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291, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten September 2013, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,– | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien Von oben betrachtet sieht eine Kläranlage wie eine Kläranlage aus. Doch auch im unklarsten Gebräu finden wir Unterschiede, die einen Unterschied machen. Nicht nur technischer, sondern auch kultureller Art. Und dabei ist nicht von Bakterienkulturen die Rede. Für unsere glückliche Versorgtheit mit Wasser müssen wir Mitteleuropäer nicht nur dem Himmelvater danken und der Mutter Natur, sondern mindestens ebenso sehr unserer Kläranlagen-Technik. Weil wir gute Menschen sein wollen und geschäftstüchtige Menschen sind, exportieren wir diese Technologie gern in alle Welt. Vor allem in die Dritte Welt, die man jetzt nicht mehr so nennt. Doch dort gibt es Probleme. Die Anlagen brauchen viel Wasser. So viel, wie in Europa selbstverständlich ist und in Afrika nicht. Kein Problem, möchte man meinen, schließlich bietet die deutsche Hilfsorganisation BORDA patentfreie Kläranlagen speziell für heiße, trockene Länder an. Sie kommen ohne bewegliche Teile und Elektrizität aus, sind wartungsarm, aus Sonnenkraft gespeist und funktionieren bestens. Bloß will die niemand. Die Gründe dafür sind kultureller Natur: In indischen Slums legen die Bewohner mehr Wert auf Fernseher und Kühlschränke als auf einen halbwegs hygienischen Umgang mit Abwasser. In China, dessen Flüsse als universale Abtransporteure in Verwendung stehen, hat man eine einzige Anlage gekauft, weil sie „als deutsches Importprodukt prestigeträchtig genug ist, um die lokalen Granden der KP zu beeindrucken“, berichtet Frank Drieschner in der ZEIT: „Drei Generationen südafrikanischer Ingenieure sind mit amerikanischen Lehrbüchern groß geworden. Aus ihrer Sicht muss eine Kläranlage so aussehen und funktionieren wie in den USA und in Europa. Sie muss groß, teuer und wartungsintensiv sein und viel Energie verbrauchen.“ Wolfgang Pauser N 291, „Der Blaue Planet verdankt seinen Namen 70 % Wasser. Das menschliche Gehirn besteht zu etwa 70 % aus Wasser. Asymmetrisch sind die Verhältnisse zwischen diesen beiden Gefäßen. Der Planet kann durch zu viel oder zu wenig Wasser die Gerhirnfunktion beenden. Das Gehirn kann demgegenüber nur versuchen, seine Ohnmacht durch Verstehen des Wassers, aber auch durch technisches Lenken des Wassers zu kompensieren.“ Wasser

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Klaus Thürriedl, Christian Aulinger Plus / Minus: Energieeffizienz Martin Stejskal-Ripka Fehlanzeige Die Auflösung des Zwischenraums 7 Wasser 8 – 10 WasserWissen | Die fließenden Überläufe zwischen Mythologie und Rationalität Wolfgang Pauser 11 – 14 Hochwasser endet nicht an Gemeindegrenzen | Auf dem Weg zu nachhaltigerem Hochwasserschutz Sebastian Jobst im Dialog mit Roland Hohenauer, Sven Fuchs und Karl Grimm 15 – 19 Risiko Fracking | Wenn Wasser statt Gas brennt Mathias Rittgerott 20 – 22 Der Wasserfußabdruck | Ein ökologischer Indikator zum Wasserverbrauch Wolfgang Rauch 23– 25 Wasser als Stromspeicher | Wenn erneuerbare Stromquellen in Dialog treten Magdalena Klemun 26– 29 Die richtige Entwicklungshilfe | Know-how, Geduld und andere wertvolle Ressourcen Wojciech Czaja 33 – 36 Parteien im Check | Nach der Wahl – ist vor der Wahl 37 – 38 Sie wünschen, wir planen! | Über die Notwendigkeit einer wirksameren Bebauungsplanung für eine nachhaltigere Stadtund Siedlungsstruktur Reinhard Seiß 40 – 41 Empfehlungen, Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt Hermann Knoflacher Judith Brandner 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Auch hierzulande sind die starren Reglements der Bauordnungen – arithmetischen und geometrischen Abstraktionen folgend – nicht selten ein Hemmschuh für avancierten Städtebau. Die Vorschriften, die die Abstände zwischen Gebäuden und zulässige Gebäudehöhen regulieren, gehen traditionell vom Objekt und dessen Belichtung aus und vernachlässigen die Konzeption der Zwischenund Leerräume, die den eigentlichen Stadtraum bilden. Möglicherweise könnte die drohende Klimaerwärmung einen Anstoß zum Umdenken geben, eine neue Balance von Licht und Schatten zu fördern, was unter anderem zur Wiederentdeckung der Vorzüge von Nordorientierung und kompakten, engeren Straßenräumen führen könnte. Die maßstäblich aufregendsten Straßenräume der Stadtgeschichte wären unter dem Regime der „45 Grad“ – die das Verhältnis zwischen Gebäudehöhe und Distanz zwischen Baufluchtlinien regulieren – nie zustande gekommen. Voraussetzung dafür wäre ein flexibles Qualitätsmanagement, das auch die Maßstäblichkeit der Zwischenräume in Bezug auf die Raumwahrnehmung der Stadtnutzer und Stadtnutzerinnen im Auge behielte. André Krammer N Mit diesem Rendering wird nicht Zaha Hadids Wangjing-Soho-Gebäude in Peking angepriesen, sondern dessen Kopie The Meiquan 22nd Century in Chongqing. Geht es nach den Entwicklern der Kopie, soll deren Gebäude noch vor Hadids fertiggestellt werden. Impressum konstruktiv 291 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01-505 58 07-0, F: 01-505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 14.500 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: Markus Guschelbauer – F. Michael F. = Fotograf Hassmann // Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria A. = Architekt Dusl // Seite 5: Otto Hainzl, bAIK // Seite 7–25: Silvio Maraini // Seite 21–22: vektorama.grafik.design. strategie Wien // Seite 27: Architektur ohne Grenzen // Seite 28: Jana Revedin // Seite 29: Markus Dobmeier // Seite 37: F. Mojo Reitter – A. arge reitter – eck&reiter // Seite 42: Fotostudio Huger // Seite 43: house.sina.com.cn // Seite 44: MA 41 – Stadtvermessung Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinngemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde aus dem Text von Wolfgang Pauser entnommen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst- und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01-524 98 03-0, F: 01-524 98 03-4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Das nächste Heft Spätestens seit der industriellen Revolution sind Technik und Ökonomie untrennbar ineinander verflochten. Bedingen der mittlerweile umstrittene Wachstumszwang der Ökonomie und der Innovationsdrang der Technik einander? Markenstrategien und Image spielen neben dem eigentlichen Know-how zunehmend eine wichtige Rolle, doch nicht nur in der Präsentation eigener Leistungen, sondern auch als Ausschreibungsfaktoren, wenn es gilt, gemäß der Firmenphilosophie des Auftraggebers zu konzipieren. Der Architektur war dies, wie bereits die Lektüre Vitruvs vermuten lässt, immer schon bekannt, doch wie verhält es sich mit anderen technischen Disziplinen? Diesen und weiteren Fragen zur Ökonomie der Technik geht das KONstruktiv 292 im Dezember nach.

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Editorial Seit jeher wurde das Wasser als kostbares Gut angesehen, im Codex Hammurapi (ca. 1700 v. Chr.) etwa finden sich bereits Gesetze, welche die Nutzung und Instandhaltung von Kanälen und Dämmen regelten. So ist es nicht überraschend, dass sich menschheitsgeschichtlich ebenso früh erste technische Spezialisten ausbildeten, die mit ihrem Wissen die Regulierung und stabile Versorgung mit Wasser sicherstellten. Bis heute hat sich an der Wichtigkeit dieser Aufgabe nichts verändert. Doch Wasser wird nicht nur physisch bewegt, sondern, wie Modelle wie der Urban Waterfootprint aufzeigen, auch virtuell, schließlich kann jedem Nahrungsmittel oder industriellen Produkt ein spezifischer Wasserverbrauch zugeordnet werden. Mit dem Ex- oder Import jedes Guts verschiebt sich derart eben auch entsprechend der rechnerische Wasserverbrauch, dass dies nicht nur eine theoretische Überlegung ist, sondern teils dramatische Auswirkungen hat, zeigen Beispiele wie der durch intensiven Baumwollanbau stetig weiter versiegende Aralsee. Relevant bleibt das Wasser auch im Energiesegment, mit rund 60 Prozent Strom aus Wasserkraft rangiert Österreich im internationalen Spitzenfeld. Weitere Relevanz erhält diese Energiequelle durch die Möglichkeit, mit Pumpspeicherkraftwerken die naturgegebenen Schwankungen der Solar- und Windenergie auszugleichen. Im europäischen Kontext sehen daher Befürworter Österreich künftig als grüne Batterie. Eine Energiezukunft der ganz anderen Art vermuten Anhänger des Hydraulic Frackings auch in Österreich. Doch welche Risiken birgt die umstrittene Fördermethode tatsächlich für das Grundwasser? Ein Forschungsprojekt aus Österreich verspricht, künftig auf die Beimengung der zum Fracking benötigten Chemikalien verzichten zu können. Kritik, dass durch die Erschließung dieser bisher unzugänglichen Öl- und Gasvorkommen das Zeitalter fossiler Brennstoffe unnötig verlängert werde, wird jedoch weiter bestehen bleiben. Angesichts der Auswirkungen der CO2-bedingten Klimaveränderungen scheint dies äußerst kurzfristig gedacht. Umso wichtiger wird es jedoch, internationalen Know-howTransfer im architektonischen Umgang mit verschärften klimatischen Bedingungen voranzutreiben. Sebastian Jobst N Pendls Standpunkt Qualitätsvolle sicherung von baukultur braucht umfassende rahmenbedingungen und ein bekenntnis der politisch verantwortlichen zur vorgabe mutiger bau- und planungsziele. Baukultur ist stets mittel zum zweck und nicht der zweck selbst. Dieser ist die qualitätsvolle weiterentwicklung des baubestandes und des neubaus und gerät oftmals in vergessenheit. Mit einer neuen legislaturperiode in österreich stehen aber weiterhin altbekannte herausforderungen an, müssen weiterhin ungelöste probleme einer lösung zugeführt werden. Planungs- und bauentwicklung wird letztendlich auch immer eine frage der finanziellen investitionen innerhalb einer regierungszeit sein. Die regierung muss instrumente der steuer- und förderungspolitik entwickeln, die weitaus mehr als akut verabreichte schmerzmittel wie ein konjunkturpaket kurz vor den wahlen bieten können. Solange es keine gezielt koordinierte regionale und überregionale budgetpolitik des bundes und der länder für bauvorhaben gibt, wird jede dieser maßnahmen im verwaltungsgetriebe der behörden zermahlen werden und deshalb immer wieder reine bekämpfung von symptomen sein. Im bereich des bildungsbaus zum beispiel kann nicht festgestellt werden, wie viele schulen in österreich jährlich gebaut oder saniert werden, da es dazu keine zentrale datenerfassung gibt (!!), ein mangel, der erst durch die derzeit laufende debatte zutage getreten ist. Für mich bedeutet dieser umstand, dass eine konsequente und umfangreiche berichtslegung eingefordert werden muss, in der sämtliche planungs- und bautätigkeiten umfasst werden, um vernetzte planung zu ermöglichen. Insofern, denke ich, muss diese forderung weit oben eingereiht werden, denn ohne kenntnis des gegenwärtigen haben zukünftige, mutige zielvorgaben wenig chance darauf, als innovation oder steigerung des bisherigen gewertet zu werden. So wie ein arzt erst auf grundlage umfangreicher befunde eine diagnose stellen kann, denn sonst täte er nichts anderes als das, was allgemeinhin als akute symptombehandlung bekannt ist. Und mit dieser haben wir uns schon lange genug aufgehalten. Georg Pendl (Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten) N Markus Guschelbauer, A Piece of Water, Installationsansicht im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung, einer Kooperation der VERBUND-Austrian Hydro Power AG und der Klasse Fotografie an der Universität für angewandte Kunst Wien, Künstlerhaus Wien, 2009. 255 Jausensackerl gefüllt mit je 0,30 Liter Wasser ergeben eine Wasserlandschaft in Form einer minimalistischen Wandinstallation. www.markusguschelbauer.com

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Am Wasser gebaut Martin Puntigam Kabarettist, Autor und MC der Science Busters Wasser ist seit Jahrmillionen bei Menschen sehr beliebt. Es wohnt aber schon viel länger auf der Erde als wir, nämlich seit Jahrmilliarden. Wo kommt es her, wer hat es gemacht? Zu 80 Prozent stammt es aus dem All und ist per Komet gereist. Kometen bestehen zu einem Gutteil aus Wasser, aber wenn man sie als gefrorene Drecksbälle bezeichnet, dann macht man auch nichts falsch. Zu 20 Prozent kommt das Wasser aus der Erde, und zwar durch Ausgasung. Für uns Menschen ist egal, wie das Wasser auf die Erde gekommen ist, Hauptsache es bleibt da. Wir bestehen daraus, wir kommen aus dem Wasser, wir verwenden es zur Reinigung, wir brauchen es zum Trinken und es wirft als Handelsware erhebliche Gewinne ab. Das Molekül H2O ist bei Zimmertemperatur flüssig und erreicht bei 4 Grad Celsius seine geringste Ausdehnung. Alle chemischen Reaktionen in Lebewesen laufen im wässrigen Milieu ab. Ein faszinierender Stoff. Manche Menschen sind sogar so fasziniert von Wasser, dass sie ihm ein gewaltiges Gedächt- nis andichten. Nicht nur ganze Balladenbücher und WM-Endrundenergebnisse soll Wasser sich merken können, sondern gleich alles, was es jemals erlebt hat. Das ist aber natürlich Quatsch. In echt merkt sich Wasser so gut wie gar nichts. Wenn Sie Wasser ein Geheimnis anvertrauen mit der Auflage, es ja niemandem weiterzuerzählen, dann sind Sie auf der sicheren Seite. Wasser kann sich nämlich einfach nicht sehr lange erinnern. Lediglich ein paar Femtosekunden lang (zirka 50·10-15 Sekunden), ein paar Billiardstel einer Sekunde, und das ist wirklich sehr, sehr kurz. Ein Lidschlag des Auges dauert gut 300 Millisekunden, also 300.10-3 Sekunden. Während Sie also einmal das Auge mit Ihrem Lid befeuchten, hat Wasser schon eine Billion Mal vergessen, was Sie ihm eben gesagt haben. Wasser ist quasi der feuchte Traum jedes Nachhilfelehrers. Das hat aber auch Vorteile. Denn Wasser, das Sie heute abschlagen, wird Sie nicht in ein paar Jahren im Restaurant als Tafelwasser ansprechen und daran erinnern, dass es einmal Ihr kleines Geschäft war. N Dusls Schwerpunkt 291 4|5 Puntigams Kolumne | Dusls Schwerpunkt

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Drei Fragen Rudolf Kolbe Vizepräsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Sie finden in dieser Ausgabe drei Fragen an die wahlwerbenden Parteien und deren Antworten. Nun, es ist gute Tradition, die kurz vor der Wahl gesteigerte Aufmerksamkeit für den Wähler – und damit natürlich auch für die Vertretung von Wählergruppen – zu nutzen und uns bewegende Anliegen an die zukünftigen Gesetzgeber heranzutragen. Und es liegt in der Natur der Sache, dass die Antworten zu diesem Zeitpunkt schneller und positiver als in Zwischenwahlzeiten erfolgen. Ich will hier nicht auf diese Antworten im Detail eingehen. Dennoch erscheinen die Stellungnahmen durchaus geeignet, nach der Wahl die Wahlgewinner daran zu erinnern, dass auch sie zu den Themen Vergabe, Normen und Honorare dringenden Handlungsbedarf gesehen haben. Dies werden wir als Lobbyisten der Ziviltechniker – und ich verwende diesen Begriff hier ganz bewusst – auch eindringlich einfordern. Und natürlich nicht nur diese Themen, sondern sämtliche unserer Anliegen. Um nur einige zu nennen, seien verbesserte Rahmenbedingungen für technische Ausbildungen, mehr Einbindung als unabhängige Kontrollinstanz, wie z. B. bei der Almfutterflächen-Problematik, oder auch der mit anderen Marktteilnehmern gleichberechtigte Zugang zu Förderprogrammen, wie z. B. zum Internationalisierungsprogramm „gointernational“, angeführt. Das wird auch in Zukunft das „Bohren dicker Bretter“ bedeuten, aber als überzeugter Standesvertreter glaube ich an die Zugkraft unserer guten Argumente. Und außerdem ist nach der Wahl ja auch vor der Wahl. N Wassersprüche Der Volksmund sagt: „Wasser hat einen kleinen Kopf“, nämlich dann, wenn Wasser durch eine kaum wahrnehmbare, undichte Stelle in ein Gebäude oder sonst wo eindringt, wo es absolut nicht hin soll. Aber auch wenn verschmutztes Wasser aus einem Behälter oder einer Rohrleitung austritt und Schaden anrichtet. Beides ein Albtraum für den Planer und den Erbauer solcher Objekte. Der Volksmund spricht auch „von der Urgewalt des Wassers“. Wir kennen die tosende Gewalt des Hochwassers, das alles mit sich reißt. Wir kennen aber auch die stille Gewalt des Wassers, wenn es gefriert und die schöne asphaltierte Straße aufbricht oder einen Felssturz verursacht. Ja, und die Lawinentoten. „Wasser ist Lust.“ Wenn es kühl ist und wir trinken es in der Hitze, wir baden darin und betreiben Wassersport. Wellnessen! Wenn es gefroren ist, gibt’s Wintersport – und wieder Wellnessen. „Wasser ist Leben.“ Sicherlich eine Allerweltsweisheit, aber eine die zu 100 Prozent stimmt. Zu wie viel Prozent besteht unser Körper aus Wasser? Egal – ohne Wasser geht jedenfalls gar nichts mehr für Mensch, Tier und Pflanze, da hilft auch das Weihwasser nichts mehr. Wie weit sind wir gekommen, wenn wir für das Leben sogar Kriege führen? Wasser – Freund oder Feind? Der Mensch fürchtet es, hasst es, liebt es und braucht es! Und zwar so sauber, wie es nur geht! „Wasser Klaus Thürriedl Vorsitzender der Bundessektion der Ingenieurkonsulenten ist unser Element“, sagen die Zivilingenieure für Kulturtechnik und Wasserwirtschaft. Wir haben es lange studiert! N Schule machen Christian Aulinger Vorsitzender der Bundessektion der Architekten Die Bundeskammer hat eine Stellungnahme zu einem Gesetzesentwurf abgegeben. Das ist nichts Ungewöhnliches, das gehört mit zu ihren Aufgaben. Es ist eine Stellungnahme zum heftig diskutierten neuen LehrerInnendienstrecht. Das allerdings ist ungewöhnlich, bisher hat sich die bAIK auf Gesetzesmaterien konzentriert, die direkt etwas mit dem Berufsfeld von ZiviltechnikerInnen zu tun haben. Warum also? Wir haben natürlich keine schlauen Vorschläge dazu abgegeben, wer wie lange in einer Klasse stehen soll und dann wie viel dafür verdienen soll. Wir haben uns ausschließlich auf eine Fragestellung bezogen, die zu den am heftigsten umkämpften Punkten in den (schlussendlich gescheiterten) Verhandlungen zwischen Regierung und LehrerInnengewerkschaft gezählt hat: die Anwesenheitspflicht der LehrerInnen in der Schule. Die Gewerkschaft argumentiert – zu Recht – damit, dass in den meisten Schulen die entsprechende räumliche und technische Ausstattung dafür fehlt, damit LehrerInnen ihre außerhalb der Unterrichtszeit zu leistende Arbeit erledigen können. Und fordert aber eben NICHT die Be- hebung dieses Missstandes, denn damit käme ja eines der schlagenden Argumente gegen die Anwesenheitspflicht abhanden. Also fordern wir es. Und eine entsprechende gesetzliche Verankerung dieser arbeitsplatzdefinierenden baulichen Rahmenbedingungen. Denn hier können ArchitektInnen Antworten geben, ebenso wie zu jenen Fragen, was es denn für Gebäude bräuchte, um eine zeitgemäße Pädagogik überhaupt erst möglich zu machen. Und da dieses Thema zu den brisantesten gesellschaftspolitischen Fragen der nächsten Jahre zählen wird, müssen wir uns hier auch verstärkt zu Wort melden. Gefragt wurden wir dazu bisher selten. Dann sollten wir eben auch ungefragt Antworten geben. Wie eben auch zum scheinbar so fernen LehrerInnendienstrecht. N Standpunkte

