche durch ein Netz, das ebenfalls aus Polygonen mit mehr als drei Seiten besteht, angenähert wird. Die Polygone sind dabei anfangs nicht planar, können dann aber mithilfe eines iterativen Verfahrens unter anderem dahingehend optimiert werden, dass eine ebene diskrete Geometrie entsteht. Am Institut für Architektur und Diese Methode wurde zum Beispiel bei der Medien der TechAußenhaut des Yas Marina Hotels in Abu Dhabi nischen Universivon Asymptote Architecture verwendet. tät Graz wird momentan an einem weiteren Ansatz gearbeitet. Die hier erforschte Methode basiert auf Verschneidungen von Tangentialebenen der originalen kontinuierlich gekrümmten Fläche. Dabei wird eine beliebige Anzahl von Punkten, die frei verteilt sein können, in den [u, v]-Parameterraum der originalen Fläche übertragen. Die so gewonnenen Punkte auf der Fläche bilden die Basispunkte der Tangential- ebenen, die später miteinander geschnitten werden. Die Schnittlinien der Tangentialebenen bilden dabei die Seiten der ebenen Paneele der diskreten Geometrie. Das Besondere an dieser Methode ist, dass durch die Verschneidungen der Ebenen komplexe, ornamentale Muster entstehen. Die diskrete Geometrie kann dabei, je nach Flächenkrümmung und Positionierung der Tangentialebenen bzw. ihrer Basispunkte auf der Fläche, aus ebenen Polygonen mit variablen Seitenanzahlen zusammengesetzt sein. Jede neue Zusammenstellung von Basispunkten lässt ein eigenes Muster entstehen. Die Muster tendieren dabei automatisch zu einer Konfiguration, bei der immer nur drei Paneele an den Eckpunkten der Flächen zusammenstoßen. Den Architekten spektakulärer Freiformbauten wird gerne vorgeworfen, dass ihre Entwürfe jeden Bezug zu verfügbaren architektonischen Produktionsverfahren verweigern. Tatsächlich geben die Architekten das Problem der geometrischen Rationalisierung für den Bau solcher Entwürfe im Regelfall an spezialisierte Bauingenieure weiter. Eine solche Arbeitsteilung verhindert allerdings, dass Form und Struktur, Konstruktion und Herstellungsprozesse im bestmöglichen Einklang entwickelt werden. Aus diesem Grund wurden im Zuge des Forschungsprojekts an der tu Graz digitale Entwurfswerkzeuge entwickelt, die es erlauben, die Bedingungen der baulichen Umsetzung einer Form von Anfang an in den architektonischen Entwurfsprozess zu integrieren. Herzstück dieser Tools ist ein neues geometrisches Objekt, das prototypisch für die Rhinoceros-3D-Software implementiert wurde und deren native Polygonnetz- und nurbs-Geometrien komplementiert. Dieses geometrische Objekt formt automatisch die planare Diskretisierung einer kontinuierlich gekrümmten Fläche unter Verwendung der beschriebenen Tangentialebenenschnittmethode. Unter Verwendung dieses neuartigen Werkzeugs wurde auch die "Kobra" entwickelt, eine Prototypstruktur, welche in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Holzbau an der tu Graz realisiert wurde. Die Kobra wurde als selbsttragende Schale aus Brettsperrholz ausgeführt, einem relativ jungen Baustoff, der auf diese Weise im Kontext digitaler Fabrikation noch kaum Verwendung fand. Die Struktur ist 10 × 4 × 4 Meter groß und besteht aus 51 vier- bis siebeneckigen Platten, die mit keilförmigen Laschen aus hochfestem Furnierschichtholz aneinander befestigt sind - eine eigens für diese Anwendung entwickelte Holzverbindung. Die Prototypstruktur wurde in der htbla Graz-Ortweinschule gefertigt und kann in den Inffeldgründen der tu Graz besichtigt werden. N "Kobra" aus Brettsperrholz

28
bim Building Information Modelling | Erfahrungsberichte Christian Aste, aste|weissteiner zt gmbh "Die Beschleunigungsmaschine" Mit nunmehr 37 Jahren Zivilingenieurtätigkeit - vor allem auf den Gebieten konstruktiver Hochbau, Brückenbau, Seilbahnbau und Sportstättenbau - erlaube ich mir einen Vergleich zwischen dem "Zeitalter der händischen Berechnung und Zeichnung" und der "digitalen Ära" anzustellen. Viele jüngere zt-Kollegen kennen den Rechenschieber und die Schrift- und Klothoidenschablonen oder gar das Spritzgitter und die Rasierklingen maximal von Erzählungen und lächeln mitleidig über meine händischen Kontrollrechnungen von kritischen Schnittkräften an einem Tragwerk. Vor mir am Schreibtisch steht eine alte curta-"Kaffemühle" als Briefbeschwerer. Naja - tempora mutantur! Die Frage stellt sich - frei nach Wilhelm Busch: Wird's besser, wird's schlimmer? Was sind die Vor- und Nachteile des 3D-Zeitalters? Lassen Sie mich ein paar dieser Parameter auflisten: Vorteile Die 3D-Darstellungen und 3D-Berechnungen mit stetig wachsender Nähe zur Wirklichkeit bringen Klarheit für den Bauherrn und die Ausführenden. Die Geschwindigkeit von Änderungen und Adaptionen vor allem auch in Verbindung mit E-Mail ermöglicht mehr Flexibilität und dadurch Optimierung des Bauvorhabens bis zum letzten Abdruck, sprich, bis zum Betonierbeginn. Die Sicherheit bei Routinen und bei Prüfkontrollen bürointern oder außer Haus steigt bei allen Planern und Subplanern. Ein statisch-konstruktives 3D-Modell mit den übersichtlichen grafischen Outputs erlaubt rasche und gezielte Optimierungen in Richtung Steifigkeit und Deformationen. Nachteile Unsere geistigen, teilweise schöpferischen Leistungen werden in Laienkreisen gerne als Maschinenleistungen angesehen, quasi als Knopfdruck am Computer und am Plotter. Die Folge davon sind durchwegs bei nahezu allen Auftraggebern Honorarminimierungen. Der Billigstbieter wird, ohne nachzudenken, zum Bestbieter. Diese primär finanzielle Schraube nach unten führt, wie seit jeher bekannt, zu gefährlichen Defiziten in den Planungsleistungen und schließlich zunehmend zu Bauschäden und Bauprozessen. Die Geschwindigkeit und Beschleunigung des Planungsprozesses führen schließlich auch zu Automatisierungen, Vernormungen, Verringerung der Freiheit des Ziviltechnikers. Auch die "Symbiose" zwischen Architekt und Bauingenieur geht sukzessive verloren - schade darum! Der Ziviltechniker wird zum Rechen- und Zeichenknecht, unser Berufsbild wandelt sich vom ehemaligen "Treuhänder und Notar" des Bauherrn und befugten Vertreter der Behörde (siehe zt-Gesetz) zum Lieferanten. Wir sollten dieser geistigen und pekuniären Verarmung zusammen entgegnen. Nicht leicht in diesen Jahren der Sparpakete und der Nivellierung nach unten. Ich plädiere für eine neuerliche Initiative unserer Kammer mit dem Inhalt, was geistige Leistungen sind und dass diese nicht dem Billigstbieter vergeben werden müssen! die Einrichtung und Pflege projektspezifischer, interdisziplinärer Datenstrukturen und die Konfiguration und Weiterentwicklung der gegebenen Datenschnittstellen zwischen sämtlichen intern und extern verwendeten Softwares. Nur so gelingt es, einen jederzeit konsistenten Datenpool aufzubauen, der dann die heterogenen Datenmengen aus allen Disziplinen, von Listen des Projektmanagements und der Ausschreibung über thermische, akustische oder baustatische Simulationsmodelle bis zu den zeichnerischen Darstellungen der Ausführungs-, Schalungs- und Gebäudetechnik-Planung verlässlich miteinander verknüpft. Interdisziplinäre Abstimmungen und Kommunikation werden so erheblich erleichtert und viele etwaige Planungsfehler bereits in frühen Projektphasen erkannt und vermieden. Di Thomas Gamsjäger, bWm Architekten und Partner Schöne neue Architektur-Welt? Building Information Managing (bim) im Alltag eines Architekturbüros Intelligente Werkzeuge, effiziente Plandarstellung, einfacher Datenaustausch und das alles bei reduzierter Rechnerleistung - zumindest die Beschreibungstexte der gängigen Softwaretitel machen ArchitektInnen im Büroalltag wunschlos glücklich. Building Information Managing (bim) heißt das aktuelle Zauberwort, entsprechende Produktwerbung ist en vogue. Den breit gefächerten Markt teilt sich eine überschaubare Anzahl an Herstellern. Leider bietet derzeit keiner ein in vollem Umfang zufriedenstellendes Portfolio. Wie steht es aber nun wirklich um bim im Alltag eines im freien Markt agierenden Architekturbüros? Eine spontane Umfrage in unserem Büro hat ergeben, dass zwei von zehn Projekten in Standards gezeichnet werden, die dem bim nahestehen. Viele Projekte werden allerdings noch - mangels vernünftiger Alternativen - entkoppelt umgesetzt. Pläne, Schnitte und Ansichten werden separat von der 3D-Ansicht aufgebaut und verwaltet. Dazu kommen noch die großen Probleme beim Datenaustausch mit unseren Konsulenten und den zahlreichen Fachplanern. Neuer Schwung durch mobile Devices Die letzten Entwicklungen im Hardwarebereich - allen voran Tablets und Smartphones - rufen kleine Softwareschmieden auf den Plan, die das Anwenderpotenzial erkannt haben. Rasche Verfügbarkeit zu DI Wolfgang Vasko, Vasko+Partner bim, mehr als nur ein neues Arbeitsmittel Wir arbeiten als eines der ersten Ingenieurbüros in Österreich mit bim, Building Information Modeling. Im Gegensatz zur herkömmlichen cad-Planungsmethodik ermöglicht die bim-Arbeitsweise ein Datenbank-basiertes, interdisziplinäres Arbeiten, bei dem alle Gebäudeinformationen in einem parametrischen 3DModell miteinander verknüpft werden und jederzeit von diesem abgerufen werden können. bim ist ein Prinzip, eine Arbeitsmethodik - eine Denkweise, von der wir als Ingenieurbüro überzeugt sind. Durch bim ist endlich ein umfassendes interdisziplinäres Arbeiten möglich, wir können die Effizienz innerhalb eines Projekts dank optimierter Datenströme und Prozesse steigern. Wesentlich für die erfolgreiche Implementierung von bim im interdisziplinären Kontext ist ein umfassendes bim-Datenmanagement: Es umfasst den Aufbau und die Verwaltung einer zentralen cad-Planungsmethodik, 28 | 29 bim Building Information Modelling

29
moderaten Preisen und plattformbedingt einfache Bedienung verhelfen zu Verkaufsrekorden. Der Softwaremarkt scheint nach Jahren wachgerüttelt. Schöne neue Welt! Die wünschenswerte Entwicklung in Richtung vollfunktionaler bim-Systemen ist vorgezeichnet, steht allerdings noch am Anfang. Der von Architekturbüros sehnlichst erhoffte Technologiesprung hängt maßgeblich von der Zusammenarbeit der Soft- und Hardwarehersteller ab.Es sollte nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis ausgereifte bim-Technologien nicht mehr aus dem Alltag von Architekturbüros wegzudenken sind - und uns eine schöne neue Arbeitswelt bescheren. Matias del Campo & Sandra Manninger SPAN Architecture & Design bim - Computational Models und numerische Fertigung Im Rahmen der Expo 2010 hatten wir die Möglichkeit, anhand des ÖsterreichPavillons erstmals Building Information Modeling in durchgängiger Form einzusetzen. Die dabei entstandene digitale Kette zog sich von den ersten Entwurfsmodellen, die bereits in der Wettbewerbsphase entstanden, bis zum bim-Modell des Bauwerks, das sämtliche Gewerke umfasste und unter anderem die Kollision der Gewerke (zeitlich und räumlich) verhinderte. Neben der Planung und Organisation von Projekten hat Building Information Modeling das Potenzial, massiv im Herstellungsprozess eingebunden zu sein. Ein stringent aufgesetztes Computational Model kann als Fabrikationsgrundlage dienen. Teile werden dann durch computergesteuerte Maschinen erzeugt (Lasercutter, Industrieroboter und auch 1:1-3D-Drucker), die Daten kommen hierbei direkt aus dem 3D-Computermodell und erlauben eine bisher kaum gekannte Präzision. Dabei eröffnen sich natürlich auch für den Architekturentwurf neue Möglichkeiten, denn rigide Standardisierung ist dann kein Thema mehr, räumlich und gestalterisch sind kaum Grenzen gesetzt. Ein bereits bekannter Aspekt ist, dass zum Beispiel einem cnc (Computer Numerical Control)-Lasercutter völlig egal ist, ob er 100 gleiche oder 100 verschiedene Schnitte durchführt. Es ist nur eine Frage der Programmierung und des Erstellens einer intelligenten Fabrikationsstrategie. Diese neuen Ansätze im Entwurf wie auch in der Ausführungspraxis erlauben es, Form und funktionelle Aspekte gemeinsam zu einer performativen Oberfläche zu vereinen, die Trennlinie zwischen Detail und Fläche wird dabei aufgehoben. Das bim-Modell dient als Schnittstelle zwischen allen beteiligten Planern und Fachleuten. Im Idealfall gibt es nur ein 3D-bim-Modell, irgendwo in der Cloud, das allen beteiligten zur Verfügung steht und eine Sammlung sämtlicher Informationen darstellt. Der Vorteil besteht darin, dass Geometrie eine globale Sprache ist, im Gegensatz zu Plänen die manchmal Interpretationsfreiraum lassen. Man plant nicht mehr am Plan, man plant am 3DModell. Ing. Georg Riel, Architektur Consult zt GmbH Digitale Prozesse - Building Information Managing - Traum und Wirklichkeit Die Verwendung des bim, ist eine tolle Sache, jedoch in der Realität gestaltet sich die Nutzung eines komplexen Modells aus verschiedenen Faktoren als schwierig umzusetzen. Zu Beginn stellt sich die Frage der Programmnutzung - welche Software mit welchen Schnittstellen für welches Projekt. Die Entwürfe werden in ihrer Formensprache immer komplexer, die Programme immer spezifischer. Die Problematik liegt beim Anwender der mit der Entwicklung der Software mangels Zeit für ein Update meist nur einen Bruchteil der Leistungsfähigkeit der Programme nutzt. In unserer Firma wird das Problem durch "Spezialisten" gelöst. Nach einem "2D-Konzept" der Architekten wird das Modell von ebendiesen in ein bim umgesetzt und zur weiteren 2D-Bearbeitung retourniert. Dieser Kreislauf erfolgt im besten Fall drei- bis viermal, bis das Ergebnis präsentiert wird. Die Verwendung des fertigen bim als Grundlage für Haustechnik, Statik, Bauphysik oder Facility Management wurde noch nie ohne Abstriche durch inkompatible Schnittstellen oder nicht ausreichend geschulte Mitarbeiter erreicht. So ist die Akzeptanz der Arbeit mit bim an Zeit- und Personalaufwand zu messen. Derzeit erfreuen sich eher Großprojekte als Einfamilienhäuser an der virtuellen Darstellung, welche von nicht unbedingt entwurfsfreudigen Spezialisten umgesetzt werden. Unser Ziel kann nur die breit gestreute Verwendung des bim von allen Planungsbeteiligten, sein, dafür fehlt jedoch (wie so oft) Zeit und Geld zur optimalen Schulung im Umgang mit den Programmen. GM RAILING® flexibel, sicher, genial einfach. Ganzglasgeländer Das Original TRAV/Kat. B-geprüft 8 Baureihen Vorgefertigte Glasbaumodule 50 % weniger Montageaufwand Stufenlos justierbar Umfassende Beratung Glas Marte GmbH GM RAILING® Brachsenweg 39 6900 Bregenz, Österreich railing@glasmarte.at www.gm-railing.com