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Energieeffizienz Die Position Ja-Nein oder Schwarz-Weiß zeugt straße, Kanal, Strom, Garagen, Einfriedung etc. welche die Wolkenkratzer-Cities mit den locker von fachlicher Unkenntnis. Denn wie bei Zins ist gleich viel grauer Energieaufwand erforder- zersiedelten Suburbs verbinden: siamesische und Zinseszins geht es um einen stark nicht lich als für die beheizte Wohnkubatur selbst. Zwillinge des american waste of energy. Sogenannte Nullenergie-Hightech-Gebäulinearen Zusammenhang zwischen Dämm- Bei Streusiedlungen verdoppelt oder verdreistoffdicke und Amortisation. Die ersten 10 cm facht sich dieser anteilige Aufwand. Warum de benötigen sehr viel Energie: ebenfalls graue Wärmedämmung, gleich welcher Produktions- sind Einfamilienhäuser im Grünen dennoch so Energie. Diese beläuft sich größenordnungsart, sind ein must-have und amortisieren sich kostengünstig? Die Infrastruktur wird weitge- mäßig auf mindestens 100 kWh/m2/Jahr. Dies, energetisch binnen weniger Monate. Bei den hend vom Steuerzahler bezahlt. Weiters wird wenn man das Gebäude auf 100 Jahre Nutzweiten 10 cm liegt die Amortisation im Bereich der Allgemeinheit der privatisierte, umzäunte, zungszeit umlegt und die Gebäudetechnik auf von mehreren Jahren. Während für kompakte, versiegelte Naturraum entzogen: mindestens 15 bis 20 Jahre. Je geringer der Heizwärmebemehrgeschoßige Gebäude insgesamt nicht das Sechsfache der beheizten Bruttogeschoß- darf wurde, desto anteilig größer wurde die Bemehr als 14 bis 18 cm Dämmung optimal sind, fläche. Im Geschoßwohnbau ist dieses Verhält- deutung der grauen Energie. Vor 50 Jahren verwerden sich für ein Einfamilienhaus oder einen nis etwa 1 :1. Der notwendige Individualverkehr nachlässigbar, derzeit 25 % bis 50 % – bei NullPavillon u. U. 20 bis 26 cm rechnen. Bei 30 cm an macht das „Öko-Holz-Passivhaus im Grünen“ energie im Betrieb eben 100 %. Wänden und bei 40 cm am Dach ist der Mehr- vollends zum Etikettenschwindel. Noch schlimMein Lösungsvorschlag: drei Geschoße, unterkellert. Bauen, so hoch die Bäume wachverbrauch an Herstellenergie jedoch meist grö- mer ist nur der Zweitwohnsitz. Dass Wolkenkratzer ebenfalls nicht ökolo- sen, Ausblick ins Grüne und in die Bäume, mitßer als die minimale zusätzliche Verbesserung im U-Wert. Die sog. „Graue Energie“, obwohl gisch sind, ist eine Behauptung meinerseits. ten in der Stadt. Ein Lowtech-Gebäude mit eidiese keine Farbe hat, führt die Maßnahme ad Noch immer werden die Verdichtung und die ner Geschoßflächenzahl von max. 1,2. Ohne absurdum. Hinzu kommt der Platzverbrauch – Nachverdichtung im Namen von Energieein- Aufzug oder Klimaanlage. Dafür 2,80 m lichte selbst bei Stroh- oder Papierfaserdämmung. sparung gefordert. Häufig treffen sich jedoch Mindestraumhöhe für alle. Ausreichend weit 3-Scheiben-Isolierverglasung kann man Prestigedenken der Bauherrschaft mit dem Re- und locker für Sonne, Grünbezug und Kleinklials Stand der Technik betrachten und wird oft nommee der Planer in Komplizenschaft. Ökolo- ma. Ausreichend dicht für öffentlichen Verkehr, ohne Aufpreis angeboten. Eine große Zukunft gisch und wirtschaftlich handelt es sich besten- Fahrrad und Nahversorgung. Fernwärme und wird hoffentlich das Kastenfenster haben. falls um einen Irrtum. Offenbar zu Recht wer- Gemeinschaftsanlagen statt umfangreicher Außenjalousien gehören für Süd-, Ost- & den die Energieverbrauchszahlen wie militäri- Gebäudetechnik, einzeln je Haushalt, für SAT, Westorientierung ebenfalls zum Stand der sche Geheimnisse gehütet. Die Hightech für Solar bis Sauna. Um die überragenden und Technik erklärt. Die diesbezüglichen ästheti- Klimatisierung, Aufzüge, Zutrittskontrolle, Tau- überraschenden Vorteile dieser lebenswerten schen Vorbehalte mancher Planer haben für sende Sensoren und Motoren, Brandschutz- und wirklich raum- und energiesparenden Bemich geringeres Gewicht als die Nachteile der technik, sogar WC-Wasser per Hochdruckpum- bauungsform zu besingen, bräuchte ich mehr Innenverschattung. Außenverschattungen tra- pe,... all das ist „smart“ für das Image und das Platz oder Notenpapier. Die Firma Apple wird gen zur Vermeidung von Klimaanlagen bei und Geldbörsel mancher, aber nicht für die Nutzer, uns in Kalifornien bald zeigen, wie ein Bürogeermöglichen die Sonnen-Naturbelichtung ohne die Ökologie und das Stadtbild. Man versteht bäude für 12.000 Mitarbeiter auch aussehen sehr gut, warum Architekten für den Eigenbe- kann. Das wird hoffentlich sogar viele Herzen Überwärmung und Beleuchtungsstrom. Kontrollierte Lüftung ist lt. unserer Erfah- darf fast durchwegs Häuser oder Lofts aus der überzeugen, nicht nur Köpfe. Martin Stejskal-Ripka N rung in folgenden Fällen angebracht: an ver- Gründerzeit wählen. Reinhard Mey singt vom kehrsreichen Straßen zur Lärmvermeidung, in „Städteplaner, der die Schönheit von Beton erUnterrichts- & Besprechungsräumen wegen klärt und dann am Abend in sein Bauernhaus der CO2-Belastung sowie in Krankenhäusern & aufs Land rausfährt“ [Des Kaisers neue Kleider]. Die zu hoch verdichtete Stadt verursacht Pflegeheimen aus Hygienegründen. Energetisch handelt es sich auf Primärenergieebene extremen technischen, finanziellen und enereher um ein Nullsummenspiel. Der Einsparung getischen Folgeaufwand auch unter der Erde: an Heizenergie steht ein Mehraufwand für Ven- Tiefgaragen, Fundamente, Unterflur- und Steltilatorstrom gegenüber. zentrassen, Kanäle, Tunnel und U-Bahnen. Die Dass Ein- und Zweifamilienhäuser ökolo- „dunkle Seite“ der Großstädte beschäftigt seit gisch ungünstig sind, hat sich in den Köpfen Metropolis und dem 3. Mann viele Opfer, Krimischon verankert – die Herzen und wohl auch nelle und Polizisten bis nach Hollywood und das Prestigedenken hängen noch immer daran. Gotham City. Nicht viel weniger gruselig sind Zur Herstellung von Infrastruktur, Zufahrts- die überfüllten sechsspurigen Autobahnen, 291 6|7 Plus/Minus

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Wasser Silvio Marainis Fotografien unterirdischer Wasserspeicher zeigen Orte, die durch ihre Funktion mit dem Alltag jedes Einzelnen unmittelbar verbunden sind, gleichzeitig aber dem alltäglichen Blick ebenso verschlossen bleiben. Ein durchschnittlicher europäischer Haushalt verbraucht täglich 240 Liter Trinkwasser pro Kopf, die dahinterstehende Infrastruktur liegt für den Verbraucher jedoch im Verborgenen. Maraini hielt in der Fotoserie „Geflutete Kathedralen“ jene seltenen Momente fest, in denen Wasserspeicher zur Reinigung entleert und somit begehbar wurden. Ihrer eigentlichen Funktion entzogen, eröffnen diese Zisternen einen Blick auf Hallen, die unwillkürlich an sakrale Bauten erinnern. Die räumlichen Ausmaße zeigen die immensen Wassermengen auf, die täglich zur Versorgung von Städten und Siedlungen benötigt werden. Marainis Fotografien machen die eigentümliche Ästhetik dieser Zweckarchitektur und gleichzeitig unsere Abhängigkeit von Wasser sichtbar. Die gesamte Bildstrecke erschien unter dem Titel „Geflutete Kathedralen. Underwater Cathedrals“ im BENTELI Verlag. Sebastian Jobst N Die Fotos der Serie „Geflutete Kathedralen“ wurden mit einer Mittelformatkamera auf lichtempfindlicher Emulsion aufgenommen. Daraus resultiert das quadratische Format. Munimatt, 2011. Spreitenbach, Baujahr 1986

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WasserWissen | Die fließenden Überläufe zwischen Mythologie und Rationalität Wolfgang Pauser beschäftigt sich als Kulturwissenschaftler, Autor und Berater mit Konsum, Produkten, Marken und Märkten. In den 90er-Jahren schrieb er Kolumnen über Konsumwelten für Die Zeit und unterrichtete Architekturtheorie am Institut für Wohnbau und Entwerfen an der TU Wien. Der Blaue Planet verdankt seinen Namen 70 % Wasser. Das menschliche Gehirn besteht zu etwa 70 % aus Wasser. Asymmetrisch sind die Verhältnisse zwischen diesen beiden Gefäßen. Der Planet kann durch zu viel oder zu wenig Wasser die Gerhirnfunktion beenden. Das Gehirn kann demgegenüber nur versuchen, seine Ohnmacht durch Verstehen des Wassers, aber auch durch technisches Lenken des Wassers zu kompensieren. Ob und wie gut das gelingt, erweist sich erst hinterher. Das kann, wenn wir etwa ans Weltklima denken, zu spät sein. Deshalb könnte es lohnen, als Erstes das Verstehen des Wassers zu verstehen. Das heißt, erkenntnistheoretische Überlegungen zum Wasserwissen anzustellen. Sie haben Einfluss auf die Vorstellungen, die wir uns vom Wasser bilden. Vom Individuum aufs Kollektiv übertragen, prägen sie die großen mythologischen Erzählungen. Im Alten Testament geht das Wasser allem Existierenden voraus. Als Totalität, als Ungeschiedenes, das schon da war, als wir noch tot waren, vor dem Beginn unseres Lebens. Das Wasser als Totalität und Tod kehrt wieder in der Sintflut, die rächend alles Leben tilgt. Genesis und Ursuppe auf der einen Seite, planetarischer Ertrinkungstod auf der anderen Seite sind die imaginären Fluchtpunkte, zwischen denen die menschliche Existenz sich halten muss. Im gegenwärtigen Diskurs über das Wasser steht das Motiv der Apokalypse als vom Menschen verschuldete Welt-Klima-Erwärmung im Zentrum. Einem Katastrophenszenario, das Dürre und Überschwemmung, zu viel und zu wenig kombiniert. Wasser ist das Intimste des Menschen, weil es seinen Leib erfüllt und seine Austauschprozesse flüssig trägt. Es verknüpft das Kleinste und Innerste, die Zelle, mit dem größten aller Zusammenhänge, dem Wasserkreislauf des Planeten, wie eine Art Nabelschnur. Grausam daher die Vorstellung, dass wir Menschen dem Wasser egal sind. In den Katastrophen, während der Dürre und der Flut, wird diese Unbarmherzigkeit jedoch zur Gewissheit. Was temporär gelingen kann. In Zeiträumen, die wir als lange, wenn nicht sogar als dauerhaft erleben, die jedoch aus planetarischer Perspektive Millisekunden sind. Wenn wir das Wort „Klimawandel“ für unsere Zeit verwenden, vergessen wir gern, dass das Klima sich noch nie nicht gewandelt hat. Gerade weil Wetter, unsere alltägliche Dimension der Wahrnehmung Zu viel oder zu wenig, ertrinken oder verdursten, das sind die vom Wasser markierten Ränder der menschlichen Existenz. Zivilisation ist das Projekt, sich zwischen diesen Extremen zu halten, wenn nicht sogar eine Gleichmäßigkeit des Zu- und Abströmens von Wasser mittels Technik und in friedlicher gesellschaftlicher Organisation zu regulieren. des Wasserkreislaufs, das Sich-Wandelnde schlechthin ist, stellen wir uns gern eine Stabilität auf höherer Ebene vor, das „Gleichgewicht“. Und haben damit so sehr recht wie die Eintagsfliege, die nach ihrem sonnigen einen Tag ohne Zweifel erkennt, dass Sonnenschein das Charakteristikum des Planeten sei. Eine ideal gütige Mutter Natur wäre der Planet für unsere Bedürfnisse dann, wenn er uns Jahr für Jahr gleich und möglichst gleichmäßig eine mittlere Dosis Wasser zufließen ließe. Wenn all die Ungleichgewichte, die als Wetter den Wasserkreislauf bewegen, nicht nur aus göttlicher oder planetarischer Gesamtbetrachtung, sondern auch aus der Perspektive menschlicher Bedürftigkeit in einem harmonischen Gleichgewicht, in einer Art ewiger Ruhe zweiter Ordnung, gesichert wären. All unsere Wassertechniken würden ohne Unterbrechung funktionieren, wenn die Natur keine Launen mehr zeigte. Und der Planet nicht wie wir selber sterblich wäre. Die Grenzen der Lebensmöglichkeit zwischen den Katastrophen des Zuviel und Zuwenig sind zugleich die Ränder des denkbaren Sinns. Zerstörung ist das Sinnlose an sich. Die prekäre Lage eines wohldurchströmten Daseins hat deshalb immer wieder, so weit wir zurückblicken können, Projektionen von Sinn ins unheimliche Wettergeschehen auf den Plan gerufen. Wassermythen gehören zum Inventar der meisten Religionen. Unendlichkeit und Indifferenz disponieren das flüssige Element zum zentralen Medium der Schöpfungsgeschichten. Bevor es noch Festland und bevor es noch Lebewesen gegeben hat, war das Ur-Meer ein Alles, war „ungeschieden“. Der Beginn von etwas bedarf einer Abscheidung von der Totalität. Rund um den Globus, in allen Zeiten und Kulturen wird die Schöpfung als erster Unterschied, dem das Flüssige als Sinnbild des Indifferenten vorausgeht, erzählt. Aus dem Wasser wird nicht nur aus der Sicht der Biologie, sondern auch vieler Religionen das Leben geboren. Doch auch die bedrohliche Seite wird symbolisiert, wo Wasser für den Tod steht und für den Untergang. Götter des Meeres, der Flüsse und des Wetters bevölkern schon das Altertum. Den sinnlosen, vom Wasser bedingten Katastrophen wird Sinn beigelegt, indem sie mit menschlicher Schuld und deren Bestrafung erklärt werden. Opfer zu bringen, damit der Regen kommt oder die Flut ausbleibt, ist die erste Technik zur Steuerung des Wetters. Dämme gegen und Kanäle für das Wasser zu bauen, seit etwa 4000 Jahren die zweite, ungleich erfolgreichere Technologie. Um den rächenden Wasser- und Wettergöttern zuvorzukommen, wurden Rituale zur Schuldbereinigung in Eigenregie entwickelt. Untertauchen wurde 291 8|9 WasserWissen

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Scharten 2, 2011. Wettingen, Baujahr 1947 als symbolischer Durchgang durch den Tod und somit als Chance zur Wiedergeburt gedeutet. Lange vor dem Gedanken der Hygiene war das Bad in erster Linie eine spirituelle und psychische Reinigung mit erwünschten physischen Nebenwirkungen. Aus der Vereinigung von Tod und Geburt im Bade ging das Wasser als Symbol auch des Lebens hervor. Und lange vor jeder Möglichkeit, wissenschaftlich die Zukunft vorauszuberechnen, machten Priester und Seher von indifferenten Strukturen wie Wolken, Vogelflug und Gedärmen Gebrauch, um ihre Gedanken in die materielle Welt zu projizieren. Im sprichwörtlichen Kaffesatz lässt sich gerade deshalb die Zukunft lesen, weil Indifferenz sich wie nichts anderes dazu eignet, Unlesbares herauszulesen. Die Karriere des Wassers im religiösen Denken fußt nicht nur auf dem Grund der erschreckenden Abhängigkeit von seiner Kontinuität und Dosierung. Auch das Wasser selbst zeigt sich dem Menschen in Strukturen, die eine hohe Eignung zur mythologischen Verwendung zeigen. Als Nebel, Wolke oder Meer macht es die Indifferenz anschaulich. In der regellosen Diskontinuität des Wettergeschehens und damit der Wasserversorgung wird eine Willkür spürbar, die den Schluss auf einen Willen nahelegt und in der Personifikation des rächenden Über-Ich – als Poseidon oder auch Mutter Natur – der sinnlosen Katastrophe ihren moralischen Sinn verleiht. Thales, der erste Philosoph, nannte das Wasser den Urgrund von allem. Damit entfernte er sich von den orientalischen Religionen seiner Zeit, die ebenfalls die Entstehung der Welt aus dem Wasser erzählten. Er abstrahierte den Mythos zu einer theoretischen These. Damit waren zwei Entwicklungen angestoßen, die bis heute nebeneinander existieren: Philosophie und Naturwissenschaft. Was beide bis heute verbindet, ist die Haltung der Skepsis gegenüber Traditionen und kollektiven Überzeugungen. Kein Gedanke ist so heilig, dass er nicht von einem klügeren Argument überwindbar wäre. Kein Messergebnis bleibt stehen, wenn es vom nächsten Messergebnis widerlegt wird. Am Institut für Meteorologie und Klimaforschung in Karlsruhe arbeitet man an der Simulation des Deutschland-Klimas für die kommenden drei Jahrzehnte mit einem 7x7-km- Raster. 20 globale Klimamodelle werden zur Berechnung angewandt, für ein „halbwegs aussagekräftiges Resultat sind 20 Durchgänge mit verschiedenen Szenarien nötig, das dauert auf dem Höchstleistungsrechner länger als einen Monat“. WasserWissen