30
Grundstücksdatenbank See you: www.bev.gv.at OPEN SPACES Architektur ist international. Wir auch. Als Marktführer für Glas-Faltwände und Balkonverglasungen bietet Solarlux weltweit innovative Öffnungskonzepte für anspruchsvolle Architektur. Realisieren Sie mit unseren Verglasungslösungen großflächige Öffnungen und transparente Räume - energieeffizient, hochwertig in Technik und Material sowie mehrfach ausgezeichnet im Design. Solarlux liefert jenseits uniformer Standards maßgeschneiderte Lösungen "made in Germany" für Objekte jeder Größenordnung. In über 50 Ländern der Welt. Wir unterstützen Sie gern mit einem international erfahrenen Team bei der individuellen Entwicklung und Ausführung von Projekten - vom ersten Planungsstadium bis zum Baustellen-Management. Meine Entscheidung: Bewusst bauen mit Sto-Fassadendämmsystemen. Eine Sto-Fassade ist mehr als das Gesicht eines Hauses. Sie beeindruckt auf den ersten Blick durch Ästhetik und weckt Lust auf mehr. Wer aber ihre inneren Werte kennt, weiß, was perfekte Fassaden ausmacht: Top-Qualität, innovative Technologien, perfekte Abstimmung von Systemen und Zubehör, erstklassige Beratung und umfassender Service. An meine Fassade kommt nur Sto - das Beste. neue Ziele o E-Government o Schnellere Verfahren neue Wege o Vollelektronischer Workflow o Neue, kundengerechte Produkte neue Produkte o Vordurchführungsebene o Archivplan o Grundstücksprotokoll o Hist. Grundstücksverzeichnis neue Zugänge o BEV Web-Shop o Produkt-Webservice-Zugang BEV - Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen Kundenservice Schiffamtsgasse 1-3 1020 Wien Tel.: +43 1 21110-2160 Fax:+43 1 21110-2161 E-Mail: kundenservice@bev.gv.at See you: www.bev.gv.at Grundstücksdatenbank BEV Solarlux Austria GmbH T: +43 (512) 209023 F: +43 (512) 908161 www.solarlux.at info@solarlux.at 30 | 31 Anzeigen

31
Demner, Merlicek & Bergmann Fernkälte von Wien Energie: ohne viel Anzeigen www.wienenergie.at Wien Energie Fernwärme, ein Unternehmen von Wien Energie.

32
Die Erdgesch0ßzone | Was wir schon wissen oder nicht wissen Betül Bretschneider ist Architektin und Forscherin im Bereich Architektur und Urbanistik. Ihre Studie zur Entwicklung der Erdgeschoßzone und Stadterneuerung in Wien wurde 2008 veröffentlicht. Sie lehrte in den letzten Jahren an der TU Wien und schrieb regelmäßig für Fachpublikationen. Was geschah bis jetzt? Im letzten Jahrzehnt, in Zeiten des intensiven Stadt(teil)marketings, setzten die Initiativen der Stadterneuerung zur Aufwertung der leer stehenden Wiener Einkaufsstraßen als Schwerpunkte Kunst(ähnliches) und Kreatives. Ihre Projekte endeten ohne erkennbare Einflüsse. Als Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou die Erdgeschoßzone und die Nutzungsmischung zu Zielen ihrer Stadtpolitik erklärte, verschob sich der Schwerpunkt hin zur Schaffung belebter Stadtentwicklungsgebiete. Es sollte aber viel mehr sein als die Aufwertung einer mittelschichtorientierten Stadt, nämlich eine Neu-Strukturierung im Planungsgeschehen. Die methodischen Ziele sollten "partizipative Planung" und "städtebauliche Verträge in der Baurechtschaffung" zu einer sozialen und infrastrukturellgesicherten Entwicklung sein. 2011 führte eine Initiative der Stadtentwicklung Wien (MA 18) zu einer Diskussionsreihe1 sowie zu einer Publikation, die Stellungnahmen von ExpertInnen und VertreterInnen der Stadt zum Thema "Perspektive Erdgeschoßzone"2 zusammenfasste. Die Ergebnisse sollten der Planung, Wohnbauförderung, Gesetzgebung und Wirtschaftsförderung zu einer kollektiven Sensibilisierung und Bereitschaft zum Bündnis verhelfen. Die Erkenntnisse, die in den Stellungnahmen und Diskussionsrunden wiederholt geäußert wurden, zeigen, dass die EG-Zone zwischen privaten und öffentlichen Bereichen der Stadt zuständigkeitsbezogen zwischen den Stühlen sitzt, dass der Zustand der Erdgeschoßzone die Lebensqualität der Bewohner direkt beeinflusst, dass die Beschaffenheit der EG-Zone das Spiegelbild der Stadt ist, dass die vorgeschriebene PKW-Stellplatznachweispflicht (Stellplatzregulativ) im Zuge der Dachgeschoßausbautätigkeit in den letzten Jahren in der EG-Zone eine Minigaragen-Epidemie auslöste, dass es innovative Nutzungen und Nutzer für die EG-Zone (u. a. Pixel-Hotels, Fahrradgaragen) bereits gibt, aber weiterhin neue Ideen entwickelt und unterstützt werden sollen, dass höhere EG-Räume besser und flexibler nutzbar wären, dass die Mieten unrealistisch hoch sind, dass die Vermieter besser informiert werden sollten und dass es keinen Mieterschutz gibt . Es gibt Denkgewohnheiten oder Empfindungen, die bei Diskussionen oder Gesprächen immer wieder vorkommen, deren Standfestigkeit überprüft werden müsste: Zum Beispiel die Ansicht, dass Wohnen in der EG-Zone wegen fehlenden Lichteinfalls "unzumutbar sei". Das ist in vielen Lagen nicht der Fall. Paradoxerweise sind Arbeitsräume den Lichteinfallregeln nicht unbedingt unterworfen. Und gute architektonische Lösungen schaffen sowohl im Bestand als auch im Neubau hoch qualitative Wohn- und Arbeitsräume im EG. Außerdem ist die EG-Zone für eine Kombination von Wohnen und Arbeiten ein idealer Standort. Allerdings fragt sich, ob die gesetzlichen und förderungstechnischen Restriktionen, die sich gegen solche Mischnutzungen richten, nicht hinterfragt werden sollten. Trotzdem wohnen heute zahlreiche Stadtbewohner in der EG-Zone: Zum Teil in bautechnisch hoch komfortablen Wohnungen mit Grünbezug. Zum Teil aber doch in den feuchten, dunklen und verkehrslärmenden Substandardwohnungen, weil sie keine andere Wahl haben. Die Frage ist, wie dieser Gruppe, die auf "leistbare" aber "nicht zumutbare Substandard-, Souterrain- und Erdgeschoßwohnungen" in der gründerzeitlichen EG-Zone angewiesen ist und die sich geförderte Wohnungen in den neuen Stadtentwicklungsgebieten nicht leisten kann, zu helfen ist, ohne sie zu verdrängen. Es gibt für das Wohnen und Arbeiten in der EG-Zone bereits technisch und architektonisch hoch qualitative Umbauten für Wohlstandsbürger, aber was tun für die "anderen" Bürger, deren Zahl voraussichtlich in Zukunft steigen wird? Kann die Wohnbauförderung leistbare Wohnungen nicht absichern? Wieder ins Containerlager? Deregulierung der "homogenen" Stadt? Das oft erwähnte Problem der Einsichtigkeit der EG-Wohnungen stört viele Bewohner (wie z. B. junge Intellektuelle) kaum. Außerdem gäbe es Möglichkeiten zur Lösung wie die Schaffung von kleinen Pufferzonen zu Passanten oder zu Autos. Die Städte Basel oder Berlin lassen z. B. die nicht-kommerziellen Nutzer der EG-Zone mit einfachen Mitteln handeln und kleine Freiheiten in Anspruch nehmen: wie Begrünungen vor den Fenstern oder private Sitzmöglichkeiten auf den Gehsteigen ohne offizielle Genehmigungsverfahren und Kosten.3 Die Berliner Stadterneuerungsbehörde erlaubt im Zuge des Stadterneuerungsprozesses eines Viertels der Kleinstgastronomie oder anderen startenden Kleinstunternehmern, eine Zeit lang ohne strenge Auflagen und ohne bauliche Vorschriften zu existieren, bis sie sich etab- 32 | 33 Die Erdgeschoßzone