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Gönhard, 2011. Aarau, Baujahr 1942 Offenbar ist der Wasserkreislauf äußerst komplex. Wenn nicht sogar von allerlei Rückkopplungsphänomenen und chaotischen Systemkippen durchsetzt. Hochachtung also vor jenen Wissenschaftlern, die mit solchen Datenmengen umzugehen verstehen. Obwohl der Laplacesche Dämon, jene fiktive Figur, die alle Zukunft vorausberechnen kann, weil sie die momentane Lage aller Moleküle des Universums und deren kausale Wirkungsketten aufeinander kennt, als widerlegt gilt, sehen wir doch heute in der Computersimulation eine gewisse Annäherung an seine Macht der Prognostik. Als nachdenklicher Laie kann man nur eine sehr allgemeine Frage stellen: Gibt es eine Komplexität, die nicht bloß aufgrund von immer noch zu wenig Messdaten, zu kurzen Beobachtungszeiträumen und zu langsamen Rechenzentren nicht mehr berechenbar ist, sondern prinzipiell die Berechenbarkeit natürlicher Prozesse übersteigt? Falls es so eine Komplexitätsgrenze gibt, kann man sich das, was dahinter liegt, als Nebel vorstellen. Beim Versuch, die Bewegung aller Wassermoleküle einer einzigen Nebelschwade mathematisch abzubilden, könnte sich eine neuartige Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Erkenntnis und Erkanntem, ein fließender Übergang herstellen. Dies wäre nun ein internes Methodenproblem der Hydrologie, Meteorologie und Bodenforschung, allenfalls der Wissenschaftstheorie. Und könnte das auch bleiben, fände es nicht in einem gesellschaftlichen und politischen Kontext statt, der längst emotional aufgeladen ist. Begriffe wie „Klimaleugner“ geben der öffentlichen Debatte um die Erderwärmung einen sektiererischen Beiklang. Und wenn das deutsche Umweltbundesamt kritische Journalisten auf schwarze Listen setzt, beginnt man sich Sorgen zu machen, ob ein normaler Wissenschaftsbetrieb in einem solchen gesellschaftlichen Klima überhaupt noch möglich ist. Wir wollen es hoffen. Sind doch die Ähnlichkeiten unserer modernen Überzeugungen mit alten Mythen durchwegs erstaunlich. Wir glauben, dass uns am Wetter Schuld trifft. Und reagieren darauf mit Opfern. Freilich sparen wir uns nicht einen Teil der Getreideernte vom Mund ab, um ihn für Gott zu verbrennen, aber wir verzichten auf Verbrennungsmotoren, spendable Duschköpfe und allerlei mehr. Wir versuchen, aus Datenwolken unser künftiges Schicksal zu lesen. Und hoffen, durch das Erbringen von Opfern für „die Natur“ das globale Wetter in relevantem Ausmaß beeinflussen zu können. Diese Ähnlichkeit kann nur Zufall sein. Ähnlichkeiten sind die stärksten Verführer der Rationalität. Wir wollen uns nicht verführen lassen, sondern bei jener Haltung der Skepsis bleiben, die das kritische Denken und die messend prüfende Naturwissenschaft aus der trüben Ursuppe der Wassergeister herausgefischt hat. Zu hoffen ist, dass auch die Wetterforscher „Klimaskeptiker“ bleiben, aus Prinzip. Jenem Prinzip, das jeder Wissenschaft zugrunde liegt. N Sibylle Selbmann: Mythos Wasser. Symbolik und Kulturgeschichte. Badenia Verlag, Karlsruhe 1995 Hartmut Böhme: Kulturgeschichte des Wassers. Suhrkamp, Frankfurt/ Main 1997 Klaus Jacob: Extreme Fluten. In: Bild der Wissenschaft plus: Wasser Wissen. Deutschlands Forscher auf dem Weg zur Water Science Alliance. Leinfelden-Echterdingen 2012, S. 9 ff Jürgen Langenbach: Keine Sorge, die Klimaskeptiker sind amtsbekannt! In: Die Presse (Wien) vom 25. 5. 2013 „Ergebnisse in der Klimaforschung sind von hohen Unsicherheiten geprägt. Wissenschaftsjournalisten, die über offene Fragen berichten, laufen Gefahr, in die Ecke der sogenannten Klimaleugner gestellt zu werden.“ Alex Bojanowski in: Spiegel vom 5. 6. 2013 „Konferenz der Klimawandel-Leugner“, formuliert Jens Lubbadeh in Spiegel online am 3. 3. 2008 „Seit 1998 gibt es ein sichtbares Einbremsen des Temperaturanstieges, von 2002 bis 2008 eine Stagnation der Temperaturkurve, in den letzten zweieinhalb Jahren nahm die Temperatur global sogar leicht ab, und das, obwohl das Treibhausgas CO2 um 3,4 Prozent anstieg. Der Grund für diesen ‚Erwärmungsdämpfer‘ sind natürliche Einflüsse, die die vom Menschen verursachten überlagern.“ Rainer Schultheis, Klimafakten 2. 2. 2009 in orf.at „Das Umweltbundesamt gibt im Klimastreit den Großen Bruder… . Aber eine Behörde, die Wahrheiten dekretiert und Abweichler diskreditiert, trassiert den Weg in den Glaubensstaat, obwohl sich das UBA mit dem Titel ‚Und sie erwärmt sich doch‘ in die Pose des Galileo wirft. Müssen die Inkriminierten jetzt ebenfalls abschwören?“ Josef Joffe in: Die Zeit vom 29. 5. 2013 291 10 | 11 WasserWissen

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Hochwasser endet nicht an Gemeindegrenzen | Auf dem Weg zu nachhaltigerem Hochwasserschutz Sebastian Jobst Redaktion KONstruktiv, im Dialog mit: Roland Hohenauer Seit 1990 Zivilingenieur für Kulturtechnik und Wasserwirtschaft. Seit 1996 geschäftsführender Gesellschafter der Büro Dr. Lengyel ZT GmbH. Seit 2007 Bundesfachgruppenvorsitzender Wasserwirtschaft der bAIK. Lehrtätigkeit zum Thema Naturgefahren am FH Campus Wien. Vizepräsident des ÖWAV Die massiven Hochwasserereignisse der vergangenen Jahre in Österreich führten eindringlich vor Augen, wie schnell die Kulturlandschaft Europas allen Regulierungen zum Trotz ganze Regionen gefährden kann. Ebendiese verheerenden Folgen machen klar, dass nachhaltiger Hochwasserschutz nach überregionaler Kooperation verlangt. Während in den vergangenen Jahrzehnten wachsende Siedlungen natürliche Retentionsräume verringerten, stieg die Belastung angrenzender Fließgewässer durch die umso schneller abfließenden Niederschläge. Einer Kettenreaktion gleich stieg dadurch die Belastung angrenzender Sven Fuchs Studium der Geografie an den Universitäten München und Innsbruck. 2000–2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos. Seit 2006 Leiter des Bereichs Vulnerabilitätsund Risikoforschung am Institut für Alpine Naturgefahren der BOKU Wien Karl Grimm Landschaftsarchitekt. Experte bei Austrian Standards im Komitee 229 Grünraum. Vorstandsmitglied der ÖGLA. Delegierter zur IFLA – Europe. Stellvertretender Vorsitzender der Bundesfachgruppe Raumplanung, Landschaftsplanung und Geografie der bAIK Siedlungen stromabwärts, entsprechend ist künftig eine engere Verknüpfung der Maßnahmen der einzelnen Gemeinden nötig. Besonders in dicht bebauten Gebieten stellen bauliche Hochwasserschutzmaßnahmen einen beachtenswerten Flächenverbrauch dar, werden sie in ihrer eigentlichen Funktion doch nur wenige Tage im Jahr tatsächlich benötigt. Temporäre, also mobile, und multifunktionale Lösungen scheinen daher in geeigneten Kontexten eine gute Ergänzung zu konventionellem Hochwasserschutz. Neben der effizienteren Nutzung von Fläche schaffen multifunktional nutzbare Schutzmaßnahmen, wie etwa das von Soren Nordal Enevoldsens entworfene Retentionsbecken in Roskilde, das neben seiner eigentlichen Funktion auch als Skatepark genutzt wird, mehr Bewusstsein für nachhaltigen Hochwasserschutz. Neben kommunalem Risikomanagement bedarf es verantwortungsvoller privater Bauherren, die sich über mögliche Hochwasserrisiken im Klaren sind und entsprechende Maßnahmen treffen. Wie bei anderen komplexen Problemstellungen ist auch im Hochwasserschutz eine engere Zusammenarbeit der jeweiligen Akteure um jeweils maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln gefordert. Das KONstruktiv lud daher drei Experten ein, ihre Perspektive auf diese Themen zu schildern. Durch intensive landwirtschaftliche Nutzung und Bebauungen abseits der eigentlichen Siedlungskerne verringerten sich in den letzten Jahrzehnten natürliche Retentionsräume. Dadurch werden Niederschläge unmittelbar in Fließgewässer abgeleitet, massive Belastungen stromabwärts resultieren daraus. Fehlen in diesem Feld Schnittstellen zwischen den Gemeinden, um überregionalen Hochwasserschutz nachhaltig planen zu können? Roland Hohenauer Unter dem Eindruck der Hochwasserereignisse der letzten 15 Jahre hat man in Österreich einen Paradigmenwechsel vorgenommen; vom Hochwasserschutz hin zu einem umfassenden Hochwasserrisikomanagement. Dieses umfasst alle rechtlichen Rahmenbedingungen, technische Möglichkeiten, ökologisch und ökonomisch und planerische Erfordernisse sowie gesellschaftspolitische Wünsche, die das betroffene Land hinter den sogenannten Hochwasserschutzdämmen bzw. Mauern nicht mehr risikofrei aufnehmen kann. Maßnahmen der Vorbeugung, Bewältigung und der Regeneration müssen dabei immer ineinandergreifen und an den Schnittstellen mit den Gemeinden im Flussabschnitt abgestimmt werden. Sven Fuchs Die Schadensereignisse der letzten Jahre machen deutlich, dass sich die Schadensanfälligkeit in vielen Bereichen erhöht hat, wobei diese Zunahme nicht nur durch Folgen der Klimaänderung begründet werden kann. Der anhaltende Siedlungsdruck hat in den letzten Jahrzehnten zu beträchtlichen Baumaßnahmen in potenziellen Gefährdungsbereichen geführt und damit das Schadenspotenzial erhöht. Nachdem zwar das Raumordnungsrecht der Länder umfangreich den planerischen Umgang mit Naturgefahren regelt, das Ermessen bezüglich Nutzung und Bebauung jedoch in der Regel bei kommunalen Planungs- und Baubehörden angesiedelt ist, fehlen in der Tat vielerorts Schnittstellen, die eine bessere Zusammenarbeit der Kommunen im Hochwasserschutz ermöglichen und entsprechende Anreize zu einer Risikoreduktion (beispielsweise finanzielle Kompensation) setzen. Karl Grimm Zeitgemäßer Schutzwasserbau für Siedlungen und Verkehrswege erfordert Wasserrückhalt in den Einzugsgebieten, um Unterlieger nicht stärker zu gefährden. Die Hürden liegen weniger in Verwaltungsgrenzen als vielmehr in der Grundaufbringung, wenn Überschwemmungsgebiete zulasten von landwirtschaftlichen Flächen oder Gebäuden ausgeweitet werden. Viele Überflutungen sind rein lokale Ereignisse, bei Starkregen gehen kleine Bäche oder Kanäle über. Hier kann jede Gemeinde selbst beim Siedlungsausbau Vorsorge treffen. Statt konventioneller Entwässerung in den Vorfluter ist mit Regenwasserbewirtschaftung eine Annäherung an den natürlichen Wasserkreislauf möglich. Der Wasserabfluss von Siedlungen und Verkehrsflächen wird reduziert. Integratives Regenwassermanagement bindet diesen Ansatz auch in bestehende Entwässerungssysteme ein. Die Summe solcher örtlichen Maßnahmen verbessert auch den überörtlichen Schutz. Hochwasserschutz

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Bauliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz werden ihrem Zweck nach nur wenige Tage im Jahr benötigt. Erste Projekte realisieren multifunktionale Nutzungskonzepte, so plante Soren Nordal Enevoldsen in Roskilde ein Retentionsbecken, das gleichzeitig auch als Skatepark genutzt werden kann. Wie viel Potenzial sehen Sie in temporärem Hochwasserschutz und multifunktionalen Lösungsansätzen für permanente Verbauungen? Roland Hohenauer Multifunktionale Lösungsansätze werden auch in Österreich bereits immer wieder andiskutiert und in einigen Fällen auch schon umgesetzt. Maßgeblich ist natürlich hier die Akzeptanz im jeweils betroffenen Umfeld (Gemeinde). Der temporäre Hochwasserschutz als Teil des technischen Hochwasserschutzes erlangt in den letzten Jahren immer größere Bedeutung. Aber gerade der Einsatz derartiger Systeme ist an gewisse Randbedingungen gekoppelt, die auch gewisse Pflichten bzw. Risiken mit sich bringen. Der Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (ÖWAV) hat in den letzten 20 Monaten einen Arbeitsbehelf erarbeitet mit dem Thema „Mobiler Hochwasserschutz“, der versucht, sowohl die theoretisch-technischen Grundlagen, aber auch die auf dem Markt derzeit gängigen technischen Systeme gegenüberzustellen, um so den Gemeinden, Verbänden und Planern eine Hilfe bei der Auswahl solcher temporären Hochwasserschutzmaßnahmen zur Verfügung stellen zu können. Sven Fuchs Grundsätzlich sollte Hochwasserschutz aus einer Kombination permanenter technischer sowie planerischer und temporärer Maßnahmen bestehen und gleichermaßen seitens der öffentlichen Hand wie auch durch private Nutznießer finanziert werden. Gerade in einem Land wie Österreich – mit einem sehr kleinen Anteil nutzbarer Fläche gemessen an der Landesfläche – haben deshalb multifunktionale Lösungsansätze hohes Potenzial. Hierzu benötigt es jedoch klare vertragliche Bestimmungen, die im Hochwasserfall Zuständigkeiten und nach dem Ereignis Entschädigungsfragen regeln. Zudem könnten derartige Flächen oder auch die konkreten baulichen Schutzmaßnahmen, so diese in Privateigentum stehen, die Eigenverantwortung beim Schutz vor Naturgefahren stärken. Das führt auf Dauer zu einer höheren Sensibilität gegenüber Naturgefahren in der Bevölkerung. Karl Grimm Die Wiener Donauinsel ist ein Musterbeispiel für multifunktionalen Hochwasserschutz. Sie wurde zuerst als technisches Projekt entworfen und gerade noch rechtzeitig in der Planungs- und Bauphase um Erholungs- und Naturschutzfunktionen erweitert. Diese Zusatzangebote führen zu breiter Akzeptanz in der Bevölkerung, die Überlagerung von Nutzungen schafft Mehrwert und interessantere Lösungen. Zukunftsorientierter Gefahrenschutz liegt in einem Umdenken von grauer zu grüner Infrastruktur. Statt eindimensionaler, rein technischer Lösungen werden Schutzmaßnahmen und Infrastrukturen in den Freiraum integriert. Dabei können Ökosystemleistungen des Naturhaushaltes genutzt werden. Beispielsweise reinigt die Versickerung durch bewachsenen Oberboden schadstoffbelastetes Regenwasser, die Verdunstung durch Pflanzen verringert den Wasserabfluss und trägt zur Verbesserung des Mikroklimas bei. Während einige Aspekte der Klimaveränderungen in der Forschung noch nicht gänzlich geklärt sind, sind die Auswirkungen der Erderwärmung jedoch drastisch spürbar. Inwieweit lassen sich Hochwasserschutzmaßnahmen in diesem Kontext überhaupt proportionieren, wie lassen sich die möglichen Risiken gegeneinander abwägen? Wie weit ist dieser Aspekt der Natur durch Technik beherrschbar? Roland Hohenauer Eine absolute Beherrschung der Natur durch die Technik wird uns sicher auch in der Zukunft nicht gelingen, aber durch ein entsprechendes Risikomanagement, das als planungsbegleitendes bzw. kontrollierendes Instrument eingesetzt wird, können Risikoanalysen der vorhandenen Risiken erhoben bzw. bewertet werden. Ziel eines solchen Risikomanagements ist eben neben der Erarbeitung auch die Umsetzung und Überwachung von Maßnahmen rund um den Hochwasserschutz. Weiters ist die Öffentlichkeit zu informieren, um eine größtmögliche Risikoakzeptanz bei den Betroffenen bewirken zu können. Sven Fuchs In Österreich beruht der Umgang mit Naturgefahren auf dem sogenannten Bemessungsereignis, das statistisch gesehen einmal innerhalb einer bestimmten Beobachtungsperiode eintritt. Ändern sich nun die klimatischen Grundlagen, wie zum Beispiel das Niederschlagsgeschehen und damit der Abfluss, müssen auch die räumliche Ausdehnung und die zeitliche Auftretenswahrscheinlichkeit des Bemessungsereignisses angepasst werden. Konkret heißt das, dass aus einem 100-jährlichen Hochwasserereignis vielleicht ein 30-jährliches wird. Damit ist es dann erforderlich, Schutzstrategien entsprechend zu überarbeiten. Insofern – und das ist auch in den einschlägigen Gesetzen nachzulesen – ist der Umgang mit Naturgefahren und den durch sie hervorgerufenen Risiken dynamisch zu sehen. Hier liegt eine der Herausforderungen für den zukünftigen Umgang mit Naturgefahren. Karl Grimm Mit vorausschauenden Maßnahmen können wir uns bis zu einem gewissen Grad vor den Folgen von Naturerscheinungen schützen. Das ist und war stets eine Kernaufgabe von Planung. Eine Antwort auf die Unsicherheit zukünftiger klimatischer Bedingungen sind anpassungsfähige Maßnahmen. Die Integration von Gefahrenschutz in die Landschafts- und Freiraumplanung ermöglicht Mehrfachnutzungen und lässt oft spätere Änderungen zu. Regenwasserbewirtschaftung sollte dort ansetzen, wo der Niederschlag fällt. Landschaftsarchitektonische Mittel sind der Wasserrückhalt auf Gründächern, Retentions- und Sickermulden in Freianlagen und Verdunstung durch Pflanzen und freie Wasserflächen. Die Anlagen können auf Bauflächen und in Straßen, Plätzen und Parks vorgesehen werden. Regenwasser wird zum Gestaltungselement und bereichert die Naturausstattung im Siedlungsgebiet. 291 12 | 13 Hochwasserschutz

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Fernstallwald, 2011. Burgdorf, Baujahr 1954–1955 Hochwasserschutz

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Belvédère, 2010. Baden, Baujahr 1951–1953, Renovation 1989 Die mediale Aufarbeitung von Ausnahmehochwassern wie dem heurigen findet in der Widmungspolitik der Gemeinden und Bürgermeister meist schnell ihre Schuldigen. Ist diese Reaktion zu vorschnell? Wie lassen sich aus Ihrer Sicht künftig möglichst nachhaltige Hochwasserprävention sowie -schutz umsetzen? Roland Hohenauer Nach jeder Katastrophe ist eine Analyse vorzunehmen. Alle Schäden, alle Präventiv-Abwehrmaßnahmen müssen analysiert werden und auf ihre Mängel überprüft werden. Mit diesen Informationen ist ein Wiederaufbau der Infrastruktur mit den neuen Erkenntnissen umzusetzen. Wichtig ist dabei eine gesamtheitliche Flusseinzugsgebietsbetrachtung, sodass nicht einzelne Gemeinden zulasten anderer ihre Hochwasserpräventionsmaßnahmen vorantreiben. Es ist aber nicht nur der Staat, der aus einer Katastrophe zu lernen hat, auch jeder Einzelne ist gefordert, aus den eingetretenen Schäden die Konsequenzen für die Zukunft zu treffen. Die letzten Hochwasserereignisse haben gezeigt, dass Begrifflichkeiten wie z. B. 30- oder 100- jährliches Hochwasser bis dato in der Öffentlichkeit nicht richtig verstanden bzw. interpretiert werden. Es wird daher von großer Bedeutung sein, das Bewusstsein hier noch wesentlich zu stärken und immer wieder zu betonen, dass es keinen 100-%igen Schutz vor Naturgefahren gibt und immer wieder eine Eigeninitiative neben der staatlichen Hilfe bei der Prävention nötig ist. Sven Fuchs Im Hochwasserschutz gibt es eine Reihe von Akteuren, und ebensoviele Verantwortlichkeiten. Erstaunlich mutet jedoch an, dass nicht in allen Bundesländern die Widmungspolitik und somit die Naturgefahrenprävention klar Bezug nimmt auf Vorgaben auf Landes- und Bundesebene. Der Umgang mit Naturgefahren erfordert eine koordinierte und gemeinsame Aktion verschiedener Verwaltungseinheiten auf allen Ebenen. Darüber hinaus – und das wurde auch bei den diesjährigen Ereignissen wieder deutlich – haben die Bürgerinnen und Bürger aber auch eine Eigenverantwortung zu übernehmen. Das ist auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens so. Gefahrenzonenpläne sind öffentlich, das bedeutet, ich kann nicht am Fluss wohnen wollen und mich dann über ein Hochwasser beschweren. Das gilt insbesondere für die vielen Neubauten in gefährdeten Gebieten. Karl Grimm Heutige Gefahrensituationen haben lange Vorgeschichten, Schuldzuweisungen sind wenig hilfreich. Nachhaltige Prävention beginnt mit Regenwasserbewirtschaftung und ist eine komplexe Aufgabe. Es greifen Wasserbau, Raumplanung, Architektur, Straßenplanung, Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur ineinander. Je vielfältiger und komplexer die Anforderungen, desto wichtiger werden Planungskoordination und mediatorische Federführung. Für eine wirksame Regenwasserbewirtschaftung sind frühzeitige Einbindung und Kontinuität in der Planung wesentlich. Die Planung entwickelt Lösungen, die Umsetzung obliegt Landnutzern, Politik und Verwaltung. Eine klar kommunizierte Aufgabenteilung ist erforderlich: Wie weit geht die Eigenverantwortung und was leistet die Gemeinschaft? Wasserrückhalt am Eigengrund sollte festgelegt und auch überprüft werden. Für extreme Niederschläge sind Abflusswege und Retention in öffentlichen Flächen wie Straßen und Freianlagen vorzusehen. 291 14 | 15 Hochwasserschutz

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Risiko Fracking | Wenn Wasser statt Gas brennt Viele Staaten setzen auf die Ausbeutung von Öl und Gas aus Schiefergestein. Bei der dafür angewandten Fördermethode Fracking werden große Mengen Wasser und Chemikalien in den Untergrund gepumpt. Kritiker machen sich Sorgen ums Grundwasser, Befürworter halten die Technologie für sicher. Mathias Rittgerott Journalist und Diplomgeograf. Er schreibt als freier Autor für den Stern und ist Mitarbeiter der Reportagenagentur Zeitenspiegel. Er lebt in Stuttgart. Wenn Deutschlands Bierbrauer Alarm schlagen, muss große Verderbnis drohen. Ihre Sorge gilt dem Brauwasser und dem Reinheitsgebot aus dem Jahre 1516. Beides sehen sie in Gefahr, sollten Erdölkonzerne die umstrittene Technologie namens Fracking großflächig anwenden. Freilich ist es nicht vorwiegend die Reinheit von Bier, die Kritiker von Fracking landauf, landab auf die Barrikaden treibt. Es geht vielmehr ums Trinkwasser, um eines der wichtigsten Güter überhaupt. „Das Wasser wird schwarz, es schmeckt salzig oder hat Gasblasen, die man anzünden kann. Wenn die Bohrlöcher nah sind, bemerkt man den Gestank 24 Stunden am Tag. Die Menschen bemerken Rauch und Gerüche. Sie bekommen Kopfschmerzen, ihnen wird übel – sie haben Atemprobleme.“ Das apokalyptische Zitat stammt aus dem Film „Gasland“. Kein Hollywoodstreifen, sondern ein Dokumentarfilm, der Fracking zum Thema hat. Josh Fox hat ihn gedreht, nachdem ihm eine Ölfirma 100.000 Dollar bot, damit sie auf seinem Land bohren darf. Er lehnte ab, recherchierte intensiv und ist heute einer der streitbarsten Kritiker des Frackings. Sein Film wurde 2010 für den Oscar nominiert. Beim Fracking wenden Unternehmen eine recht brachiale Methoden an, um Gas und Öl zu fördern, das bislang unerreichbar war, weil es in Schiefergestein lagert. Nun werden diese Schichten gezielt aufgebrochen. Große Mengen Wasser, Sand und Chemikalien werden beim Hydraulic Fracturing – kurz Fracking – mehrere Kilometer tief in den Untergrund gepresst. Dort reißen sie feine Risse ins Gestein, sodass Öl und Gas entweichen und an die Erdoberfläche transportiert werden können. Experten sprechen von unkonventionellen Lagerstätten. Möglich ist Chapf, 2010. Brütten, Baujahr 1966 Risiko Fracking

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Lengg, 2010. Zürich, Baujahr 1960 diese Methode auch, weil Spezialisten Bohrköpfe tief im Untergrund seitwärts vorantreiben können. Somit lassen sich große Flächen aufbrechen. Die Chemikalien sind beim Fracking unverzichtbar. Sie töten Bakterien ab, machen das Brauchwasser geschmeidiger und sorgen mit dem eingepressten Sand dafür, dass die Poren im Gestein offen bleiben. In den USA erlebt das Geschäft mit unkonventionellem Öl und Gas einen Boom, trotz der verstörenden Szenen aus dem Film „Gasland“. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur IEA könnte das Land bis 2017 zum größten Erdölproduzenten der Welt aufsteigen, 2030 sogar Nettoexporteur werden. In North Dakota sprudeln Öl und Gas, per Fracking angezapft, geradezu aus dem Boden. Kleine Ortschaften verwandeln sich in kurzer Zeit in wahre Heerlager des Energiebusiness, Mieten explodieren, sodass mancherorts eine Unterkunft im Wohnwagen 1000 Dollar kostet. Österreichische Gasfelder sollen wohlwollenden Schätzungen zufolge den Bedarf für 30 Jahre decken, Großbritannien soll auf Lagerstätten für 64 Jahre sitzen, Deutschland für 20 bis 25 Jahre versorgt sein. In Nordrhein-Westfalen hat die dortige Bergbaubehörde flächendeckend Claims abgesteckt, bis Bürger und Politik auf die Bremse traten. Fracking ist verlockend und ein Milliardengeschäft, an dem auch österreichische Firmen verdienen und profitieren. Beispielsweise der Ölfeldausrüster Schoell-Bleckmann Oilfield (SBO) aus dem niederösterreichischen Ternitz. Die Firma ist Experte für Bohrgestänge, mit denen auch horizontal gebohrt werden kann. SBO-Chef Gerhard Grohmann sitzt geradezu in den Startlöchern und wartet auf den FrackingBoom hierzulande: „Sobald es losgeht, sind wir dabei!“ Der Konzern voestalpine aus Linz produziert unter anderem nahtlose Stahlrohre für vertikale und horizontale Bohrungen und ist bereits heute in den USA dick im Geschäft. Die Firma errichtet derzeit ein Stahlwerk in Texas, von wo aus das Metall auch nach Europa exportiert werden soll. Der Standort wurde laut Firmenchef Wolfgang Eder gewählt, weil der Gaspreis in den USA nicht zuletzt wegen Fracking stark gefallen ist. 550 Millionen Euro investiert voestalpine dort. Doch in vielen europäischen Ländern bleibt Fracking womöglich ein Wunschtraum der Konzerne. Bürger wehren sich gegen Probebohrungen, Politiker sind verunsichert, Experten streiten sich. In einer Umfrage sahen 36 Prozent der Österreicher Fracking positiv, 39 hielten nichts von der Methode. Große Sorgen machen sich Kritiker ums Trinkwasser. Die Szene im Dokumentarfilm von Josh Fox, in der Gas angezündet wird, das aus einem Wasserhahn entweicht, ist erschreckend, selbst wenn sie in den Augen von Ölfirmen überzeichnet und irreführend ist. Die Angst ums Wasser lässt sich so zusammenfassen: Es ist keine Frage, ob Chemikalien ins Grundwasser gelangen können. Es ist eine Frage, wann das passiert. Versprechungen von Wissenschaftlern und Experten, die Technologie sei beherrschbar, werden spätestens seit Fukushima und der brennenden Ölplattform Deepwater Horizon kritisch gesehen. Bereits Pläne, im Grunde ungiftiges Kohlendioxid in tiefe Gesteinsschichten zu pressen, stoßen häufig auf Widerstand. Beim Fracking kommen weit gefährlichere Stoffe zum Einsatz als CO2. Es geht schlicht um Vertrauen in Technologie. „Vor der Hacke ist es duster“, wissen Bergleute seit Jahrhunderten. Es ist schlicht unheimlich, wenn in sechs Kilometern Tiefe Gestein von Menschenhand aufgebrochen werden soll, während selbst an der Erdoberfläche Tunnelbaustellen nicht zu 100 Prozent sicher zu handeln sind. Nicht alles, was machbar ist, ist auch beherrschbar. Umweltexperte Werner Zittel der Ludwig-Bölkow-Stiftung sagt zurückhaltend, es sei zwar anzunehmen, dass die Chemikalien tief im Untergrund bleiben, hundertprozentig sicher sei das jedoch keinesfalls. Zudem müssten die Giftstoffe an der Erdoberfläche zu den Bohrstellen gebracht werden. Unfälle sind dort nicht auszuschließen. Gefahr droht aus Kritikersicht auch vom Gestein selbst. Von dort könnten Schwermetalle in die Umwelt gelangen. Forscher der Duke University wiesen in Grundwasserbrunnen in der Nähe von Bohrungen Methan, Ethan und Propan nach. Deutschlands Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die pro Fracking plädiert, schränkt in einem Gutachten ein, die Technologie „kann zu Verunreinigungen im Grundwasser führen. Besorgnisse und Unsicherheiten bestehen besonders wegen des Chemikalieneinsatzes und der Entsorgung des anfallenden Abwassers.“ Auch Umweltverträglichkeitsprüfungen, die in Österreich vorgeschrieben sind und in Deutschland in einem Gesetzentwurf vorgesehen werden, legen hohe Maßstäbe insbesondere an den Grundwasserschutz an. Selbst ein Expertengutachten im Auftrag des Energieriesen Exxon kommt zu dem Schluss: „Die Umweltrisiken können erheblich sein, vor allem im Hinblick auf den Gewässerschutz.“ Die Prioritäten seien eindeutig: „Trinkwasser- und Gewässerschutz gehen vor Energiegewinnung.“ Bohrfirmen können Bürgerinitiativen kaum mit dem Argument beruhigen, das für die Gas- und Ölgewinnung interessante Schiefergestein liege weit tiefer als jede Grundwasserschicht. Die Chemikalien könnten das Wasser folglich nicht vergiften. Zudem würde das Brauchwasser in geschlossenen Risiko Fracking

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Rippertschwand, 2010. Neuenkirch, Baujahr 1999 Kreisläufen gehalten und sei so unbedenklich, dass man es sogar in einer schlichten Kläranlage reinigen könnte. Auch Verfechter nachhaltiger Energie schauen misstrauisch aufs Fracking. Die Methode verspricht billiges Öl und Gas auf Jahrzehnte. Würden bisher unerreichbare Quellen erschlossen, liefe das Bestrebungen zuwider, weg von fossilen Brennstoffen zu kommen. Auch die Sorge ums Klima treibt Kritiker an. Die Erdbeben, die Frackingbohrungen auslösen, sind noch das geringste Übel. Mit einer Stärke von maximal 3 auf der Richterskala seien sie nicht wahrnehmbar, sagt Werner Zittel. Täglich ereignen sich weltweit 9000 solcher Beben. Universitätsprofessor Herbert Hofstätter meint, zu Bohrstellen fahrende Laster würden größere Erschütterungen erzeugen. Hofstätter ist freilich nicht wegen des geringen Erdbebenrisikos ein Fürsprecher für Fracking. Er hält die Technologie für absolut beherrschbar. Man könne „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ausschließen, dass Grundwasser verunreinigt wird, betont er. Eine „ausreichende Abdichtung“ könne dies garantieren. Dafür dürfe an den Bohrlöchern freilich nicht geschlampt werden. Eine Annahme, die vielen als unrealistisch erscheint. Ob die Methode für Umwelt und Gesundheit Fluch oder Segen ist, ist schwer auszumachen. Wie bedeutend Fracking für die Energieversorgung tatsächlich ist, ist umstritten. Hofstätter malt ein Bild an die Wand, bei dem Österreicher im Kalten und Dunkeln sitzen, wenn nicht genug Gas gefördert wird. Sich auf Importe zu verlassen, stelle ein „hohes Risiko“ dar. Die Internationale Energieagentur IEA schätzt recht grobschlächtig, mittels Fracking ließ sich das Zeitalter fossiler Energien deutlich verlängern. Die „Energy Watch Group“, der Werner Zittel vorsitzt, spricht dagegen von wenigen Jahren. Die Ausbeute einer Bohrung falle nach seinen Angaben bereits im ersten Jahr um bis zu 80 Prozent. In schneller Folge müssten somit neue Bohrungen niedergebracht werden. Erwartungen, Österreich könne sich über 30 Jahre mit Gas versorgen, seien daher eine „Milchmädchenrechnung“. N An der Montanuniversität Leoben hat Hofstätter den Lehrstuhl für „Petroleum and Geothermal Energy Recovery“ inne. Dort hat er eine Methode entwickelt, mit der er „Clean Fracking“ verspricht. Statt giftiger Chemikalien wird dabei Maisstärke eingesetzt. „Selbst wenn dieses Produkt ins Grundwasser käme, würde es noch immer keinen Schaden anrichten“, versichert er. Statt mit Giften im Chemikalienmix ließen sich zudem Bakterien mit UVLicht und Ultraschall abtöten. In zwei Jahren soll die Technologie ausgereift sein, so lange will der Wissenschaftler keine weiteren Details verraten. Lizenzgebühren will er zukünftig nicht verlangen, damit sich seine Methode schnell durchsetzt. Dazu solle auch der Preis beitragen. Der Einsatz von Mais soll billiger sein als der von Chemikalien. Doch auch „Clean Fracking“ wird die Gemüter an Standorten, an denen gebohrt werden soll, nicht beruhigen. So hat der österreichische Konzern OMV Pläne für zwei Probebohrungen im Weinviertel aufgegeben, obwohl dort Maisstärke eingesetzt werden sollte. Bürger hatten heftig gegen das Vorhaben protestiert, in das 130 Millionen Euro fließen sollten. Nachdem die Anforderungen an Umweltverträglichkeitsprüfungen verschärft wurden, hält Firmenchef Christopher Veit Fracking für „unrentabel“. Film: www.gaslandthemovie.com Risiko Fracking

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Der Wasserfußabdruck | Ein ökologischer Indikator zum Wasserverbrauch Wolfgang Rauch Univ.-Prof. für Siedlungswasserwirtschaft an der Universität Innsbruck, Redakteur der Zeitschrift Water Research und Leiter des Programmkomitees der International Water Association In Österreich verbrauchen wir in etwa 120 Liter Trinkwasser pro Einwohner und Tag im Haushalt. Einen großen Anteil davon verwenden wir aber nicht als Trinkwasser, sondern nur als Spülwasser in der Toilette und für Waschvorgänge. Berücksichtigt man zusätzlich noch die Wasserentnahmen in öffentlichen Gebäuden sowie Verluste und Spülwasser in den Leitungssystemen, dann kann der durchschnittliche Haushaltsverbrauch in Österreich mit etwa 240 Liter Trinkwasser pro Person und Tag angegeben werden. Diese Größenordnung des Wasserbezugs ist übrigens typisch für Industriestaaten. Ist dies nun der Wasserbedarf, den wir mittels (erneuerbarer) Ressourcen zu decken haben? Die Frage erscheint recht einfach zu sein und als einzige Antwort eine bejahende zuzulassen. Auf dieser Basis der realen Wasserströme werden auch sämtliche ingenieurmäßigen Berechnungen der Wasserressourcen, der benötigten Leitungsstrukturen und der Reinigungsprozesse durchgeführt. Konzept und Berechnung Der Wasserfußabdruck beruht auf dem Konzept des virtuellen Wassers, welches vom britischen Forscher J. A. Allen vor ca. 20 Jahren entwickelt (Allen, 1998) und 2008 mit dem renommierten Stockholm Wasserpreis ausgezeichnet wurde. Unter virtuellem Wasser versteht man die Gesamtmenge an Wasser, die während des Herstellungsprozesses eines Produktes, Lebensmittels oder einer Dienstleistung verbraucht oder verschmutzt wird oder die dabei verdunstet. Bei der Berechnung des virtuellen Wassergehaltes eines Produktes wird dabei jeder einzelne Schritt im Herstellungsprozess einbezogen. Hinter der Herstellung von einem Kilogramm Hühnerfleisch in einem industriellen Haltungssystem verbergen sich beispielsweise rund 3900 Liter virtuelles Wasser. Dies erklärt sich einleuchtend aus der Nahrungskette: In der Regel dauert es zehn Wochen, bis ein Huhn schlachtreif ist und damit etwa 1,7 Kilogramm Fleisch liefert. In diesem Zeitraum hat aber jedes Tier fast 3,3 Kilogramm Getreide gefressen. Dazu kommen etwa 30 Liter an Wasser zum Trinken und für die Reinigung der Ställe. In jedem Kilogramm Hühnerfleisch stecken damit 2 Kilogramm Getreide. Für die Produktion von Getreide werden aber im Mittel 3900 Liter Wasser pro kg benötigt. Der hohe Wasserverbrauch von Fleischprodukten ist also durch die erforderlichen pflanzlichen Nahrungsprodukte bedingt. Die Berechnung des gesamten Wasserkonsums erfolgt mittels folgender drei Komponenten: Blaues Wasser ist definiert als derjenige Anteil von Oberflächen- oder Grundwasser, welcher im Rahmen einer Wassernutzung verbraucht wird. Als Wassernutzung können die folgenden vier Typen auftreten: a) Verdunstung, b) Einbau von Wasser in das Produkt, c) Export aus dem betrachteten System, z. B. in eine anderes Einzugsgebiet und d) Speicherung, d. h. Entnahme und Rückgabe sind zeitlich signifikant unterschiedlich. Der größte Anteil des blauen Wassers kommt durch die künstliche Bewässerung der Anbaupflanzen in der landwirtschaftlichen Produktion zustande. Grünes Wasser gibt die Menge an Regenwasser an, die über die Evapotranspiration für das Wachstum von Nutzpflanzen konsumiert wird. Der Verbrauch von grünem Wasser tritt also im Regenfeldbau auf – dies ist auch die dominierende Art von Feldbau in Österreich. Aus ökologischer Sicht ist es zu bevorzugen, wenn ein Produkt einen höheren Anteil an grünem als an blauem Wasser hat. Nimmt man zum Geht man aber über die regionale Betrachtung der realen Wasserströme hinaus, dann sieht man, Beispiel eine Tasse Kaffee, dann ist dass obiges Konzept zu kurz greift: der reale Wasserbedarf für die Zubereitung eben genau eine Tasse Wasser. Der Kaffee wurde aber in Brasilien angebaut und geröstet. Jeder einzelne Schritt des Herstellungsprozesses ist mit einem Wasserbrauch verbunden. Die Tasse Kaffee auf dem Frühstückstisch hat in Summe einen Wasserverbrauch von einer Tasse in Österreich, aber von 140 l in Brasilien. Das heißt der Konsum einer Tasse Kaffee benötigt insgesamt mehr Wasser, als eine Person pro Tag real im Haushalt verwendet. Betrachtet man also die Summe der menschlichen Aktivitäten auf diesem Planeten, dann resultiert daraus ein realer, globaler Wasserverbrauch. Für eine spezifische Region, eine Stadt oder ein Land sind aber nicht alle Anteile des Wasserverbrauchs direkt zuordenbar und real. Mit importierten Gütern werden virtuelle Wasserströme importiert, die aber natürlich in anderen Regionen real auftreten. Das Konzept des Wasserfußabdrucks besteht darin, den gesamten Wasserkonsum den Endverbrauchern zuzuordnen und damit die globalen Wasserströme und ihre Ursachen sichtbar zu machen. Das Konzept wurde von dem niederländischen Forscher Hoekstra entwickelt und hat sich seither zu einem der wichtigsten ökologischen Indikatoren zur Wassernutzung etabliert (Hoekstra et al., 2011). Das Europäische Projekt Urban Water Footprint (URBAN_WFTP, 4CE439P3) widmet sich der Umsetzung des Konzepts in urbanen Räumen. 291 20 | 21 Der Wasserfußabdruck