33
Wiener Planungswerkstatt 2012, Diskussionsreihe "Stadtbauen". 2 Hrg.: MA 18 Stadtentwicklung und Stadtplanung; Red.: Scheuvens, R., Schütz, T., Wien: Perspektive Erdgeschoßzone. 3 Bretschneider, B., win wi[e]n: blockentwicklung erdgeschosszone: Optimierung des Blocksanierungsprogramms zur nachhaltigen Entwicklung der Erdgeschosszone und der (halb-)öffentlichen Räume. 4 BMW fährt in BerlinKreuzberg gegen die Wand, www.spiegel.de/ kultur/gesellschaft/ bmw-guggenheim-lab-inkreuzberg-nach-protesten-abgesagt-a-822478. html 5 Arbeitsgemeinschaft IFIP und SRZ Eigentümerstruktur im Wr. privaten Altbaubestand, 2007, verfasst im Auftrag von AK Wien. liert haben. Anfänglich brauchen sie z. B. keine Lüftungsanlagen oder keine Nassräume. Das funktioniert in Wien auch im Sinne der "Aufwertung" in den Standl-Lokalen der Wiener Märkte, die ohne "einiges" auskommen. Sie werden heute von Touristen und Szene-Anhängern überrollt. Hinsichtlich der Nutzbarkeit ist der enge Zusammenhang von EG-Räumen mit ihrer unmittelbaren Umgebung hier hervorzuheben: Bautypologisch gesehen grenzen in Wien die EG-Räume mehrheitlich an Straßenräume oder Hofflächen. Die Stigmatisierung durch asphaltierte Flächen und deren Hygiene (z. B. Hundekot) wird auch als ein Erschwernis gesehen. Bei Aufwertung auf falsche Karte gesetzt? Bei den Aufwertungsprojekten in Wien wurden ethnische Unternehmen wegen ihres Erscheinungsbildes oft als Erfolg dämpfend gesehen. Viele der Aufwertungsgebiete waren - zufällig - die Konzentrationsgebiete von EG-Straßenlokalen zugewanderter Wiener: eine Entwicklung, die bei den Aufwertungsinitiativen als noch unerwünschter als der Leerstand galt. Überraschenderweise wurde die Aufwertungsdynamik gerade von der katalysierenden Mischung aus jungen und ethnischen Bewohnergruppen in Gang gesetzt. Die Auslöser der rasanten Entwicklung der letzten Jahre zur Aufwertung um den Naschmarkt und im Brunnenviertel waren gerade ein paar ehemals studierender Zuwanderer, die es von Gemüsehändlern zu chicen Gastronomen gebracht haben. Wenn die umkämpften Stadtgebiete wie Kreuzberg in Berlin betrachtet werden, sieht man, dass die Aufwertung - wegen steigender Mieten - nicht als harmlos empfunden wird.4 Klassische Folgeerscheinung in vielen europäischen Städten ist, dass die Zahlungsschwächeren immer mehr in Richtung monofunktionaler Wohnsiedlungen verdrängt werden, die sich dann zu Problemzonen entwickeln. In Kreuzberg werden bereits Touristen von Gentrifizierungsgegnern als preissteigernde Drohung für unerwünscht erklärt. Setzt die Vertreibung des BMW Guggenheim Lab (ein Wander-Pavillon mit kultureller Funktion, welcher vor Kurzem in New York in einem wachgeküssten Viertel thronte) aus Kreuzberg ein Zeichen? Wie entsteht eine Entwicklungsdynamik und wie viel davon ist noch verträglich? Leerstand ist vorprogrammiert? Eine Barriere für potenzielle Nutzer der EG-Zone ist oftmals die Bausubstanz, die lange Zeit nicht instand gesetzt wurde. Die nötigen baulichen Verbesserungen liegen auf Seite der Mieter. Dazu kommen nicht gerade nachfrageorientierte hohe Mieten. Die Wohnbauförderung zielt grundsätzlich auf Wohraumschaffung oder Wohnraumverbesserung. Daher sind andere Nutzungen wie Büros, Geschäfte oder Werkstätte nur bedingt bis gar nicht mitgefördert. Das ist einer der Gründe, warum die EG-Räume vernachlässigt werden. Außerdem gibt es Eigentümergemeinschaften oder Großinvestoren, die in den letzten Jahren die gründerzeitlichen Häuser reihenweise gekauft haben.5 Da sie grundsätzlich nur am Verkaufswert der Häuser interessiert sind und bei Leerstand die "angenommenen" Mieteinnahmen als Berechnungsbasis verwenden, bemühen sie sich nicht wirklich darum, die EG-Räume zu vermieten. Oder war es leichter, die vorhandenen EG-Räume zu Garagen umzubauen und zu vermieten, weil dieses Bewilligungsverfahren in der Regel einfacher ist als andere Umwidmungsverfahren, obwohl die Umbaukosten, insbesondere statische Änderungen für Garagentore, hoch sind? Obwohl es keine finanziellen Unterstützungen für Nicht-Wohnnutzungen in der EG-Zone gibt, wird die Entstehung der Garagenplätze sowohl im Neubau als auch im Umbau mitgefördert. Gäbe es nicht einiges, was zugunsten der EG-Zone doch von der Stadt neu reguliert werden könnte? Die Frage ist, (wie) wird es politisch getragen? N Die Erdgeschoßzone

34
Das Komplexe einfach machen. Die Software für Ihre effiziente Bauplanung. Damit Sie stets alles im Blick haben: Zeit, Ort und Kosten. Mit Nevaris. www.nevaris.com 34 | 35

35
Der konische Wellenbrecher | Anna Soucek, geboren in Wien, Studium in London. Mitarbeit an Ausstellungen, Mitbegründung des forum experimentelle architektur. Freie Mitarbeit bei Radio Österreich 1 (Kunstradio, Leporello, Diagonal, Nachtquartier). Wiener Architekturbüro baut expo-Pavillon in Südkorea anregt, Interpretationen offenlässt und den Besuchern individuelle Zugänge ermöglicht. Einen Ansatz lieferten die topografischen Gegebenheiten des Ortes. Im Bereich der alten Industriehafenanlage, jetzt das EXPO-Gelände, war die Küstenlinie, der Übergang zwischen Wasser und Land, bereits mehrfach modifiziert worden. Die Neugestaltung der Promenade mit dem Themenpavillon stellt eine weitere Umformung dieser Linie dar, eine "Neuverhandlung zwischen Wasser und Land, die sich in unserem Gebäude abzeichnet", sagt Rutzinger. Gelöst wurde das so, dass sechs Ausstellungskörper ins Wasser gesetzt wurden und dadurch eine neue, mäandernde Küstenlinie zeichnen. Ein vorhandener Wellenbrecher, der V-förmig im Hafen liegt, wurde als Bauplatz und Teil der Fundierung gewählt. Verbreitert, ausgebaut und mit dem Festland verbunden, wurde der Wellenbrecher zur Promenade, über die der Zugang zum Themenpavillon erfolgt. Von der öffentlich nutzbaren Promenade gelangt man über einen Weg auf das Dach des Pavillons und auf die Oberseite des größten Kegels, einer Aussichtsplattform mit Blick in alle Richtungen, aufs Meer und aufs EXPO-Gelände landwärts. Dieser Kegel ist aus der Zusammenlegung von ursprünglich zwei separat geplanten Kegeln entstanden, um für die Multimediapräsentation im Inneren mehr Raumvolumen zu schaffen. Bis auf diese Abänderung des Wettbewerbsentwurfs ist das Projekt weitgehend wie geplant umgesetzt worden. Es beruht auf zwei geometrischen Prinzipien, erläutert Stefan Rutzinger von sOMA: "Diese ursprünglich sechs Kegel sind in ein trianguliertes Netz eingeschrieben. Das Netz wurde verzogen, sodass sich die Kegel deformieren und im Gebäude die Funktionen ihren Platz finden. Das ist eine geometrische Operation. Das zweite Prinzip ist, dass wir im Innenraum diese Kegel, die in erster Linie aus vertikalen Wandflächen bestehen, in die Horizontale gedreht haben und so zu Ebenen werden lassen." Die Funktionen im Gebäude sind zwar klar durch die sich drehenden Flächen voneinander getrennt, stehen aber miteinander in Verbindung. Dualität kommt immer wieder vor. Etwa darin, dass der Pavillon vom Wasser ganz anders aussieht als vom Land aus gesehen. Zum Meer hin ist die Fassade mit den dicht gestaffelten Sichtbetonkegeln eher geschlossen, nicht zuletzt deshalb, weil hier mit starken Wellenereignissen zu rechnen ist. Zur Landseite hin löst sich das Gebäude in eine Fassade aus filigranen Lamellen auf, öffnet sich und gibt den Blick frei. "Dazwischen gibt es eine Verhandlung zwischen diesen beiden Extremen, dass man versucht möglichst kontinuierlich von der einen Extremsituation in die andere zu führen. So ist das auch im Inneren. Es gibt die vertikalen Räumlichkeiten und die horizontalen, zwischen denen eine räumliche Differenzierung besteht, dennoch sind die Übergänge fließend." Die Gestaltung der landseitigen Fassade beruht auf einer technischen Neuentwicklung. Eine Weltneuheit, wie sie einer Weltausstellung gebührt. Dass über die Fassade der Sonneneinfall reguliert werden kann, war von Beginn an eine Anforderung, doch wollten die Architekten die In der südkoreanischen Hafenstadt Yeosu wurde Mitte Mai die EXPO 2012 eröffnet, eine "kleine" Weltausstellung, bei der sich die einzelnen Länder nur mit Ständen, nicht jedoch mit eigenen Musterbauten präsentieren. Das Thema ist, entsprechend der Lage der Austragungsstadt auf einer Halbinsel, dem Meer gewidmet: "Der lebende Ozean die Küste". Das Hauptgebäude wurde von einer österreichischen Architektengruppe mit Namen sOMA architecture entworfen. Als der Wettbewerb für den Themenpavillon in Yeosu durch das Organisationskomitee der EXPO 2012 ausgeschrieben wurde, gab es das spätere Preisträger-Büro eigentlich noch gar nicht. Kristina Schinegger und Stefan Rutzinger hatten vor allem Wettbewerbe gezeichnet, aber nichts gebaut und sich mit Martin Oberascher und Günther Weber zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen. sOMA wurde das frisch gegründete Büro genannt, nach dem Griechischen Begriff für "Körper", . "Der Gewinn des Wettbewerbs war die Initialzündung für unser Büro", sagt Stefan Rutzinger, "dann ging es Schlag auf Schlag. Es galt, schnell einiges zu organisieren: eine Firmenstruktur aufbauen, Büroräume finden, Mitarbeiter engagieren." Allzu gute Chancen hatten sich die jungen Architekten mit Wohnsitz Wien nicht ausgerechnet, traten sie bei dem offenen Wettbewerb gegen nicht weniger als 135 Mitbewerber an, darunter zugeladene Architekturstars wie Zaha Hadid und Winy Maas. "Wir haben uns gedacht, das wird eher ein Projekt fürs Portfolio. Entsprechend überrascht waren wir, als eines Vormittags im Oktober 2009 die Benachrichtigung eintraf, dass unser Projekt gewonnen hätte. Das war ein relativ flapsiger Dreizeiler in holprigem Englisch als E-Mail, den ich mehrmals lesen musste, bevor ich sicher war, den Inhalt verstanden zu haben. Es sind dann weitere E-Mails gekommen, auch die dringliche Einladung, zur Pressekonferenz und Preisverleihung anzureisen, die zwei Tage später stattfand. Das haben wir gemacht. Es war gerade noch Zeit, ein paar Mozartkugeln und Sachertorten als Gastgeschenke einzukaufen, und schon sind wir im Flieger gesessen." Gewünscht hatte sich das EXPO-Komitee ein Wahrzeichen für die Stadt, ein bleibendes Monument, das das Ausstellungsthema symbolhaft darstellt. Etwas wie das Atomium in Brüssel, das hätte wohl jede Stadt gerne. Zur Zeit seiner Errichtung ein zukunftsweisendes Bauwunder, ist es längst zum Wahrzeichen der Stadt geworden und sieht immer noch außergewöhnlich und modern aus. Auch der Themenpavillon in Yeosu wird bleiben. Er ist als dauerhaftes Gebäude angelegt. Über die Nachnutzung haben sich die Architekten schon gleich bei der Wettbewerbseinreichung Gedanken gemacht und vorgeschlagen, das Gebäude als Zentrum für Ozeane zu nutzen und ein Museum und eine Forschungsstelle einzurichten. Das kam bei der Jury gut an, ob es umgesetzt wird, liegt an Südkorea. Ein plakatives Symbol zu bauen war den sOMA Architekten zu wenig, sie wollten vielmehr ein vielschichtiges Landmark schaffen, das unterschiedliche Lesarten Der konische Wellenbrecher