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Referenzen J. A. Allan(1998): Virtual water: a strategic resource, global solutions to regional deficits. In: Groundwater, Vol. 36(4), S. 545–546. A. Y. Hoekstra; A.K. Chapagain (2007): Water footprints of nations: water use by people as a function of their consumption pattern. In: Water Resources Management, Vol. 21(1), S. 35–48. A. Y. Hoekstra, A. K. Chapagain, M. M. Aldaya, M. M. Mekonnen (2011): The Water Footprint Assessment Manual: Setting the Global Standard. In: Earthscan, London, UK W. E. Rees (1996): Revisiting carrying capacity: Area-based indicators of sustainability Population and Environment, 17 (1996), S. 195–215 D. Vanham (2012): Der Wasserfußabdruck Österreichs: Wie viel Wasser nützen wir tatsächlich, und woher kommt es? In: Österreichische Wasser und Abfallwirtschaft 64 (1–2), S. 267–276. D. Vanham (2013): The Water Footprint of Austria for Different Diets. In: Water Science and Technology, 67 (2013), S. 824–830 Graues Wasser ist ein Indikator für die Verschmutzung des Wassers durch die Nutzung. Die effektive Menge an grauem Wasser ist definiert als notwendiges (Verdünn)Volumen, um das Abwasser so weit zu verdünnen, dass allgemeingültige Standardwerte für die Wasserqualität eingehalten werden. Je nachdem welche Verschmutzungsparameter betrachtet werden, können sich hier durchaus unterschiedliche Volumina des grauen Wasseranteils ergeben. Hier ist auch noch eine weitere Besonderheit zu beachten: Durch den Einsatz von Abwasserreinigung wird natürlich die Menge des grauen Wassers signifikant reduziert. Die Abwasserreinigung wirkt sich also in diesem Indikator uneingeschränkt positiv aus – der dafür benötigte Ressourceneinsatz (vor allem der Energiebedarf) wird aber in diesem Konzept nicht beachtet. Der virtuelle Wasserinhalt von jedem landwirtschaftlichen Produkt hat damit eine grüne, blaue und graue Wasserkomponente. Je nach Produktionsmethode und regionalen Gegebenheiten sowie Klimaverhältnissen und Bodenart können diese Komponenten für eine Kulturpflanze unterschiedliche Größen aufweisen. So werden in Österreich 32 Liter Wasser für die Produktion von 1 kg Tomaten benötigt. Der globale Mittelwert ist aber mit 214 Litern pro kg viel höher. Der virtuelle Wasserinhalt von Tomaten beträgt in den beiden wichtigsten Herkunftsländern Italien und Spanien 109 bzw. 83 Liter pro kg. Tomaten aus Spanien und Italien beinhalten auch einen wesentlichen Anteil blaues Wasser (beide jeweils 28 %). Das dritte wichtige Herkunftsland für Tomaten sind die Niederlande, wo 1 kg mit nur 9 Litern (ohne jegliches blaues Wasser) erzeugt wird. Dies ist mit dem sehr hohen Ertrag in Glashäusern zu erklären. Für die Berechnung des virtuellen Wasserinhalts von verschiedenen Produkten stehen mittlerweile detaillierte Berechnungsmethoden und Datenbanken zur Verfügung (http://www.waterfootprint.org). Der Wasserfußabdruck ist eine Weiterentwicklung des obigen Konzepts des virtuellen Wassers durch den niederländischen Wissenschaftler A. Y. Hoekstra (Hoekstra et al., 2011). Der Wasserfuß- abdruck stellt dabei das gesamte verbrauchte Wasservolumen in Relation zum Bezugssystem, d. h. es wird ein Flächenbezug hergestellt. Damit entspricht der Wasserfußabdruck dem gängigen Konzept der Fußabdruckindikatoren, wie z. B. dem ökologischen Fußabdruck von Rees und Wackernagle (Rees, 1996). Der Wasserfußabdruck wird meist für ein regionales Bezugssystem (Stadt, Region, Land) berechnet – es ist jedoch auch möglich, den Fußabdruck für Prozesse, Unternehmen und Personen zu bestimmen. Der Wasserfußabdruck eines Landes setzt sich als Summe des direkten Wasserkonsums (die Wassermenge, die in Haushalten zum Kochen, Putzen, Trinken und Waschen genutzt wird) und des indirekten Wasserverbrauchs zusammen. Der indirekte Wasserkonsum ist diejenige Wassermenge, die einerseits bei der Herstellung von Gütern im eigenen Land verbraucht wird (interner Wasserfußabdruck), und andererseits das Wasservolumen, das im Ausland zur Produktion von denjenigen Gütern verbraucht wird, welche nachfolgend in Österreich konsumiert werden (externer Wasserfußabdruck). Der Wasserfußabdruck Österreichs Der gesamte Wasserfußabdruck von Österreich beträgt etwa 4400 Liter pro Person und Tag. Diese Summe entspricht einem Verbrauch von 1600 m3 pro Person und Jahr bzw. 12,9 km3 pro Jahr für die gesamte Bevölkerung – in etwa das dreifache Volumen des Attersees. Mehr als 85 % dieses Wasserkonsums ist landwirtschaftlichen Produkten zuzuordnen. Die Produktion von Industriegütern hat hingegen einen eher geringen Einfluss auf den Wasserkonsum. Wasserfußabdruck eines Landes (nach Vanham, 2012) Wasserverbrauch im Haushalt (kochen und trinken, putzen und waschen, Abwässer etc.) direkter Wasserverbrauch Wasserverbrauch für die Produktion von Waren in Österreich, die auch in Österreich konsumiert werden ( = interner Wasserfußabdruck) indirekter Wasserverbrauch Wasserverbrauch in anderen Ländern für Produkte, die in Österreich konsumiert werden ( = externer Wasserfußabdruck) der Wasserfußabdruck Österreichs Der Wasserfußabdruck

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Anteile des Wasserverbrauchs in Österreich (nach Vanham 2012). 1% 29 % 13 % 57 % landwirtschaftliche Produkte extern landwirtschaftliche Produkte intern industrielle Produkte extern industrielle Produkte intern Insgesamt geht der Konsum von Produkten vor allem zulasten ausländischer Wasserressourcen. Der externe Wasserfußabdruck dieser Produkte ist wesentlich höher als der interne. Untersucht man die einzelnen Produktgruppen der österreichischen Konsumenten, dann wird klar, dass 50 % des gesamten landwirtschaftlichen Fußabdrucks auf die Gruppe „Fleisch und andere tierische Produkte (Milch, Eier, Butter ...)“ entfallen. Die zweitgrößte Gruppe sind die Genussprodukte (Kaffee, Tee, Kakao und Tabak) mit 12 %. Auf die Gruppe Getreide (Weizen, Mais, Gerste, Roggen, Reis) entfallen 9 % vom gesamten Wasserfußabdruck. Diese Gruppe beinhaltet auch abgeleitete Produkte wie Brot oder Bier. Fazit und Zusammenfassung Welche Schlüsse kann man nun aus dieser Analyse ziehen? Erstens sieht man, dass der Wasserfußabdruck von Österreich mit ca. 4400 l/E/d fast 20-mal größer ist als der reale Wasserverbrauch im Haushalt (ca. 240 l/E/d). Ein wesentlicher Teil davon ist externes virtuelles Wasser, das über landwirtschaftliche Produkte nach Österreich importiert wird. Österreich ist nach diesem Ansatz also ein Nettoimporteur von Wasser. Macht es aber Sinn, den Wasserfußabdruck in Österreich zu vermindern – insbesondere, da Österreich vermutlich auch in Zukunft ein wasserreiches Land bleibt? Nach dem Konzept des Wasserfußabdrucks ist dies uneingeschränkt sinnvoll und wünschenswert. Der Grund ist, dass durch den geringeren Wasserfußabdruck der Wasserkonsum im Ausland reduziert werden kann. Ein zweiter interessanter Punkt ist, dass ein sehr großer Teil des Wasserkonsums durch den hohen Fleischkonsum in Österreich bedingt ist. Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von ca. 110 kg Fleisch pro Jahr liegt Österreich im weltweiten Spitzenfeld. Vanham (2013) zeigt, dass durch eine Umstellung der Nahrungsgewohnheiten der Wasserfußabdruck signifikant (um ca. 25 %) gesenkt werden kann. Der Wasserfußabdruck macht den Zusammenhang zwischen Ernährung und nachhaltiger Nutzung der Wasserressourcen deutlich. Im Vergleich zur traditionellen Statistik der Wassernutzung erlaubt der Wasserfußabdruck ein detailliertes Bild des Wasserkonsums. Dadurch können sehr wertvolle Hinweise zur Nachhaltigkeit im Konsum gewonnen werden. Es ist aber eine Schwäche des Konzepts, dass nur Wasserströme behandelt werden und andere Ressourcen, wie z. B. Energie, vernachlässigt werden. Zudem sind für die Anwendung umfangreiche Erhebungen der landwirtschaftlichen Produktions- und Verbrauchsdaten notwendig. Dennoch hat sich der Wasserfußabdruck als ökologischer Indikator international etabliert. N Thalbach, 2011. Bregenz, Baujahr 1899, Renovation 2007 Danksagung Der Autor bedankt sich für die Förderung der Arbeit im Projekt URBAN_WFTP, 4CE439P3. Das Projekt wird im Rahmen des Förderprogramms Central Europe aus EFRE-Mitteln kofinanziert. 291 22 | 23 Der Wasserfußabdruck

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Wasser als Stromspeicher | Wenn erneuerbare Stromquellen in Dialog treten Pumpspeicherkraftwerke zählen zu Österreichs ältesten Ingenieurleistungen in der Energietechnik, doch der Ausbau von Wind- und Sonnenstrom lässt sie in neuem Glanz erscheinen. Wirtschaftlich haben sie es dadurch nicht unbedingt leichter – kurzfristig zumindest. Magdalena Klemun ist Fulbright-Stipendiatin im Masterstudiengang „Earth Resources Engineering“ an der Columbia University in New York. Sie studierte Elektrotechnik an der TU Wien und ist als freie journalistische Mitarbeiterin für Die Presse sowie für das US-amerikanische Marktforschungsinstitut GTM Research im Bereich Smart Grids tätig. Das ist die örtliche Dimension des Problems, doch im Kern fehlt es dem Stromnetz an der Fähigkeit, elektrische Leistung zeitlich aufzuschieben. Anders als Wasser lässt sich Elektrizität nicht einfach in einen Tank füllen, sie benötigt ein Speichermedium. Bei der Einspeisung ins Netz muss außerdem das Zusammenspiel verschiedener Leistungsformen genau kontrolliert werden, um Netzfrequenz und Spannung stabil zu halten. Da erneuerbare Energieressourcen wetterabhänging und daher nicht immer verfügbar sind, wenn Industrieanlagen produzieren oder Konsumenten fernsehen wollen, stellt mehr Strom aus Fotovoltaik- oder Windkraftanlagen Netzbetreiber vor die Herausforderung, elektrische Leistung aufzuschieben. So profitabel wie nur geht, versteht sich. Im Fall von Pumpspeicherkraftwerken entspricht dieses Aufschieben dem Hinaufpumpen vom Wasser von einem Unterbecken in ein Oberbecken, ein Wasserkraftwerk mit Stausee hingegen sammelt Wasser an. Ihre Erfindung liegt nur 24 Jahre auseinander, doch bis zum funktionellen Zusammenwirken der Technologien verging noch ein halbes Jahrhundert: Fotovoltaik, Pumpspeicherkraftwerke und Windkraftanlagen – es sind drei grundlegend verschiedene Stromerzeugungsarten, deren Balance durch den Ausbau erneuerbarer Energieträger rasant an Bedeutung gewinnt. 1930 geht im deutschen Niederwartha eines der ersten großen Pumpspeicherkraftwerke in Betrieb, im gleichen Jahrzehnt werden Windkraftanlagen eine populäre Stromerzeugungsform für abgelegene Bauernhöfe, etwa in den USA. 1954 verkünden die amerikanischen Bell Laboratories die Erfindung der ersten Solarzelle aus Silizium – das Trio aus Sonne, Wind und Wasser ist komplett. Theoretisch, doch im Stromnetz existiert es noch nicht. Heute schon. 2012 wurde in Österreich nach Daten der Regulierungsbehörde E-Control um fast ein Drittel (28,5 %) mehr Energie aus Fotovoltaikund Windanlagen ins Netz eingespeist als noch 2009. Zwar hat sich der Anteil erneuerbarer Energieträger an der Stromerzeugung im selben Zeitraum nur von 9,7 % auf 11 % gesteigert, doch die EU-politische Latte liegt höher: 34 % des Endenergiebedarfs sollen bis 2020 aus erneuerbarer Energie gedeckt werden, das beinhaltet Stromverbrauch, Transport und Wärme. Dieser Anteil liegt in Österreich schon heute bei 31 %. Ein noch höherer Anteil könnte jedoch wirtschaftlich sinnvoll sein, wenn etwa Länder mit schwierigen Ausbaubedingungen Energieanteile zukaufen, wie Ergebnisse des Projekts REFLEX, eine Kooperation von TU Wien, Joanneum und dem Grazer Wegener Center, zeigen. Der Blick auf Österreichs Energielandschaft alleine tut es also nicht. In Deutschland trugen Windund Sonnenenergie 2012 bereits mit 13 % zur Stromerzeugung bei. Vor allem die Solarenergie hat kräftig zugelegt, sie hat in puncto installierter Leistung im August 2012 die Windenergie überholt. Insgesamt kommt damit den Speichertechnologien im europäischen Verbundnetz eine neue, ausgleichende Rolle zu. Vor allem in Deutschland und den USA werden Windfarmen unter ihrer Kapazität betrieben oder ganz vom Netz genommen, weil die von ihnen erzeugte Leistung die Kapazität der Stromleitungen überfordern würde. Oft ist das Fehlen von Leitungen zwischen Gebieten mit viel Erzeugung und solchen mit hohem Verbrauch der Grund, etwa zwischen Nordsee und Bayern. Pumpen ist finanziell verträglich, solange überschüssiger Strom vorhanden und günstig ist. Wird er teurer, weil die Nachfrage in Spitzenlastzeiten steigt oder Regelleistung benötigt wird, fließt das Wasser über Turbinen und Generatoren wieder ins Tal. Mit Wirkungsgraden von über 80 % geht dabei massenhaft Energie den Fluss, aber kaum welche den Bach hinunter. Im internationalen Vergleich spielen Speicherkraftwerke in Österreich seit jeher eine große Rolle: 65,7 % der Stromerzeugung wurden laut Regulierungsbehörde E-Control 2012 von Wasserkraftwerken geliefert, rund ein Drittel davon durch Speicherkraftwerke. Aus den Generatoren der großen Speicherkraftwerke, also jene mit einer Nennleistung größer als 10 Megawatt, floss daher rund ein Fünftel des gesamten Stroms. Das ist mehr als 20 Mal so viel wie im flacheren Deutschland, wo Wasserkraft 2012 nur 3,4 % der gesamten Stromerzeugung bereit stellte. Dabei hat die deutsche Energiewende, angetrieben durch Atomausstieg und Einspeisetarife, den erneuerbaren Energieträgern bisher eine größere Rolle zugewiesen als Österreich: Wind stellte in Deutschland 2012 7,4 % der Stromerzeugung, Fotovoltaik 4,5 % – um ein Eckhaus mehr als die 3,4 % Wind- und 0,2 % Fotovoltaikanteil in Österreich. Noch extremer wird dies im regionalen Bereich: So überstieg der Windkraftanteil im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern 2011 etwa ein Drittel der Stromerzeugung. Dennoch steht die deutsche Energiewirtschaft den Speicherkraftwerken kritisch gegenüber: Profitabel sind sie vor allem, Wasser als Stromspeicher

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wenn der Preisunterschied zwischen Spitzenlaststrom und überschüssigem Strom groß ist. Fotovoltaikanlagen, die vermehrt Strombedarf zu Mittag decken können, haben diesen „Spread“ schrumpfen lassen. Beim schwedischen Stromkonzern Vattenfall denkt man daher laut über die Schließung des Pumpspeicherkraftwerks Niederwartha nach. Mangelnde Wirtschaftlichkeit ist dabei nicht das einzige Argument gegen die massiven Speicher: Das Bauvorhaben für Deutschlands größtes Pumpspeicherkraftwerk im Südschwarzwald, ein Kraftwerkskoloss mit Leistungskenndaten ähnlich einem Atomkraftwerk, wird von Bürgerinitiativen heftig kritisiert. Umsiedelungen wären im abgelegenen Haselbachtal zwischen Basel und Konstanz zwar nicht notwendig, doch statt stillen Wäldern stünden dort künftig tiefe Wasser. Einzigartige Pflanzen- und Tierwelten gingen dabei verloren, argumentieren Naturschützer – um einzigartige Möglichkeiten, die Speicherkapazität in dem geologisch günstigen Granitgebirge mehr als zu verdoppeln, fürchten Ingenieure. Österreichs Position in puncto Speicherkraftwerke steht ähnlich fest wie die Dämme in der Alpenlandschaft: diese sind schwer zu quantifizieren und in einen monetären Gegenwert zu übersetzen. Gleichzeitig rücken Betrachtungen wie diese auch andere Speicherformen, etwa Lithium-Ionen-Batterien oder Druckluftspeicher in neues Licht. Kleinere, modulare Einheiten könnten in verteilten Energiesystemen an Wirtschaftlichkeit gewinnen, etwa direkt neben Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen. Dass Speicherkraftwerke den Ärger von Umweltschützern erregen, ist dabei nicht ganz verwunderlich: Die lokale Beeinträchtigung von Flora und Fauna ist ein Grund. Das Freiwerden von Kohlendioxid nach der Überflutung von Grünlandschaften, die das in der Biomasse gespeichterte CO2 freisetzt, ist ein anderer, jedoch quantitativ geringfügig wichtiger Grund. Auch hier fehlt jedoch die geeignete Metrik, um Umwelt und Wirtschaft gekoppelt zu diskutieren: Was kostet es etwa den Tourismus, wenn Habitate eingeschränkt werden? Wie viel bringt es dagegen, wenn auf fossile Brennstoffe verzichtet werden kann und wenn österreichische Unternehmen ihre in den Alpen bewiesene Kompetenz exportieren können? Wer sich im europäischen Verbundnetz als grüne „Batterie“ präsentieren will, um etwa Überkapazitäten aus Offshore-Windparks zu speichern, muss die Kapazität seiner Speicher ausbauen. Limberg II, die Erweiterung der Kraftwerksgruppe Kaprun um 480 MW, stellte 2012 den ersten Schritt in diese Richtung dar, der ähnlich leistungsstarke Kraftwerksblock Limberg III ist in Planung. Zudem soll die Kraftwerksgruppe Malta durch das Kärntner Kraftwerk Reisseck II 2014 massiv vergrößert werden. Schon jetzt ist Österreichs relativer Anteil an der EU-Regelleistung weit größer als jener an der EU-Stromerzeugung – und er soll sich künftig erhöhen. Doch ohne Investitionen in den Leitungsausbau kann die zusätzliche Kapazität kaum das Netz erobern. So könnte etwa Limberg III nur mittels einer neuen Hochspannungsleitung, besser bekannt als „Salzburgleitung“, voll genutzt werden – der 3000-Einwohner-Gemeinde Kaprun liefe das Fass vor „grünem“ Strom längst über. Der durch Treibhausgase mitverursachte Klimawandel wird in den kommenden Jahren die Gewichtung dieser Faktoren deutlich prägen. Wer die Ökobilanzen verschiedener Stromerzeugungsbilanzen vergleicht, kommt schnell zu einer Antwort: Gemessen in CO2-Äquivalent, das auch Gase wie Methan je nach ihrem Beitrag zum Treibhauseffekt beinhaltet, verursacht eine Kilowattstunde aus einem Gaskraftwerk fast eineinhalb Mal so viel Treibhausgase wie jene aus einem Pumpspeicherkraftwerk. Ökobilanzen, hier aus der weltweit führenden Schweizer Datenbank Ecoinvent, beziehen den Kraftwerksbau mit ein sowie alle anderen Emissionen, die für den Betrieb notwendige Prozesse über die gesamte Lebensdauer verursachen. Bei Pumpspeicherkraftwerken ist auch jener Strom Teil der Rechnung, der für das Pumpen benötigt wird – Stauseespeicher schneiden also besser ab, doch die Bilanz der Pumpspeicher kann sich sehen lassen. Je mehr Treibhausgase als externe Faktoren von Energiekonsum in wirtschaftliche Überlegungen eingepreist werden, desto schneller werden Speicherkraftwerke vorteilhaft. Momentan ist der Preis für CO2-Zertifikate am europäischen Markt niedrig, doch steigender Handlungsbedarf kann diese Lage ändern. Spätestens wenn Leitungsausbau profitable Regelstromexporte nach Deutschland erlaubt, geht die Zukunft von Speicherkraftwerken in viele Richtungen – aber nicht unter. N Die Wirtschaftlichkeit von Pumpspeicherkraftwerken wird nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich diskutiert. Nach einer Studie der Energy Economics Group an der TU Wien sind Erträge aus Pumpspeichern seit 2007 rückläufig, damit ist der Betrieb der An lagen streng genommen nicht mehr wirtschaftlich. Noch strenger genommen allerdings lässt sich Profitabilität nur im Hinblick auf das gesamte Stromnetz beurteilen. Wenn Speicher die Spitzenlast reduzieren, so reduzieren sie auch die Belastung des Netzes – damit wird auch die Nutzungsdauer von elektrischen Anlagen verlängert. Systemische Effekte wie 291 24 | 25 Wasser als Stromspeicher