36
gekrümmte, organische Formung des Gebäudes mit einem klassischen Lamellensystem, das über Scharniere funktioniert, stören. Die Vorstellung war eine Fassade, die sich weicher öffnen lässt,  wie Kiemen eines Fisches. Eine schöne Idee, doch die technische Umsetzung blieb zunächst offen. Kurz nach der Wettbewerbsentscheidung fanden die Architekten aus Wien ein Ingenieurbüro aus Stuttgart, das zu ebendiesen Systemen forscht und Materialversuche macht. Gemeinsam mit Knippers Helbig Advanced Engineering wurde ein Fassadensystem entwickelt, das auf ein bionisches Vorbild zurückgeht, nämlich die Paradiesvogelblume, die sich auf eine spezielle Art öffnet, wenn sich ein Vogel auf sie setzt. Die Funktionsweise ist einfach: Die Lamellen sind lange, dünne, vertikale Streifen aus glasfaserverstärktem Kunststoff, einem Material, das steif ist, sich gut verbiegt und dann wieder die alte Form annimmt. An zwei gegenüberliegenden Eckpunkten gelenkig gehalten und an den zwei anderen Eckpunkten gegeneinandergedrückt, wodurch sich der Streifen auf- und zur Seite wölbt. Computergesteuert lässt sich das so inszenieren, dass nicht nur das Öffnen und Schließen möglich ist, sondern auch einfache abstrakte Muster wie Wellenbewegungen gebildet werden können. An den Längskanten sind die Lamellen mit LEd-Lampen besetzt, die nicht nach außen strahlen, sondern nach innen. Beim Öffnen und Schließen wird die 36 | 37 Der konische Wellenbrecher

37
Architekt Gerhard Haidvogel | Nachruf Am 5.3.2012 ist der Ehrenpräsident der ZT Kammer für Steiermark und Kärnten im 92. Lebensjahr verstorben. Seine vorbildliche Berufserfüllung sowie sein unermüdlicher Einsatz für die Interessen des Berufsstandes werden der Kammer immer in Erinnerung bleiben. In Wien geboren, übte Haidvogel seine Befugnis als Architekt von 1960 bis 1991 in Graz aus. Haidvogel war aber nicht nur ein anerkannter Architekt, sondern zählte zu einem der visionärsten Standesvertreter der Ziviltechniker. Er engagierte sich während und nach der Zeit seiner aktiven Berufsausübung für die Belange des Berufsstandes der Ziviltechniker, ob als Mitglied des Kuratoriums der Wohlfahrtseinrichtungen der Bundeskammer, als Sektionsvorsitzender der Architekten und Vizepräsident von 1974 bis 1982, als Vizepräsident der Bundeskammer von 1978 bis 1982 oder als Präsident der Kammer für Steiermark und Kärnten von 1982 bis 1986. In Würdigung seiner Verdienste um den Berufsstand wurde ihm der Ehrenring der Bundeskammer verliehen. Seine Kammer für Steiermark und Kärnten wählte ihn zudem zum Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit.Haidvogels Zeit als Präsident war geprägt von den Bemühungen der Kammer, in der Steiermark und in Kärnten die Rahmenbedingungen für die Berufsausübung in rechtlicher und finanzieller Hinsicht zu verbessern. Sein unbeugsames Auftreten gegen die Allmacht der Wohnbaugenossenschaften führte zwar bei ihm persönlich zu einem völligen Auftragsstopp auf dem Sektor des geförderten Wohnbaus, brachte aber für seine BerufskollegInnen wesentlich verbesserte Auftragsbedingungen durch neue Rahmenvereinbarungen. Auch die Abschaffung der Amtsplanung im Bereich der Landesverwaltung und des Magistrates geht auf seine Initiative zurück. Haidvogel war aber nicht nur ein Kämpfer nach außen, sondern er verstand es auch, viele seiner Kolleginnen und Kollegen in das Kammergeschehen zu integrieren und so die ehrenamtliche Arbeitsbasis der Kammer zu erweitern. Die gesellschaftlichen Veranstaltungen der Kammer für Steiermark und Kärnten wie die jährlichen Ziviltechnikertage und die gesamtösterreichischen Ziviltechnikerschimeisterschaften trugen dazu bei, das kollegiale Klima zu fördern und die Kammer für Steiermark und Kärnten zu einer angesehenen und respektierten Berufsvertretung zu machen. Nicht zuletzt das Verhandlungsgeschick von Haidvogel, aber auch sein Auftreten als Redner bei Veranstaltungen und sein gekonnter Umgang mit den Medien trugen ihm den Respekt seiner Partner, aber auch seiner Gegner ein. Allen, die mit Haidvogel ein Stück des Weges gehen durften und mit ihm zusammenarbeiteten, wird er als guter Kollege und echter Freund in Erinnerung bleiben. In der Kammer für Steiermark und Kärnten ist dem Ehrenpräsidenten zudem ein Ehrenplatz sicher. N Nachruf Gerhard Haidvogel benachbarte Lamelle angestrahlt, die Lichtmuster sind daher weicher und abstrakter als sonst bei Medienfassaden. Im Portfolio der sOMA Architekten ist das Yeosu-Bauwerk nicht das einzige des Typus Pavillon. Viel Beachtung fand der Pavillon aus diffus arrangierten Aluminiumstäben, den sOMA im Sommer 2011 im Auftrag des Musikfestivals Salzburg Biennale in der Salzburger Innenstadt aufstellten. Heuer wird der auf- und abbaubare Pavillon bei der Regionale in der Steiermark eingesetzt. Pavillons sind, so Stefan Rutzinger, ein dankbares Thema, vor allem temporäre. "Dadurch, dass es weniger Anforderungen als an ein permanentes Gebäude gibt, kann man viele Dinge einfacher oder verkürzt angehen und dafür mehr ins Experiment investieren. Technisch und ästhetisch kann man da viel fordernder sein." Für einen Wettbewerb der Neuen Oper Berlin erfanden die Architekten den "Synaesthetic Filter", einen Musikpavillon mit adaptiven Akustikelementen. Der Pavillon, wäre er umgesetzt worden, hätte einen synästhetischen Effekt ermöglicht: Akustische Signale verändern die Winkel der Hunderten abgehängten Paneele. Was zu hören ist, bestimmt Aussehen und Form des Pavillons. "Das ist ein Projekt, das wir nicht aufgeben können. Irgendwann machen wir es", sagt Stefan Rutzinger von sOMA Architekten. Warum nicht. Der EXPO-Pavillon ist ja nun auch gebaute Realität. N