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Rippertschwand, 2010. Neuenkirch, Baujahr 1999. Wasser als Stromspeicher

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Die richtige Entwicklungshilfe | Know-how, Geduld und andere wertvolle Ressourcen Wasser spielt in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit eine große Rolle: als Baustoff, als Verkehrsweg, als Infrastruktur, als Chance und Potenzial, leider aber auch als Verursacher von Unglück und Misere. Viele österreichische Projekte nehmen sich dieses Themas an und beweisen, dass Entwicklungshilfe in den letzten Jahren immens an Qualität dazugewonnen hat. Wojciech Czaja geboren 1978 in Ruda Slaska, Polen, ist freischaffender Architekturjournalist und arbeitet vor allem für Der Standard. Seit 2011 ist er Gastprofessor an der Universität fürangewandte Kunst. Kürzlich erschien im Verlag Anton Pustet „Zum Beispiel Wohnen“. Mit 18 Jahren bin ich das erste Mal nach Brasilien geflogen. Und zwar als Entwicklungshelfer für das Internationale Kolpingwerk. Wir sollten in Piauí, hoch oben im Nordosten des Landes, ein sogenanntes Gemeinschaftshaus für die Dorfbevölkerung bauen. So mit Ziegelstein und Wellblechdach. Spannende Sache. Doch wir wurden nicht fertig. Wie soll man auch in nur vier Wochen? Als ich ein halbes Jahr später nochmals nach Piauí geflogen bin (Land und Leute hatten mein Herz längst erobert), konnte ich den Anblick kaum fassen. Das ach so dringend benötigte Gemeinschaftshaus oben auf der Hügelkuppe war immer noch ein Rohbau. Ohne Türen, ohne Fenster, ohne Inhalt. Seit unserer Abreise wenige Monate zuvor hatte sich kaum etwas getan. Mit 18, frisch aus dem Gymnasium, ist man glücklicherweise noch naiv genug, um sich zu fragen: Was ist passiert? „Viele Entwicklungshilfeprojekte misslingen, weil die Ausgangssituation nicht ausreichend analysiert wurde“, erklärt Gunda Maurer, Vorstandsvorsitzende der 2010 gegründeten NGO Architekten ohne Grenzen (AOG). Maurer weiß, wovon sie spricht. Gemeinsam mit ihrer zehnköpfigen Gruppe, die Teil des Netzwerks architecture sans frontières international ist, ent wickelt sie Architektur- und Infrastrukturprojekte in Bhutan, Niger, Pakistan und Montenegro. Derzeit arbeitet sie an einem Gesundheitszentrum im Südsudan und einem Community-Center in Alaska. Wichtigste Grundvoraussetzung für jede einzelne Kooperation ist die genaue Kenntnis der Situation. „Aufbauend auf Studien und Forschungsergebnissen in der jeweiligen Region entwickeln wir unterschiedliche Möglichkeiten, wie wir lokales Bauhandwerk, anonyme Bautradition, Technik und Ökologie in eine zeitgemäß gebaute Form übertragen können. Erst wenn dieser Teil abgeschlossen ist, gehen wir in die Praxis.“ Über Umwege zum Ziel In Nyeyok, Südsudan, direkt am Weißen Nil gelegen, plant AOG gemeinsam mit der oberösterreichisch-rumänischen Partnerorganisation Miakwadang einen Schulcampus mit acht Klassen, einer Krankenstation sowie einem CommunityCenter mit angeschlossenem Museum für die Geschichte der Dinka. Rund 300.000 bis 400.000 Euro sollen dafür lockergemacht werden. Doch bis es so weit ist, muss erst die nötige Infrastruktur geschaffen werden. In Melut, der nächstgrößeren Nilstadt, rund eine Wasserstunde von Nyeyok entfernt, muss zunächst einmal ein Basislager mit Büro, Verwaltung, Arbeiterunterbringung und Materiallager errichtet werden. „Die Infrastruktur in Nyeyok ist so schlecht, dass wir unter den gegebenen Umständen nichts machen können“, sagt Maurer. „Manchmal führt der Weg zum gewünschten Zielprojekt eben über viele, viele Umwege.“ Noch ist der Bildungs- und Medizincampus in Nyeyok Zukunftsmusik. Mit dem Baubeginn ist frühestens 2015, realistischerweise 2017 zu rechnen. Und obwohl das Projekt noch lange nicht ausgegoren ist, steht die Bauweise jetzt schon fest: „Wir haben bereits Bodenuntersuchungen unternommen und haben analysiert, wie und unter welchen Bedingungen Material beschaffen und angeliefert werden kann“, so Maurer. Aufgrund des weichen, tonhaltigen Bodens am Nil werde man um eine Pfahlgründung nicht umhinkommen. Der lokale Lehm wiederum eigne sich zwar für Lehmziegel, nicht aber für Stampflehmbauweise. Die Dachdeckung werde, wie bei den Tukls, den traditionellen Rundhütten, mit Stroh erfolgen. Und um den nötigen Sand und Schotter an Ort und Stelle liefern zu können, werde man den Nil als Transportweg nutzen. Sogar einen regionalen Stahlproduzenten habe man bereits ausfindig gemacht. „Bis zur eigentlichen Realisierung unseres Projekts werden noch viele Jahre vergehen“, sagt Gunda Maurer. „Aber ohne diese Vorarbeiten würden wir es nicht schaffen. Denn sobald man in einem fremden Land, in einer fremden Kultur und unter völlig fremden Gegebenheiten arbeitet, muss man erst einmal mit der Bevölkerung in Kontakt treten und sich ein Bild der Situation machen. Erst dann kann man anfangen zu bauen.“ Hallo Brasilien. Entwicklungsland USA? Ein weiteres AOG-Projekt befindet sich in Kivalina, Alaska. Auf Initiative der Künstlergruppe Wochenklausur und des Alaska Designforum soll die 380-Seelen-Gemeinde an der Polarmeerküste infrastrukturell erneuert und ausgebaut werden. Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Umgestaltung und Aufwertung des bereits bestehenden, jedoch derzeit kaum nutzbaren Community-Centers sowie die Sanierung und Modernisierung des gesamten „Wenn Entwicklungshelfer und Betroffene nicht vom Gleichen sprechen und wenn ein Projekt nicht wirklich eins zu eins auf die Bedürfnisse der Nutzer zugeschnitten ist, dann wird der Erfolg in den meisten Fällen ausbleiben.“ 291 26 | 27 Die richtige Entwicklungshilfe

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Trinkwassersystems. „Die Situation ist besorgniserregend, denn die Inuit leben hier wie in einem Entwicklungsland“, meint Gunda Maurer. „Erstens steigt der Meeresspiegel an und Kivalina droht unterzugehen, und zweitens taut der einstige Permafrostboden in den Sommermonaten immer tiefer auf, was jede Bautätigkeit erschwert und zusehends verteuert.“ Von den USA, so scheint es, wurde Kivalina längst aufgegeben. Man ist auf CharityOrganisationen und NGOs angewiesen. Mit von der Partie ist die Wiener Architektin und Universitätsassistentin Bärbel Müller. Sie ist für die Sanierung der Trinkwasserversorgung zuständig. Gemeinsam mit ihren Studenten von der Angewandten und der BOKU ist sie regelmäßig vor Ort, um, wie sie sagt, erst einmal das System zu begreifen. „Die Machtverhältnisse und eingeschliffenen Spielregeln zwischen Staat, Gemeinde, Institutionen und Tribal Structures sind sehr komplex“, sagt Müller. „Wenn man da keinen Durchblick hat und nicht an die richtigen Entscheidungsträger gelangt, dann wird dieses Projekt niemals fruchten.“ Fazit der Studie: Das größte Problem liegt nicht in der Errichtung beziehungsweise im Bau der Anlage, sondern in der Maintenance, also in der regelmäßigen Wartung der Tanks, Leitungen, Pumpen und Ventile. Kivalinas (Alaska, USA) einstiger Permafrostboden taut in den Sommermonaten immer tiefer auf. Das, so zeigte sich in wochenlangen Gesprächen mit der Inuit-Bevölkerung, sei der eigentliche Schwachpunkt im System. Der erste Schritt lautet daher Aufklärung und Bildung. Bis Sommer 2014 sollen in Kivalina zahlreiche Workshops und Labs stattfinden. Danach geht es, abhängig von den Fördergeldern, ans Eingemachte, an die Sanierung der Wasserversorgung. Und dann gar nichts Was passiert, wenn die Phase null übersprungen oder nicht mit der nötigen Qualität abgewickelt wird, zeigt sich am Beispiel eines Entwicklungshilfeprojekts in Banda Aceh, Indonesien. Abermals ist Wasser mit im Spiel. Nach dem Tsunami im Dezember 2004 startete die Kärntner Architektin Jana Revedin, derzeit Chair of Architecture and Design am Blekinge Institute of Technology in Karlskrona, Schweden, das sogenannte Tsunami Aid Project. Es umfasst eine Polyklinik, ein Sozialzentrum für Jugendliche sowie 14 Waisenhäuser für Kinder, die nach dem Vorbild des SOS-Kinderdorfes betrieben werden. Die Baukosten für das umfassende Wiederaufbauprojekt an der stark gezeichneten Küste im äußersten Nordwesten des Landes belaufen sich auf knapp 1,4 Millionen Euro. Hauptgeldgeber war das Land Kärnten. Hinzu kommen Spendeneinnahmen von Privatpersonen und Unternehmen in der Höhe von rund 430.000 Euro. „Die Planung für den Bau der gesamten Anlage war sehr detailliert und auch die Bevölkerung wurde in den Planungsprozess von Anfang an intensiv miteinbezogen“, erklärt Architektin Jana Revedin. „Alles war perfekt. Doch dann war dem Landeshauptmann Jörg Haider die rasche Fertigstellung des Waisendorfs scheinbar wichtiger als eine ordnungsgemäße Schlüsselübergabe. Im Mittelpunkt dieses Projekts, so scheint es zumindest im Rückblick, stand niemals die Entwicklungszusammenarbeit, sondern immer nur die mediale Publicity fürs BZÖ. Es war die wohl teuerste und aufwendigste Pressekonferenz Kärntens aller Zeiten.“ Und dann nichts. Ich muss schon wieder an Brasilien denken. Acht Monate lang standen die fertiggestellten Gebäude in Banda Aceh leer, weil sich Die richtige Entwicklungshilfe

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Nach dem Tsunami bauten viele Überlebende auf den Fundamenten ihrer alten Häuser. Jana Revedins KOP versteht sich als Leitfaden, wie Schwemmgut und Schrott vor Ort als Baumaterial genutzt werden können. niemand um die Betreuung der Menschen und die Bespielung der neuen Räumlichkeiten gekümmert hatte. Die ÖVP sprach von einem „riesengroßen Spendenskandal“, die SPÖ von der „teuersten PKKulisse aller Zeiten“, und Haider selbst, der kurz zuvor noch in die Kamera gestrahlt hatte, wehrte sich, indem er androhte, all jene Medien zu klagen, die von Spendenmissbrauch oder Steuergeldverschwendung gesprochen hätten. Mit dem Hilfswerk Austria fand sich schließlich eine Trägerorganisation, die das zum Abschluss brachte, was das BZÖ versäumt hatte. Mittlerweile ist das Waisendorf an der Küste Banda Acehs in Betrieb. Die Do-it-yourself-Entwicklungshilfe Sieht so Entwicklungshilfe aus? „Bis zum Zeitpunkt X zu denken und nicht darüber hinaus“, so Jana Revedin, „ist der größte Fehler, den man bei einem Entwicklungshilfeprojekt machen kann.“ Weitaus mehr Glück hatte die Kärntner Architektin bei ihrem Folgeprojekt „Kit of Parts“ (KOP), ebenfalls in Banda Aceh. KOP ist eine Art Bauteilkatalog für die Überlebenden und Rückkehrenden des Tsunami. Er listet unterschiedliche Beispiele auf, die bildhaft veranschaulichen, was man aus angeschwemmtem Bauschutt, aus Schwemmholz, aus Metallschrott sowie aus entwurzelten Bäumen und Palmen alles machen kann und welche Gebäudedimensionen, Bauhöhen und Tragweiten sich dafür empirisch eignen. „Es ist ein psychologisches Phänomen, dass die Überlebenden selbst bei drohender Gefahr immer wieder an jenen Ort zurückkehren, an dem sie ihre Familien verloren haben“, erklärt Jana Revedin. „Da helfen auch keine Vorschriften und Verbote der Regierung, die nach dem Tsunami ausgesprochen wurden. Was liegt also näher, als den Leuten zu zeigen, wie sie aus dem meterhohen Schwemmgut auf den meist noch existierenden Fundamenten ihrer einstigen Häuser wieder ein intaktes, vollwertiges Wohnhaus bauen können?“ Mittlerweile wurden nach dem KOP-Prinzip in Banda Aceh rund 700 Häuser errichtet. Finanzielle Unterstützung kam vom UNHCR und von der britischen NGO Muslim Aid. Das Bild erinnert ein wenig an den Wiederaufbau des Lower Ninth Ward in New Orleans, zu dem Brad Pritt gemeinsam mit dem Berliner Architekturbüro Graft nach dem Hurrikan Katrina im August 2005 zusammengetrommelt hatte: viel Farbe, viel Spontaneität, viel Witz und Humor. Warum auch nicht. „KOP ist ein Paradebeispiel dafür, wie schnell sich ein Projekt verselbstständigen kann“, sagt Revedin. „Im Grunde genommen haben wir nur den allerersten Impuls gegeben. Was daraus wurde, war ein Selbstläufer und entzieht sich unserer Planung und Kontrolle. Besser geht’s nicht.“ Einen Multiplikationseffekt wie diesen gibt es auch bei anderen, langfristig geplanten und mit viel Biss betreuten Entwicklungshilfeprojekten, wie etwa in Bangladesch und Südafrika. Eine der 291 28 | 29 Die richtige Entwicklungshilfe

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besonders aktiven Protagonistinnen in diesem Bereich ist die Architektin Anna Heringer. 2006 baute sie gemeinsam mit dem Berliner Architekten Eike Roswag die Meti Handmade School in Rudrapur, Bangladesch. Der zweistöckige Lehmbau wurde mit etlichen Architekturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Aga Khan Award. 2008 folgte die Desi-School, ebenfalls in Rudrapur. „Vor allem in einem so dicht besiedelten Land wie Bangladesch hat Lehmbau enorme Potenziale“, erklärt Heringer. „Erstens kann sich diesen Baustoff jeder leisten, zweitens kann man durch den Entfall des Brennvorgangs Kohle, Holz und CO2-Emissionen einsparen und drittens kann man mit Lehm wie mit jedem anderen Material auch in die Höhe bauen und auf diese Weise der zunehmenden Raum- und Grundstücksnot entgegenwirken.“ Na endlich: Missing Link Doch ein Problem gab es. Denn entgegen der ursprünglichen Intention Heringers wurden die beiden Lehmschulen von der Bevölkerung nicht als Inspirationsquelle für den Privatbereich erkannt. Die Hemmschwelle, den Lehmbau auf die eigenen vier Wände zu übertragen, war zu groß, der Maßstabssprung zu abstrakt. „Als wir das erkannt haben, war klar, dass wir in Rudrapur unbedingt noch einen Wohnbau machen müssen. Die Homemade Family Houses waren also eine Art Missing Link zwischen öffentlicher und privater Verantwortung.“ Immer mehr Leute aus der Umgebung, erzählt Heringer, holen sich Inspiration von den neuen Homemade Familiy Houses und wenden das Gesehene auf der Baustelle daheim an. Es tut sich was. In den Achtzigerjahren durften in Bangladesch Stampflehmhäuser nicht einmal gefilmt werden. Das war per Gesetz verboten. Schlechtes Image. Mittlerweile ist die Sensibilität und Offenheit für das Thema gestiegen. Seit Wang Shu, Pritzker-Preisträger 2012, ist die Werbetrommel, so scheint es, so richtig in Schwung. Und seit Toyo Ito, der für seinen Beitrag „Architecture. Possible here?“ auf der Architektur-Biennale 2012 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, ändert sich auch das bisweilen noch etwas angespannte Verhältnis zwischen Architektur und Entwicklungshilfe. „Down to Earth“ ist richtig chic geworden. Das zeigt auch ein Blick nach Südafrika. In Zonkizizwe in der Provinz Gauteng, rund 50 Kilometer südlich von Johannesburg, betreibt der österreichische Verein s2arch mit der Wiener Vermögensverwaltungs- und Beratungsgesellschaft Ithuba Capital eine Grundschule für rund 260 Kids. Der Anteil an Lehmhäusern ist sehr hoch, denn nach fünf Jahren studentischer Bauarbeit vor Ort konnte sich die traditionelle Stampflehmbauweise gegen Wind und Witterung am besten durchsetzen. Allmählich schwappt der in Vergessenheit geratene Baustoff auf die Bevölkerung über. Bei einem Spaziergang durch das benachbarte Magagula Township wird man sich des Erfolges gewahr. Die Slumsiedlung ist voll von winzigen Ziegelbauten und abenteuerlich zusammengeschraubten Blechverschlägen, in denen ganze Großfamilien wohnen. Ab und zu fällt ein hübsch verputztes Lehmhaus ins Auge. Mit bunten Türen und unterschiedlich großen Fenstern. „Viele von uns haben beim Bau der Schule mitgeholfen“, sagt einer der Bewohner. „Wenn man da so viele Wochen mit den Studenten zusammenarbeitet, dann bleibt was hängen. Was soll ich sagen? Diese Art zu bauen gefällt mir richtig gut.“ Das hat in Brasilien damals niemand gesagt. Nachhaltige Architektur in Entwicklungshilfemission hat ihren Zenit erreicht. Zumindest dann, wenn sie langfristig konzipiert und mit hoher Qualität geplant wird. N Projekte wie die Ithuba School tragen dazu bei, traditionelle Baustoffe wie Lehm auch für Privatgebäude wieder populär zu machen. Die richtige Entwicklungshilfe

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Parteien im Check | Nach der Wahl – ist vor der Wahl Die Forderungen der bAIK für leistbares, sicheres und qualitativ hochwertiges Planen und Bauen ArchitektInnen und IngenieurkonsulentInnen sind wichtige PartnerInnen der öffentlichen Hand. Sie sorgen dafür, dass qualitätsvoll und sicher projektiert und gebaut wird und dass die Interessen der Allgemeinheit bestmöglich gewahrt werden. Sie stehen für die Trennung von Planung und Ausführung und garantieren der öffentlichen Hand so die Beachtung des „Vieraugenprinzips“. Qualität und unabhängige Planung rechnen sich daher wirtschaftlich immer. In der Verantwortung der Politik liegt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den ZiviltechnikerInnen ermöglichen, diese gesellschaftliche Rolle zu erfüllen. Die Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten nimmt daher die Nationalratswahl zum Anlass, Forderungen an die Politik zu formulieren und die Parteien zu ihren Standpunkten gegenüber folgenden ziviltechnikrelevanten Themen zu befragen: Befragt wurden die bis zur Nationalratswahl 2013 im Parlament vertretenen Parteien. Zur Beantwortung der Fragen stand allen Parteien dieselbe Zeichenanzahl zur Verfügung, die unterschiedlichen Antwortlängen ergeben sich ausschließlich aus den jeweiligen Rückmeldungen. Die Reihung der Antworten erfolgte nach den Ergebnissen der Nationalratswahl 2008. www.erstebank.at www.sparkasse.at „ Ziviltechniker stehen gerne auf sicheren Beinen.“ „ Mit einer Bank, die für die finanzielle Statik sorgt.“ Hinter jedem erfolgreichen Ziviltechniker steht eine starke Bank. Ob private oder berufliche Finanzen – unsere Kundenbetreuer liefern rasch und kompetent maßgeschneiderte Lösungen für Ihre Bedürfnisse. Vereinbaren Sie einen Beratungstermin in Ihrer Filiale oder unter 05 0100 - 50500. EBSP_ImgArch_209x145_abf_Konstruktiv_17062013.indd 1 18.03.13 11:16 Anzeigen

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1. Geistige Dienstleistungen: Zuschlag für qualitativ beste Projekte! Wer bei der Planung eines Projektes spart, bezahlt dafür mit höheren Kosten bei der Ausführung, der Instandhaltung sowie mit deutlich höheren Betriebskosten. Die umfassende Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Angebots, die natürlich auch den Preis einbezieht, ist für geistige Dienstleistungen ein Muss. Die Forderungen der bAIK: • Keine Zuschlagserteilung nur aufgrund des niedrigen Preises • Verpflichtende Festlegung des Bestbieterprinzips Die Möglichkeit, solche Beschränkungen auf nationaler Ebene vorzunehmen, wurde in Art. 66 der modernisierten europäischen Vergaberichtlinie ausdrücklich festgelegt. „ Werden Sie im Nationalrat einen Antrag für ein Vergabegesetz einbringen bzw. unterstützen, welches die verpflichtende Zuschlagserteilung aufgrund der besten qualitativen und nachhaltigen Leistung vorsieht und eine Zuschlagserteilung allein aufgrund des niedrigsten Preises ausschließt? “ SPÖ Das Vergabegesetz bietet eine Reihe von Möglichkeiten, für Beschaffungsvorgänge vielfältige Kriterien festzulegen und zu gewichten. Aus Sicht der SPÖ soll im Sinne eines wirtschaftlichen Beschaffungswesens, insbesondere im Hinblick auf Qualität, Nachhaltigkeit und die Förderung von Innovation, in Ausschreibungen verstärkt von diesen Instrumenten Gebrauch gemacht werden. (Zugleich ist festzuhalten, dass für eine effiziente Abwicklung von öffentlichen Aufträgen auch die Vergabe zum niedrigsten Preis, insbesondere im Bereich standardisierter Beschaffungen, das geeignetste Instrument ist.) ÖVP Qualität, Nachhaltigkeit und die Betrachtung sämtlicher Lebenszykluskosten ist gerade bei Bauprojekten von übergeordneter Bedeutung und erfordert hochwertige Planungsleistungen sowie eine sorgfältige Auswahl dieser. Entscheidend für die Auswahl des Vergabeverfahrens und Zuschlagsprinzips sollten dabei vorrangig die spezifischen Projektanforderungen sein. Unserer Meinung nach sollte im Sinne der Eigenverantwortung und Wahlfreiheit, dies daher nicht der Staat im Allgemeinen, sondern der jeweilige Verantwortliche nach ausreichender Meinungsbildung und im Rahmen der derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen festlegen. FPÖ Im Zuge nahezu aller großen öffentlichen Investitionen gibt es Unregelmäßigkeiten in der Vergabepraxis der betroffenen Gebietskörperschaften. Insbesondere im Bausektor scheinen unlauteren Geschäftspraktiken Tür und Tor geöffnet zu sein. Politisches Hickhack begleitet zum Nachteil des grundsätzlich stimulierenden Anreizes von Investitionen viele Großprojekte und beeinträchtigt deren ökonomische Wirkung. Österreich benötigt daher eine transparente und einklagbare Vergabepraxis. Wir bekennen uns zu einer nachvollziehbaren und an der Gesamtrentabilität eines Projekts orientierten Normierung eines umfassenden Bestbieterprinzips anstatt des bisherigen Billigstbieterprinzips, welches etliche bedeutsame Nebeneffekte öffentlicher Investitionen aufgrund seiner verkürzten Sichtweise außer Acht lässt und oft zu suboptimalen Entscheidungen führt. BZÖ Viele öffentliche Bauprojekte der letzten Zeit endeten teilweise in echten „Bauskandalen“, bei denen Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern vernichtet worden sind. Zurückgeführt wurde dies unter anderem auf die Vergabepraxis, die mehrfach vom Rechnungshof kritisiert wurde. Hohe Folgekosten sind bei diesen Fällen noch gar nicht Teil der Diskussion. Gute Planung könnte hier nicht nur bei öffentlichen, sondern auch bei privaten Bauvorhaben im Interesse der Bauherren, der Steuerzahler und der Umwelt deutliche Verbesserungen bringen. Wenn es gelingt, die Wirtschaftlichkeit einer geistigen Dienstleistung in Bezug auf die Folgekosten in die Vergabeentscheidung einzubeziehen, wäre dies ein deutlicher Fortschritt, um die wirtschaftlichsten und steuergeldschonendsten Lösungen zu gewährleisten. Gerade im Bereich öffentlicher Bauprojekte wären wohl auch Ausschreibungsvorgaben für die Folgekosten wünschenswert. Wir stehen daher Überlegungen in dieser Richtung durchaus positiv gegenüber. Schließlich haben die Bürger „genug gezahlt“ für Bauskandale und „Freunderlwirtschaft“. Die Grünen Die Grünen vertreten regelmäßig die Position, dass in Verfahren nach dem Vergabegesetz das an qualitativen Kriterien orientierte Bestgebot den Zuschlag erhalten soll. Das BilligstbieterInnenprinzip fördert qualitatives Downgrading. Dies zeigt sich etwa auch in Verfahren zur Vergabe von Bildungsmaßnahmen oder Betreuungsmaßnahmen im Sozialbereich. Die Grünen werden daher Bemühungen, Bestgebote vor Billigstgebote zu reihen, mit allen ihren parlamentarischen Möglichkeiten unterstützen. Team Stronach Ja, wir vom Team Stronach befürworten jedenfalls das Bestbieterprinzip im Sinne einer allumfassenden Beurteilung eines Angebotes. Sicherzustellen ist, dass die Beurteilung auch von fachlich ausreichend geschulten Personen erfolgt, welche die aktuelle Marktsituation auch aus der Praxis beurteilen können. 291 34 | 35 Parteien im Check

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2. Normen: Durch Entrümpelung und Transparenz Wohnen wieder leistbar machen! Seit dem Ende der Ersten Republik hat sich die Anzahl der Normen auf 25.000 ver-35-facht. Gut ein Viertel (6000) betreffen das Bauwesen. Ebendiese Normenflut ist eine Ursache für die Kostenexplosion am Wohnungssektor in Österreich. Das Normengesetz stammt in seinen Grundzügen aus dem Jahr 1954, durch eine Modernisierung der Normen könnten ohne Qualitätsverluste Schätzungen zufolge rund 300 Millionen Euro jährlich gespart werden. Die Forderungen der bAIK: • Entrümpelung der bestehenden Normen: Bestehende Normen sollen in Hinblick auf negative Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung evaluiert werden. Bei Normen im Bereich Bauwesen sollen Auswirkungen auf die Baukosten, denen kein ausreichender Nutzen gegenübersteht, überprüft werden. • Transparenz der Normerzeugung: Mit einer neuen Norm verbundene Kosten und deren Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung sollen geprüft werden. Zudem soll verpflichtend offengelegt werden, wer an welchen Normen mitwirkt. • Einrichtung eines PlanerInnenrates: Im Rahmen einer Neufassung des Normengesetzes soll nach dem Vorbild des beim Deutschen Institut für Normung bestehenden „Verbraucherrates“ ein PlanerInnenrat eingerichtet wer- den. Dieser soll aus VertreterInnen herstellerunabhängiger planender Berufe zusammengesetzt sein und der Kostenexplosion durch neue Normen entgegenwirken. Über den PlanerInnenrat soll eine teilweise Entschädigung der Arbeit herstellerunabhängiger, die Interessen der Allgemeinheit vertretender ExpertInnen in den Normenkomitees erfolgen. • Steigerung der Effizienz des Austrian Standards Institutes (ASI): Es soll eine Evaluierung der Effizienz der Strukturen des ASI im internationalen Vergleich erfolgen. Im Rahmen einer Novelle des Normengesetzes sollen wirksame Aufsichtsrechte geschaffen werden. „ Werden Sie im Nationalrat einen Antrag für ein Normengesetz einbringen bzw. unterstützen, welches die oben angeführten Vorschläge berücksichtigt? “ SPÖ Diese Materie wurde politisch bereits im Herbst 2012 im Rahmen einer SPÖ-Klubenquete von unserer Bautensprecherin Ruth Becher diskutiert. Der Analyse und den Forderungen der Architektenkammer können wir uneingeschränkt zustimmen. Wie die Forderungen rechtlich umgesetzt werden, ist Verhandlungssache mit dem jeweiligen Koalitionspartner. ÖVP Um Wohnen wieder leistbar zu machen, setzen wir – wie auch von Ihnen gefordert – auf Transparenz, Deregulierung und Vereinfachung. In den letzten Jahren sind die Anforderungen an Gebäude signifikant gestiegen. Dies erschwert oft das Bauen und erhöht die Wohnkosten. Mit einer gezielten Vereinheitlichung, Durchforstung und Deregulierung der einzelnen Bauordnungen und Normen kann Bauen und Wohnen wesentlich günstiger werden. Konkrete Ansätze sind beispielsweise die Stellplatz- und Notkaminverpflichtungen in Wien oder die verschiedenen Verfahrensvorschriften der Landesbauordnungen. Weitere Maßnahmen betreffen eine möglichst schlanke Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinien sowie eine Vereinfachung der technischen Vorschriften des Bundes und des ÖIB. Ihre übersandten Vorschläge entsprechen bzw. ergänzen unsere geplanten Maßnahmen und werden gerne in die weitere Arbeit aufgenommen. Zusätzliche Informationen finden sie auch unter http:// www.oevp.at/service_multimedia/Folder_ und_Broschueren.psp „Zukunftsweisend – Leistbares Wohnen“. FPÖ Der von der Bundeskammer aufgezeigte Weg für eine Reform des Normungswesens findet unsere ungeteilte Unterstützung. Zusätzlich muss bei allem Verständnis für den Föderalismus in vielen Bereichen eine Harmonisierung im legislativen Bereich erreicht werden, die letztendlich zu einer Entbürokratisierung führen soll. BZÖ Wir haben uns immer wieder für die Modernisierung von Gesetzen bzw. Normen eingesetzt. So haben wir bereits ein Verfallsdatum – also eine automatische Befristung – für Gesetze beantragt, um der Gesetzesflut Herr zu werden. Konkret sollen Gesetze nur für eine begrenzte Dauer Gültigkeit haben, danach müssen sie evaluiert und je nach Sinnhaftigkeit verlängert, neu gestaltet werden oder auslaufen. Auch der Bereich der Normen drängt sich für eine umfassende Evaluierung tatsächlich auf, zumal die Normenerstellung durchaus nicht gänzlich unabhängig von wirtschaftlichen Interessen erfolgt. Wir stehen daher der Forderung nach mehr Unabhängigkeit von Herstellerinteressen, Transparenz, besserer Kontrolle und einer Evaluierung insbesondere im Hinblick auf die Kostenfolgen eindeutig positiv gegenüber. Auch im Bereich der Bauordnungen und der Bautechnik wären unseres Erachtens durchaus Einsparungen im Wohnbau ohne Qualitätsverluste erreichbar. Die Grünen „Good governance“ verlangt nach einer regelmäßigen Überprüfung des Normenbestandes hinsichtlich seiner Aktualität, der Regelungsinhalte und der Zielsetzungen. Ohne eine derartige Überprüfung verkommen Regelwerke zum bürokratischen Ungetüm, zum Papiertiger. In welchem Ausmaß die von der Architektenkammer geforderte Entrümpelung des Normenbestands ökonomisch wirksam sein wird, kann erst nach einer derartigen Überprüfung festgestellt werden. Die Grünen treten aber gerade deshalb auch für eine derartige Überprüfung ein und unterstützen diese Forderung der Kammer. Team Stronach In jeder Gesetzgebungsperiode werden in Österreich von den gesetzgebenden Körperschaften auf rund 60.000 Seiten neue Gesetzestexte produziert. Diese sind in der Praxis oft kaum anwendbar und mit noch mehr Verwaltungsaufwand verbunden. Ein Rückbau von Gesetzen und Normen erspart Bürokratie und gibt unseren Unternehmern ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder zurück. Parteien im Check

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3. Honorarordnung: Faire Honorare für hochwertige Leistungen! ArchitektInnen und IngenieurkonsulentInnen lösen komplexe Planungsaufgaben im Interesse der Gesellschaft. Sie garantieren die Sicherheit von Bauten und Anlagen und berücksichtigen in ihrer Arbeit öffentliche Interessen, z. B. die Einhaltung hoher Umweltschutzstandards. Die Honorierung all dieser Leistungen kann nicht allein nach marktwirtschaftlichen Kriterien erfolgen. Der Glaube, dass ein unregulierter, freier Markt automatisch positive wirtschaftliche Auswirkungen hat, erlitt in den letzten Jahren Schiffbruch. In Deutschland regelt eine Verordnung des Bundes die Honorare für ArchitektInnen und IngenieurInnen. Gegenüber der völlig freien Honorarvereinbarung in Österreich bietet diese Rechtslage zahlreiche Vorteile für AuftraggeberInnen und AuftragnehmerInnen. Die Forderungen der bAIK: • Die Schaffung einer Rechtsgrundlage für eine Honorarordnung nach deutschem Vorbild. • Transparenz: Eine Honorarordnung sichert den Informationsaustausch in komplexen Planungsprozessen zwischen AuftraggeberInnen und AuftragnehmerInnen. Sie gibt einen Preisrahmen vor und dient damit auch dem Verbraucherschutz. • Qualitätssicherung und -wettbewerb: Honorarordnungen bilden die wirtschaftliche Grundlage für die Erbrin- gung innovativer Leistungen auf hohem Qualitätsniveau. • Kalkulationssicherheit: Die verbindliche Gebührenordnung und der in ihr vorgegebene Honorarrahmen gewährleisten der AuftraggeberInnenseite eine Vereinfachung bei der Kalkulation und stellen somit eine Aufwandsersparnis dar. „ Werden Sie im Nationalrat einen Antrag für ein Gesetz einbringen bzw. unterstützen, das eine Verordnungsermächtigung nach dem Vorbild des deutschen Gesetzes zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. November 1971 (deutsches BGBl. I S. 1745, 1749) bzw. der deutschen HOAI (deut. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 37) für analoge Regelungen direkt in Gesetzesrang enthält? “ SPÖ Eine verbindliche Honorarregelung auf gesetzlicher Basis erscheint als adäquates Mittel, dem Preisdumping in einem Segment entgegenzuwirken, in dem auch viele EinPersonen-Unternehmen und Kleinstbetriebe tätig sind. Durch ein angemessenes Honorarsystem sollen die Rahmenbedingungen für hochwertige Qualität und wirtschaftlich nachhaltige Arbeit, von der man leben kann, sichergestellt werden, weshalb eine derartige Initiative die Unterstützung der SPÖ hat. ÖVP Eine Honorarordnung nach deutschem Vorbild hätte unserer Meinung nach insbesondere die Vorteile, Architekten und Ingenieurkonsulenten ein adäquates Honorar zu sichern und gleichzeitig den Wettbewerb vorrangig auf die Qualität der Arbeit zu richten. Auf der anderen Seite stellt eine Honorarordnung einen weitreichenden Eingriff in den freien Markt dar. Ob eine Honorarordnung verhältnismäßig ist, in welchem Ausmaß genannte Ziele dadurch erreicht werden können und welche weiteren Auswirkungen eine gesetzliche Verankerung hat, wollen wir daher vor einer finalen Stellungnahme noch genau prüfen. FPÖ Auch dieser Vorschlag findet unsere Unterstützung und wird zu Beginn der neuen Legislaturperiode in einem eigenen Antrag im Nationalrat eingebracht werden. Ihre Ausführungen zu den Gefahren eines unregulierten Marktes sind evident und verlangen nach einem neuen wirtschaftstheoretischen Ansatz über diesen Spezialfall hinaus. Sowohl aus rein gesellschaftlichen als auch aus politischen Gründen sind Marktfundamentalismus und Monetarismus abzulehnen. BZÖ Das BZÖ als wirtschaftsliberale Partei spricht sich grundsätzlich für einen freien Markt aus, wenngleich es Grenzen zum Schutz vor nicht zu rechtfertigenden Ungleichgewichten geben muss. Da derzeit noch unklar ist, ob die in Deutschland gültige verbindliche Honorarregelung europarechtskonform ist, sollte wohl – insbesondere im Hinblick auf die bisherigen kartellrechtlichen Bedenken in Österreich – vor vergleichbaren Überlegungen in Österreich die Entwicklung in Deutschland abgewartet werden. Für eine Honorarordnung für Ingenieur- und Architektenleistungen sprechen die damit verbundene Kostentransparenz und Kalkulationssicherheit. Allerdings muss die Höhe der Honorare bei einer zwingenden staatlichen Regelung im Sinne eines Interessenausgleichs zwischen Auftragnehmern- und Auftraggebern festgelegt werden. Konsumenteninteressen dürfen also nicht vernachlässigt werden. Alles in allem sind wir diesbezüglich diskussionsbereit. Als Diskussionsgrundlage erscheint uns aber sinnvoll, die Erfahrungen in Deutschland eingehend zu durchleuchten und zu berücksichtigen. Die Grünen Transparenz, Qualitätssicherung und Kalkulationssicherheit sind tatsächlich Voraussetzungen einer erfolgreichen Arbeit. Es macht daher Sinn, eine entsprechende Regelung zu schaffen. Die Grünen werden diesbezügliche Bemühungen aktiv unterstützen. Team Stronach Eine erfolgreiche Wirtschaft benötigt für uns vom Team Stronach ein marktwirtschaftliches System mit freiem Wettbewerb und freiem Unternehmertum. Ein Honorardumping „nach unten“ wird durch die bestehenden – genormten – Erfordernisse limitiert, die auch objektiv dargestellt werden können. „Nach oben“ gilt für uns der freie Wettbewerb. 291 36 | 37 Parteien im Check