38
Aon Holdings Austria GmbH www.aon-austria.at Ihr Partner in Sachen Sicherheit & Versicherungen "Es ist das Know-how, welches den Unternehmenswert ausmacht und den beruflichen Erfolg bestimmt. Doch wo Menschen arbeiten, passieren mitunter auch Fehler. Schützen Sie sich und Ihr Unternehmen deshalb rechtzeitig vor etwaigen Schadenersatzansprüchen durch Dritte." Ihr Berater: Prok. Peter Artmann I 1110 Wien, Geiselbergstr. 17 I t +43 (0)57800-159 I peter.artmann@aon-austria.at Aon_Anzeige_Konstruktiv.Juni2012.indd 1 11.05.2012 14:33:17 www.erstebank.at www.sparkasse.at " Ziviltechniker stehen gerne auf sicheren Beinen." Martin Wohlich, Erste Bank und Sparkasse " Mit einer Bank, die für die finanzielle Statik sorgt." Petra Kern, Erste Bank und Sparkasse Hinter jedem erfolgreichen Ziviltechniker steht eine starke Bank. Ob private oder berufliche Finanzen - unsere Kundenbetreuer liefern rasch und 286 38 | 39 kompetent maßgeschneiderte Lösungen für Ihre Bedürfnisse. Vereinbaren Sie einen Beratungstermin in Ihrer Filiale oder unter 05 0100 - 50500. EBSP_ImgArch_209x145_abf_Konstruktiv_151211.indd 1 22.08.11 09:25

39
Das Rezept ze t rf ten zur perfekten Küche. Beratung, Planung und Realisierung. Alles aus einer Hand. Professionalität in der Gastronomieausstattung erfordert Erfahrung in Planung und Baustellenbegleitung komplexer Projekte. Wir kennen die Arbeitsabläufe in modernen Großküchen und die damit verbundenen Anforderungen und stellen unser Wissen gerne in der Zusammenarbeit mit ArchitektInnen unseren KundInnen bei der Umsetzung auch hochkomplexer Projekte zur Stölner GmbH Günter Maurer Key Account Manager +43 (0) 676 830 81 307 Herzogenburgerstraße 9, 3100 St. Pölten T + 43 (0) 27 42 36 22 20-0 Burggasse 120, 1070 Wien T + 43 (0) 1 52 24 674 group

40
Fahrempfehlung Das von den österreichischen Architekten Delugan Meissl in Stuttgart erbaute Porsche-Museum inszeniert eine einzige Botschaft: Ein Porsche ist unsterblich! Von diesem Prinzip ausgenommen sind natürlich jene Wagen, die zu irreparablem Schrott gefahren wurden. Ist der Fahrer dabei gleich mit verstorben, kann man nicht mehr sagen, ihm sei sein Auto abhanden gekommen. Wahr ist jedenfalls, dass Porsches in der Regel nicht aus Altersgründen verschrottet werden. Es rentiert sich nämlich, sie zu restaurieren. Die meisten jemals gebauten Porsches, die keinen Totalcrash hatten, sind folglich noch auf den Straßen unterwegs. Wenn sie nicht, blank poliert oder verstaubt, in wohlklimatisierten Garagen stehen. Wie zum Beispiel im Porsche-Museum. Die dekonstruktivistische Tempelanlage der automobilen Unsterblichkeit empfängt den Besucher im Eingangsbereich mit einer Restaurierwerkstätte. Hier erfährt man, dass alle im Museum gezeigten Wagen noch in Verwendung stehen. Das Museum leiht sie regelmäßig aus für Rennen und rituelle Ausfahrten. Nach ihrer Rückkehr werden sie wieder aufbereitet zum Idealzustand eines die Zeitlichkeit irdischer Existenz überdauernden musealen Objekts. Porsches sind als Museumsstücke tot und lebendig zugleich. Konsequent werden sie von den Architekten wie auf einem endlosen Band inszeniert, als wären sie auf einer Straße bloß mal zwischendurch geparkt. Der Weg zum Himmel ist mit Porsches gepflastert. Wer bisher die Anschaffung eines solchen Autos für teuer hielt, wird hier eines Besseren belehrt. Im Angesicht der Ewigkeit schrumpft der Preis zum Schnäppchen. Und man beginnt einen Porsche als Investitionsgut, wenn nicht als Sparschwein zu sehen. Man muss ihn deshalb ja nicht gleich rosa umlackieren. Auch wer auf der Suche nach dem perfekten Öko-Auto ist, sollte nicht länger nach einem vw Polo schielen, sondern sich ruhig 200 PS mehr gönnen. Der höhere Benzinverbrauch wird von der Nachhaltigkeit des Wagens mehr als kompensiert! Man muss eben nicht immer die Welt verbessern. Es genügt, sie bloß anders zu interpretieren. Wolfgang Pauser Linkempfehlung konstruktiv digital Liebe LeserInnen des konstruktiv, an dieser Stelle freuen wir uns, Ihnen ergänzend zur Printausgabe des konstruktiv nun auch die digitale Version des Hefts auf www. daskonstruktiv.at vorstellen zu können. Mit der aktuellen Ausgabe steht eine Multimediaversion des Hefts online für Sie, Ihre Kollegen und Mitarbeiter, aber auch andere interessierte LeserInnen frei zur Verfügung. Dadurch können Sie künftig Ihre Ausgabe des konstruktiv überallhin mitnehmen, die digitale Version des Hefts ist selbstverständlich mit allen gängigen Mobile Devices kompatibel und lässt sich für den Fall, vom Internet abgeschnitten zu sein, auch einfach zuvor speichern, um es anschließend offline zu lesen. Die digitale Ergänzung des konstruktiv macht es jedoch nicht nur mobiler, sondern bietet auch neue Möglichkeiten, zusätzliche Inhalte einzubinden. Neben ergänzenden Bildstrecken und Videos finden sich auch Aufnahmen von Interviews und erweiterte Funktionen in den Infografiken. All diese Funktionen bieten uns künftig den Raum, Ihnen Fotostrecken und Informationen, die in der Printausgabe keinen Platz mehr fanden, zu präsentieren. Die Konzentration auf spezielle Kernthemen wird dadurch jedoch nicht in einer Bilder- und Datenflut untergehen, vielmehr werden diese Funktionen vertiefende Inhalte bieten. Mit der freien Zugänglichkeit im Web möchten wir es Ihnen auch erleichtern, Bekannte oder Kollegen auf Beiträge, die Ihnen besonders interessant erscheinen, hinzuweisen beziehungsweise diese gleich zu versenden. Das zusätzliche Angebot des konstruktiv im Web erhöht natürlich die Präsenz der Zivilingenieure und deren Leistungen noch weiter. Kontinuierlich wird sich auf www.daskonstruktiv.at ein Archiv aufbauen, das es zukünftig erlaubt, schnell in bereits erschienenen Ausgaben bestimmte Artikel nachzuschlagen. Eine komfortable Volltextsuche bildet zuvor alle Seiten ab, auf denen sich Suchergebnisse finden, um punktgenau navigieren zu können. Linkempfehlungen können Sie also künftig in der Onlineausgabe des konstruktiv auch sofort selbst ausprobieren. Wir freuen uns auf Ihren Besuch der neuen Website und auf die rege Nutzung der digitalen Version des konstruktiv. 40 | 41 Empfehlungen

41
Drei Planungsaufträge an einen Architekten - wann sind Architekturleistungen "zusammenzurechnen"? Die Zutaten der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Architekturdienstleistungen: ein öffentliches Sanierungsvorhaben, drei Bauphasen und drei separate Aufträge an einen lokalen Architekten. Der EuGH hatte sich kürzlich in der Rechtssache Autalhalle mit der vergaberechtlichen Frage zu beschäftigen, wann Aufträge für Architekturleistungen "zusammenzurechnen" sind: Der Entscheidung lag die von einer Gemeinde in Hessen beabsichtigte Sanierung einer Mehrzweckhalle zugrunde. Die Gesamtkosten für die Sanierung wurden auf EUR  1,95 Mio. geschätzt, wobei davon über EUR 273.000,- auf Architektenleistungen entfielen. Die Durchführung der Planungs- und Bauleistungen wurde über den Zeitraum 2008 bis 2010 in drei Bauphasen unterteilt, was die Gemeinde mit haushaltsrechtlichen Erwägungen begründete. Die Gemeinde vergab die Architekturleistungen für jede der drei Phasen (im Wert von EUR 104.000,-, EUR 89.000,- und EUR 70.000,-) ohne EUweite Ausschreibung jeweils an dasselbe Architekturbüro. Die entsprechenden Verträge seien separat zu vergebende eigenständige Dienstleistungsaufträge mit Auftragswerten, die jeweils unter den unionsrechtlichen Schwellenwerten (von damals wie heute rund EUR 200.000,-) lägen; maßgeblich sei allein der jeweilige Auftragswert. Der EuGH stellte eine funktionelle Betrachtungsweise an: Bei der Auftragswertberechnung von Dienstleistungen ist - auch dann, wenn für die Leistungen faktisch getrennte Aufträge erteilt werden - zu prüfen, ob sie einen einheitlichen Charakter in Bezug auf ihre wirtschaftliche und technische Funktion aufweisen. Das ist hier der Fall: Die Architektendienstleistungen werden für ein Gesamtsanierungsprojekt für ein und dasselbe öffentliche Gebäude erbracht. Das Wechseln des Gegenstands der Arbeiten in verschiedenen Ab- schnitten des Bauvorhabens (z.B. das Tragwerk, das Dach oder die Beleuchtung) bedeutete für den EuGH nicht, dass sich dadurch der Inhalt und die Natur der Architektenleistungen änderten. Folglich wiesen, entsprechend den Feststellungen des EuGH, die Architektenleistungen "in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität auf", die durch die Aufteilung der Leistungen in drei Bauphasen nicht als durchbrochen angesehen werden konnten. Der EuGH kam daher zum Ergebnis, dass die Architektenleistungen einen einheitlichen Dienstleistungsauftrag bilden, der den maßgeblichen Schwellenwert überschreitet, weshalb die Bundesrepublik Deutschland durch die Unterlassung einer europaweiten Ausschreibung gegen ihre Verpflichtungen aus der Vergaberichtlinie verstoßen hatte. (EuGH 15.3.2012, Rs C-574/10, Autalhalle) Johannes Schramm/Michael Weiner (Schramm Öhler Rechtsanwälte) Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang Energie und Politik im Anthropozän Texte von Paul J. Crutzen, Michael J. Mastrandrea, Stephen H. Schneider, Mike Davis und Peter Sloterdijk edition Unseld, 2011 Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang. Paul J. Crutzen Mike Davis Michael D. Mastrandrea Stephen H. Schneider Peter Sloterdijk edition unseld SV Der Architekt und Visionär Richard Buckminster Fuller prägte Ende der 1960er-Jahre das Bild vom "Raumschiff Erde". In dem kleinen Band "Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang" wird diese Vorstellung unter den Bedingungen des gegenwärtigen Klimawandels weitergedacht. Eröffnet wird die Textsammlung mit jenem kurzen, aber einflussreichen Aufsatz des Meteorologen Paul J. Crutzen, in dem der Nobelpreisträger den Begriff des Anthropozäns - also eines neuen, maßgeblich vom Menschen beeinflussten Erdzeitalters - in den aktuellen Diskurs einführte. Im Folgenden machen sich die Klimaforscher Michael J. Mastrandrea und Stephen H. Schneider Gedanken, wie sich die Menschen an den Klimawandel anpassen könnten, falls dessen Verhinderung nicht möglich ist. Dann preist der Urbanist Mike Davis die Stadt als ökologisch sinnvolle Siedlungsform und hält ein Plädoyer für nachhaltige Stadtmodelle. Am Ende des Bandes zündet der Philosoph Peter Sloterdijk eines seiner verbalen Feuerwerke und brandmarkt den Umgang des Menschen mit seinem Planeten mit einem Katastrophenfilm, "in dem rivalisierende Mafiagruppen sich an Bord eines Flugzeuges in 12.000 Metern Höhe ein Feuergefecht mit großkalibrigen Waffen liefern". Ein lesenswertes Buch, das zur (Re)Lektüre des ursprünglichen FullerTextes "Betriebsanleitung für das Raumschiff Erde" anregt. Grandios gescheitert Bernd Ingmar Gutberlet Lübbe, Köln 2012 Sie hätte alle anderen gotischen Gotteshäuser in den Schatten gestellt: Doch nach zweimaligem Einsturz bleib die Kathedrale der nordfranzösischen Stadt Beauvais unvollendet - ein ebenso beeindruckender wie disproportionierter Torso kündet noch heute von der Vermessenheit der Bauherren. In dem Buch "Grandios gescheitert" stellt Bernd Ingmar Gutberlet zwölf hoch ambitionierte Vorhaben der Menschheitsgeschichte vor, denen kein Gelin- gen beschieden war - etwa der Kalender der Französischen Revolutionäre oder die Plansprache Esperanto. Einige der gescheiterten Projekte haben mit Architektur im weitesten Sinn zu tun und zeugen von der Hybris, mit der die Idee des Errichtens oft einhergeht. Natürlich fehlt Atlantropa nicht, jener wahnwitzige Plan des deutschen Architekten Herman Sörgel, durch einen Damm die Straße von Gibraltar zu verbauen, den Spiegel des Mittelmeers um 200 Meter abzusenken und damit riesige Flächen von Neuland zu gewinnen; und auch nicht der gescheiterte Versuch des Industriellen Henry Ford, im Dschungel Brasiliens eine Musterstadt nach us-amerikanischem Vorbild aus dem Boden zu stampfen, in der die Menschen nach seinen moralischen Vorstellungen glücklich werden sollten. Bemerkenswert ist, dass nicht alle derartigen Vorhaben an Größenwahn und Hybris scheitern, sondern - wie im Falle Fordlandias - an Kleingeistigkeit und schlichtem Unvermögen. Michael Krassnitzer Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren

42
Ein Rund-Siegel für Nullen und Einsen | Wolfgang Fiala - Österreichs erster Ziviltechniker für Informatik Magdalena Klemun studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität Wien und ist als freie journalistische Mitarbeiterin für "Die Presse" tätig. Dauerhafte Sicherheiten in der schnelllebigen Welt der Informationstechnologie - das ist es, wonach Wolfgang Fiala trachtet, wenn er arbeitet. Und das tut er viel, oft auch bis spät in die Nacht hinein: ein Mann, ein Büro in Wien-Liesing, viele gewichtige Aufträge. Seit über 15 Jahren evaluiert der Informatiker die Qualität, Robustheit und Preisgestaltung von Softwarelösungen eines Umfangs, dem man getrost den Begriff "großes Kaliber" zuschreiben darf: Das österreichische Bundesrechenzentrum, das Wirtschaftsministerium, die AsFINAG und das österreichische Patentamt ließen sich von Fiala bereits unterstützen. In den vergangenen Jahren sind IT-Investitionen von mehreren Hundert Millionen Euro von Fiala begleitet und evaluiert worden. "Die Leute verlassen sich auf mich", fasst es der 60-Jährige selbst lapidar zusammen. Dabei hat Fiala als Informatiker, auf den man sich auch per behördlichem Gütesiegel "verlassen" kann, Pionierarbeit geleistet: Im Februar 1995 wurde er als Österreichs erster Ziviltechniker für Informatik vereidigt. Einer, der es mit Nullen und Einsen, mit abstrakten Datenstrukturen zu tun hat, auf einem Terrain deutlich greifbarer Disziplinen, etwa Bauingenieur- oder Vermessungswesen. Fiala selbst schlägt die Brücke zwischen Informatik und Ziviltechnik mit dem Begriff "technischer Notar": ein Techniker mit behördlichen Funktionen, der Gutachten erstellen und öffentliche Urkunden ausstellen darf. "Unter einem technischen Notar können sich die Leute leichter etwas vorstellen", erklärt Fiala, "als ich mein Büro eröffnet habe, wurde ich gefragt: Was macht ihr denn da?" Was genau er selbst als Student mit Informatik machen wolle, diese Frage musste sich Fiala trotz aller beruflicher Leidenschaft anfangs doch stellen. Die viele Mathematik zu Studienbeginn in den 1970er-Jahren sei "nicht ganz" seines gewesen - noch dazu in einem Fach, das Fiala nach dem Ausschlussverfahren gewählt hatte: "Ich wollte keine juristischen Fächer belegen und nicht Lehrer werden, also fiel einiges weg", erzählt Fiala, "bei der Informatik konnte mir niemand richtig erklären, was das ist." Nachsatz: "Ich wollte es wissen." Ende der 1970er-Jahre wusste Fiala genug, um überzeugt zu sein. Er wurde Universitätsassistent in Wien, absolvierte ein halbes Medizinstudium, bis klar war: Jener Teil seines Berufs, der mit Tüfteln zu tun hatte, der gefiel Fiala. Nur der abstrakte akademische Zugang zur Materie, der sollte nicht der seine bleiben: "Mir war das zu viel Theorie, ich wollte Ergebnisse sehen." Schon als Studentenvertreter forderte er daher die Möglichkeit, im Bereich der Informatik als Ziviltechniker tätig sein zu können. Mit Erfolg: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen wurden geschaffen, kurz danach eröffnet Fiala sein Büro und sah "Ergebnisse". Allerdings in Form von Fragen: Wie viel darf die Erarbeitung einer Softwarelösung für ein Ministerium kosten? Entspricht das Angebot dem Industriestandard? Sind die Sicherheitsvorkehrungen gut genug - oder hat bereits ein Angriff von Hackern stattgefunden? Und wenn ja, wie lässt sich dies beweisen? Fragen, die Fialas Einmannbüro nicht immer selbst beantwortet, sondern auch gemeinsam mit Projektpartnern, deren Arbeit er dann dokumentiert. Das österreichische Bundesrechenzentrum (BRZ), der zentrale behördliche Großrechner des Landes, war dabei immer wieder in Fialas Fokus: Er begleitete das BRZ bei der Umstellung auf elektronische Akte in mehreren Ministerien. Gerade hat er zudem für das BRZ an einer Studie zum Thema Cloud Computing mitgewirkt. Neueste IT-Entwicklungen mitzuverfolgen gehört daher ebenso zu Fialas Herausforderungen wie ein neutraler Blick: "Die Objektivität zu wahren, das ist bei Gutachten schwierig", so Fiala, "erstens hat der Auftraggeber eine Erwartungshaltung, zweitens sind meistens mehrere Schlussfolgerungen möglich." Was also tun? Die Gratwanderung so beschreiten, dass der Weg zur abschließenden Bewertung nachvollziehbar bleibt. "Da geht es oft um Satzstellungen", so Fiala, "man braucht Fingerspitzengefühl, wenn man es ernst nimmt." Vielleicht nicht ganz so ernst, aber dennoch wichtig nimmt Fiala seine private Leidenschaft: die Philosophie. Alle paar Wochen trifft er sich mit einer nachdenklichen Runde im Freundeskreis, um etwa Fragen der Gerechtigkeit zu diskutieren. Auch die Existenz des freien Willens war schon Thema. Ergebnisse will Fiala dabei nicht immer sehen, denn das macht ein Hobby aus: Kontrast zum Beruf - der korrekte "Notar" als Freigeist. N 42 | 43 Porträt Wolfgang Fiala

43
Vom Ball-Rasen zur Tabula rasa Das Konzept des "Stadtteilzentrums" ist seit jeher der Ausdruck der Sehnsucht nach identitätsstiftenden Räumen abseits des historischen Zentrums. Die "Neue Mitte Lehen" ersetzt einen ehemaligen Hotspot auf der Salzburger Stadtkarte. Rund um die erhalten gebliebene Rasenfläche des abgerissenen Lehener Fußballstadions wurde ein multifunktionaler Gebäudekomplex bestehend aus Wohneinheiten, Büro- und Einkaufsflächen und der neuen Stadtbibliothek errichtet. Wo einst die Zuschauer im Stadion tobten, herrscht heute suburbane Leere. Ein öffentlicher Zwischenraum ohne Identität ist entstanden, ein Raum ohne Eigenschaften. Der über der Wiese hoch aufragende Turm war als neues Wahrzeichen gedacht, aber die geplante Panoramabar ist seit Jahren verwaist. Man wünscht sich unwillkürlich eine Differenzierung des Terrains, eine Verwerfung im Rasen, einen Hügel zum Schlittenfahren, Bäume, Nutzungsangebote für verschiedene Generationen. Aber vielleicht könnte man diesen Leerraum ja als unfertig, als vorläufig verstehen, als eine leere Tafel, die erst beschrieben werden muss. Mit der Beteiligung und nach Wünschen der Stadtteilbewohner könnte die verordnete Mitte vielleicht zu einer tatsächlichen Mitte werden. André Krammer N Fehlanzeige Das nächste Heft Die Bestandsaufnahme ist essenzieller Teil jedes Planungsprozesses, sei es am Baugrund auf freiem Feld, im urbanen Raum, bei Umbau- oder Renovierungsarbeiten. Keine dieser Aufgaben kann ohne ihren Kontext gedacht werden. Doch was ist erhaltenswert beziehungsweise kann ohne Weiteres verworfen werden? Je nach Fachbereich sind andere Kategorien und Parameter für die Erfassung des Kontexts entscheidend. Ebendiese Ausgangsbedingungen fordern Planer immer wieder aufs Neue heraus, bekannte Muster zu hinterfragen und spezifische Lösungen zu finden. Die nächste Ausgabe des konstruktiv wird daher der Frage nachgehen, wie aus Bekanntem Neues entstehen kann. Tape Vienna / Odeon von Numen/For Use 530 Rollen Klebeband (35.600 m, 45 kg) Das kroatisch-österreichische Designkollektiv Numen/For Use verwob 35.600 m Klebeband mit dem vorgefundenen Kontext des Odeon und schuf dadurch eine begehbare temporäre Installation, die ohne den architektonischen Bestand nicht denkbar gewesen wäre.

44
Von oben betrachtet hat das Klagenfurter Fußballstadion runde Ecken. Das klingt nur widersinnig, ist aber äußerst sinnhaft: Der Ball ist rund, das Spielfeld eckig. Die meisten Stadien zollen der Ballform, der kleinere Teil dem Rasen mit ihrer äußeren Gestalt Tribut. Das Klagenfurter Ergebnis ist ein klares Unentschieden. Ein vernünftiger Kompromiss, wie man ihn, wenn man die Gesellschaft insgesamt von oben betrachtet, viel zu selten erblickt. Ob und wie sich die Gesellschaft auf dem Fußballplatz abbildet, inszeniert, kompensiert, symbolisiert oder gar symptomatisch in ihren Erkrankungen verrät, wird von Soziologen seit etwa einem halben Jahrhundert heiß diskutiert. In jeder dieser Deutungen spiegelt sich zuallererst die Zeit, in der sie erfolgt, mit ihren politischen Problemlagen ebenso wie mit dem jeweils aktuellen Stand der Theorie. Fest steht nur, dass sich das Fußballfeld zur Projektion gesellschaftlicher Befunde allerbestens eignet. Deshalb wagen wir sogleich einen kleinen Versuch für die Gegenwart: Zwei Mannschaften kämpfen erbittert um die Vorherrschaft, die "Politische Klasse" auf der einen Seite, die "Finanzwirtschaft" auf der anderen. Das Volk muss still sitzen, tatenlos zuschauen. Und es muss die Spieler beider Mannschaften für ihren sportlichen Wettkampf fürstlich bezahlen. Manche Zuschauer halten zur einen, manche zur anderen. Doch egal, wer dieses Match gewinnt, werden alle verlieren. Nicht zuletzt deshalb, weil für den Kredit, den so ein Stadion gekostet hat, von der Politik bereits die erwarteten Steuereinnahmen von den Enkeln und Urenkeln verpfändet wurden. Damit die Bank, die diesen Kredit gegeben hat, für ein Weilchen gerettet werden kann. Ein Fußball und eine Finanzblase ähneln einander in der Kreisform der Bewegung und ihrem Inhalt: heißer Luft. Unterschiedlich sind nur die Kosten für die Zuschauer. Hier ein paar Euro, dort Milliarden. Wolfgang Pauser N