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Sie wünschen, wir planen! | Über die Notwendigkeit einer wirksameren Bebauungsplanung für eine nachhaltigere Stadt- und Siedlungsstruktur In den meisten Städten wiederum hat der Bebauungsplan vor Langem schon seine Funktion als langfristiger Rahmen für eine homogene dreidimensionale Entwicklung des Stadtkörpers verloren. Bei jedem größeren Projekt wird der Bebauungsplan heute im Normalfall dem Entwurf (sprich: den Renditeerwartungen) des Bauwerbers oder dem Ergebnis des (selten an übergeordneten stadträumlichen Vorgaben orientierten) Wettbewerbs angepasst – egal, welche städtebauliche Form und Dimension in den zuvor bestehenden Plänen oder Konzepten für den jeweiligen Standort vorgesehen waren. Die Bezeichnung „Plan“ ist in solchen Fällen im Grunde irreführend, da das Rechtsinstrument keine Inhalte mehr vorgibt, sondern anderweitig geschaffene Fakten nur noch nachvollzieht. So verwundert es nicht, dass Aspekte wie die Gesamtstruktur eines Viertels, die Ensemblewirkung entlang eines Straßenzugs, sozial verträgliche Bebauungsdichten oder die rücksichtsvolle Einbettung eines Neubaus in den umgebenden Bestand in vielen österreichischen Städten im Laufe der letzten Jahrzehnte mehr und mehr unter die Räder gekommen sind. Reinhard Seiß ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Kaum einem Planungsinstrument haftet das Schicksal der Wirkungs- und Belanglosigkeit so sehr an wie dem Bebauungsplan. In Landgemeinden bildet er in der Regel das ab, was der Bürgermeister meint, dass die Bauwerber sich wünschen: in Gewerbegebieten möglichst große Flächen ohne irgendwelche Einschränkungen hinsichtlich Maßstäblichkeit, Form, Positionierung, Dach- und Fassadengestaltung oder gar Nutzungsart der Gebäude – und in Wohngebieten ein Nebeneinander von frei stehenden Einfamilienhäusern entlang standardisierter Straßen. So beschränken sich die Planinhalte in den Siedlungsgebieten üblicherweise auf Geschoßanzahl und Dachform, Vorgartentiefe und Einfriedungsart der Eigenheime im Grünen. Und dies wird sich auch kaum ändern, so lange die Gesetzgeber es verabsäumen, alle anderen Einflussfaktoren auf die Bebauungsstruktur – seien es die Bauordnungen und Stellplatzverordnungen, seien es die Wohnbauförderung oder die Infrastrukturfinanzierung – in den Dienst flächensparender, verdichteter und städtebaulich qualitätvoller Siedlungsformen zu stellen. Das BRG in der Au/ Einkaufszentrum West der ARGE reitter-eck&reiter bietet sowohl der Geschäftsfläche für ein Shoppingcenter als auch einer Schule Platz. Sie wünschen, wir planen!

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um die Erfüllung ihrer Qualitätsvorstellungen mit den Bauherren auszuverhandeln. Als Basis dafür dient unter anderem das räumliche Entwicklungskonzept, das relativ genaue stadtplanerische und städtebauliche Vorgaben wie Leithöhen, Leitdichten oder auch die maximale Gebäudelänge entlang der Straße vorgibt und eine rechtlich bindende Verordnung darstellt. Die Stadt Graz will künftig in ihren Bebauungsplänen für neue Entwicklungsgebiete bestimmte Nutzungen nach Gebäudeteilen differenziert ausschließen oder vorschreiben – wie dies die Novelle des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes von 2010 den Kommunen ermöglicht. Damit versucht die Grazer Stadtplanung, insbesondere die Erdgeschoßzonen von Neubauten in Hauptstraßen für Handel und Gastronomie zu reservieren und so die Funktionsmischung in für das Umfeld bedeutsamen Gebäuden zu erhöhen. Seit rund zehn Jahren handhabt die Stadt Innsbruck ihre Bebauungsplanung mit beeindruckender Konsequenz – wie dies auch am diesjährigen PlanerInnentag in Graz vorgestellt wurde. Wann immer ein größeres Projekt eine Abänderung der bestehenden, rechtskräftigen Pläne erfordert, verlangt das Stadtplanungsamt die Durchführung eines Architekturoder Städtebauwettbewerbs, dessen Ergebnisse vertraglich abgesichert werden. Auch bei kleineren Bauvorhaben verknüpft der Magistrat jede Flächenwidmungs- oder Bebauungsplanänderung mit einem sogenannten Projektsicherungsvertrag, sprich einem zivilrechtlichen Dienstbarkeitsvertrag, zur Absicherung vereinbarter Inhalte: Diese gehen viel weiter ins Detail als die Bestimmungen eines Bebauungsplans oder des Baugenehmigungsverfahrens und können auch Grundrisse, die Freiflächengestaltung oder den Lärmschutz betreffen. Die mehr als 100 Verträge, die Innsbruck mittlerweile abgeschlossen hat, erzeugten ein spürbar partnerschaftliches Klima zwischen Stadtplanungsamt und Bauwerbern, die dieses Procedere bisher ohne Ausnahme gutgeheißen haben. Von dieser kooperativen Stimmung getragen, entstand unter anderem ein bemerkenswertes, weil äußerst ungewöhnliches Projekt, das eine Reaktion auf das Fehlen von Entwicklungsflächen in Innsbruck und ein Produkt der daraus resultierenden Planungsmaxime – Umstrukturierung und Nachverdichtung – darstellt: Im Stadtteil Höttinger Au wünschte sich die Stadt schon länger ein Einkaufszentrum zur Versorgung des Viertels und war gleichzeitig auf der Suche nach einem Standort für ein Gymnasium. Als ein EKZ-Betreiber eine Gewerbebrache nutzen wollte, gelang es, ihn für ein gemeinschaftliches Bauvorhaben mit der öffentlichen Hand zu gewinnen. Das Shopping Center „Innsbruck West“ umfasst heute rund 30 Geschäfte auf 2,5 Geschoßen sowie eine darunter liegender Tiefgarage – und gibt darüber auf weiteren 2,5 Geschoßen einer Schule sowie allen dazugehörigen Sport- und Freiflächen Platz. Von sich aus wäre kein Investor auf diese Idee gekommen, die sich als beidseitiger Gewinn entpuppte – es lag an der öffentlichen Hand, dies zu fordern. Was einmal mehr offenbart, dass es Österreichs Länder und Kommunen in hohem Maße selbst in Der PlanerInnentag 2013 der Bundesfachgruppe Raumplanung, Landschaftsplanung und Geografie der Bundesder Hand haben, ihre Planung wirksamer kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten sowie der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Steiermark und und ihre Entwicklung zukunftstauglicher Kärnten widmete sich dem Thema „Bebauungsplankultur – Wege zur Qualität“. Nähere Informationen unter http://www.arching.at/baik/idart_215-content.html zu gestalten. N Dabei wäre angesichts der großmaßstäblichen monofunktionalen Komplexe, die den öden „Investorenstädtebau“ unserer Zentren und damit auch den öffentlichen Raum zunehmend bestimmen, eine wirkungsvolle Bebauungsplanung wichtiger denn je, um von den Bauträgern jene Kleinteiligkeit und Nutzungsmischung einzufordern, die die allseits erwünschte Urbanität, die lebenswerte Städte ursächlich ermöglichen. Nun ist man in Österreich bei der Forderung nach einer konsequenteren Stadt- bzw. Ortsplanung schnell mit allerlei Bedenken konfrontiert: von Politikern, die vorgeben, dass sie damit Wähler und Investoren vergrämen würden; von Bauträgern, die lamentieren, dass sich viele Projekte in anderer Größe und Gestalt nicht rechnen würden; von Architekten, die meinen, in allzu engen Korsetten keine qualitätvolle Architektur zustande zu bringen. Doch zeigen jene Städte und Gemeinden, die das Instrument der Bebauungsplanung selbstbewusster in die Hand genommen haben, dass dies weder den verantwortlichen Politikern noch den Bauherren zum Schaden gereicht – und genau in diesen Kommunen vielseits beachtete Architektur entsteht. Das beste Beispiel dafür ist die Stadt Salzburg, die seit rund 30 Jahren eine für Österreich geradezu untypische Qualitätsorientierung in der Stadtentwicklung verfolgt. Das wesentlichste Instrument der städtebaulichen Planung ist dabei – neben der sogenannten Architekturbegutachtung – der zweistufige Bebauungsplan. Dieser enthält in seiner Grundstufe, in welcher er für das gesamte Bauland im Stadtgebiet besteht, lediglich Mindestaussagen wie die durchschnittlich mögliche Höhe, einen allgemeinen Dichtewert, die Baufluchtlinie zur Straße hin oder auch die zulässigen Nutzungen – was sowohl den Anrainern als auch Käufern respektive Investoren ausreichend Rechtssicherheit bietet. Einen sogenannten Aufbaustufenbebauungsplan erarbeitet die Stadtplanung – im Wohnbau ab 2000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche, im Gewerbebau ab 15.000 Kubikmetern Bauvolumen – erst nach einem konkreten Projektantrag auf Basis eines Vorentwurfs. Darin werden die genauen Höhen und Baufluchten, die Gestaltung der Fassaden und der Grünflächen oder auch eine etwaige Tiefgaragenpflicht festgeschrieben und noch viele andere Inhalte fixiert, die in einem klassischen einstufigen Bebaungsplan niemals festzulegen wären. Die übergeordneten Vorgaben der B-Plan-Grundstufe stehen dabei freilich nie zur Diskussion. Die in den Planungsprozess mit einbezogenen Bauwerber wissen um die Notwendigkeit, die Ziele der Stadt zu erfüllen, da ihr Projekt ansonsten die seit den 1980er-Jahren für alle Baumaßnahmen verpflichtende Architekturbegutachtung nicht bestehen würde. Diese erfolgt bei größeren Projekten durch den mit unabhängigen internationalen Experten besetzten Salzburger Gestaltungsbeirat sowie bei kleineren Bauvorhaben durch unterschiedlich umfangreiche Fachgremien aus magistratsangehörigen und freien Planern und Bausachverständigen. In allen diesen Fällen nutzt die Stadt die Architekturbegutachtung nicht nur zur Kontrolle der Einhaltung von Plänen und Vorschriften, sondern auch, 291 38 | 39 Sie wünschen, wir planen!

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Bei der Energiewende haben wir’s zum Glück leichter. Danke, Wasserkraft! Hier Film ansehen! Energiewende heißt Umstieg auf erneuerbare, klimafreundliche Energieformen wie Strom aus Wasserkraft. Davon hat Österreich schon heute einen hohen Anteil – und wir bauen ihn laufend aus. Mehr auf www.verbund.at Energieträger: Wasserkraft 100 % Stromkennzeichnung gem. § 78 Abs.1 und 2 ElWOG 2010 und Stromkennzeichnungs-VO 2011 für den Zeitraum 1.1.2012 bis 31.12.2012. Durch den vorliegenden Versorgermix fallen weder Anzeige CO2-Emissionen noch radioaktive Abfälle an.100 % der Nachweise stammen aus Österreich.

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Knapp vorbei ist auch daneben Die Abschätzung der Risiken für Teilnehmer und Auslober muss maßgebend für die Konzeption von Architekturwettbewerben sein – oder vielmehr sollte sie es sein. Denn viele Auslobungen beruhen auf einer unvollständigen Abschätzung der Gefahr, in einem Wettbewerb kein oder ein wenig konstruktives Ergebnis zu erreichen. Noch immer werden Realisierungswettbewerbe „erfolgreich“ abgeschlossen, ohne eine Planungslösung zu liefern: „Knapp vorbei ist auch daneben“ kann man sagen, wenn wieder einmal ein Preisgericht für ein utopisches, also den Auslober überforderndes und unrealisierbares Gewinnerprojekt oder, im Zweifel, für zwei zweite oder gar drei dritte Preise entschieden hat. Nicht nur der öffentliche Bauherr steht mit einem solchen Entscheid in einer klammen Pattsituation: keine Chance zur Projektentwicklung, kei- ne breite öffentliche Akzeptanz, keine positive Resonanz in der Fachwelt usw. Trotzdem beschränken sich Auslober häufig auf die Nachahmung eines auf den ersten Blick passend erscheinenden Vorbildes, ohne sich der Gefahren des Scheiterns bewusst zu werden. Es genügen wenige Unschärfen in den Auslobungsunterlagen, um das Verfahrensrisiko unkalkulierbar zu machen: eine zu weite Definition der Planungsaufgabe (die Delegation vorher zu treffender Bauherrnentscheidungen an die Teilnehmer), ein unkalkulierbares Teilnehmerfeld (durch zu hohe oder zu niedrige Eignungsschwellen, unreflektierte offene, einstufige Durchführung), ein zu detailliertes Planungserfordernis (unnötige fotorealistische Darstellungen, Hochbaudetails, Baukostennachweise) oder eine schlechte Preisgelddotation. Eine mustergültige Verfahrensroutine zur Beurteilung der Versagenswahrscheinlichkeit von Wettbewerben existiert bisher nicht. Die Wettbewerbsregulative der Architekten argumentieren, dass schon die Würdigung der Grundsätze des Architekturwettbewerbs, die Zugrundelegung der empfohlenen Wettbewerbsordnung und die Beachtung der Wettbewerbsleistungsbilder bzw. der Preisgeldempfehlungen risikominimierend wirken. Der auch vom Wettbewerbsstandard Architektur vertretene, ganzheitliche, inhaltliche und formale Aspekte gleichermaßen berücksichtigende Ansatz der Risikodämpfung ist der allein erfolgversprechende. Kontraproduktiv für den Architekturwettbewerb sind Tendenzen, das Verfahrensrisiko primär an hochgerüsteten vergabe- und urheberrechtlichen Bestimmungen festzumachen. Das „Entdeckungsverfahren“ Architekturwettbewerb braucht selbstredend ein enges Regelgerüst – aber die Eigenlogiken und -gesetze des Planens und Entwerfens müssen stets eingebunden sein. Walter M. Chramosta N Trinkempfehlung Feuerwasser nannten den Schnaps die Indianer bei Karl May. Zweifel sind angebracht, schließlich verließ der produktivste Reiseschriftsteller aller Zeiten Deutschland nie. Die Inspiration könnte er aus Korn gezogen haben, jener Spirituose, die einst als deutsches Nationalgetränk hoch im Kurs stand und heute ins Billigregal des Supermarkts abgestiegen ist. Nationalsymbole wie Korn und Sauerkraut haben es in Deutschland schwer. Das ist nachvollziehbar. Unvergessen ist die Epoche, als sie es zu leicht hatten. In diese historische Wunde träufelt der Künstler Theo Ligthart seinen neuen Brand „das korn“. In Holland geboren, in Wien aufgewachsen und nun in Berlin Kreuzberg lebend, hat er ein feines Gespür fürs Internationale. Weizenbrand, das deutsche Äquivalent zum russischen Wodka, wurde zuvor noch nie vom „branding“ veredelt. In Bars, die 1000 Destillate führen, gab es kein einziges deutsches. Korn sei „ein altbackener, mit fettigem Essen und exzessivem Bierkonsum assoziierter Arbeiterund Bauernschnaps“, schreibt Stefan Gabányi, Barkeeper im Schumann’s. Verglichen mit WodkaMarken fehlt dem Korn der Lifestyle-Impact, erkannte Theo Ligthart, nannte ihn „das korn“ und ließ eine Flasche designen, die an Parfumflacons erinnert. Sie erzählt vom natürlichen Weizenkorn, von Reinheit, Klarheit und Veredelung. Präsentiert wurde das korn nicht auf einer Schnapsmesse, sondern in der New Yorker Kunstmesse Armory Show. Wenn Duchamp einen Flaschentrockner zum Kunstwerk erklärt hat – warum nicht eine feine Flasche Korn? Der Künstler erklärt es so: „Wenn Kunst Konventionen brechen will und trotzdem schnell im Regal des Kunstmarkts landet, ist es an der Zeit, die Sache zu professionalisieren. Das Korn ist eine Marke, die Autonomiebestrebungen der Kunst unterwandert; eine Marketingstrategie, die jene Aufmerksamkeit, die der Kunst entgegengebracht wird, in Geiselhaft nimmt. Das Korn – ein ultrareines Destillat – fordert eine klare Entscheidung, ob man es seiner Sammlung einverleibt oder sich selbst.“ Wolfgang Pauser N Sehempfehlung Häuser für Menschen Humaner Wohnbau in Österreich Ein Film von Reinhard Seiß Müry Salzmann Verlag Qualitativ mangelhafter urbaner Wohnbau in den letzten Jahrzehnten sei der Hauptgrund, weshalb 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung vom frei stehenden Einfamilienhaus im Grünen träumen oder sich diesen Wunsch bereits erfüllt haben. Ausgehend von dieser Idee besuchte der Stadtplaner Reinhard Seiß auf der Suche nach Alternativen zum konventionellen Wohnbau vier zeitlose Best Practices in Österreich: Roland Rainers Gartenstadt Puchenau, Harry Glücks Wohnpark AltErlaa, Fritz Matzingers Nachbarschaftliches Wohnen Guglmugl sowie BKK3s Sargfabrik und Miss Sargfabrik. In Gesprächen mit den Bewohnern und den Planern dieser Wohnbauprojekte spürt die Dokumentation dabei den Fragen nach, was deren bemerkenswerte Qualität ausmacht, aber auch gegen welche Widerstände die Planer bei der Realisierung der Projekte anzukämpfen hatten. Schnell wird dabei klar, dass es vor allem die Räume zwischen den eigentlichen Wohneinheiten sind, die maßgeblich zur hohen Zufriedenheit der Bewohner beitragen. Denn ebendiese Kommunikationsflächen setzen einen Kontrapunkt zum anonymen Massenwohnbau, dessen Qualitätsanspruch an der Wohnungstür endet. Reinhard Seiß leistet mit Häuser für Menschen einen wichtigen Beitrag zum Diskurs über kompaktere Wohn- und Siedlungsformen und macht über infrastrukturelle und finanzielle Aspekte hinaus die Attraktivität und Relevanz funktionierenden urbanen Wohnbaus sichtbar. Redaktion N Premiere in Kooperation mit den Kammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten und der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs: 17. Oktober 2013 | 19:30 Gartenbaukino Parkring 12 | 1010 Wien Der Eintritt ist frei. www.muerysalzmann.at 291 40 | 41 Empfehlungen

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Wann darf ein Ziviltechniker mit einem Baumeister eine ARGE bilden? Nach dem Ziviltechnikergesetz dürfen Ziviltechniker nur mit Gewerbetreibenden eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (und damit eine ARGE) bilden, die nicht zu ausführenden Tätigkeiten berechtigt sind. Nach Ansicht des VKS Wien hatte die Antragstellerin – eine BIEGE bestehend aus Ziviltechniker und Baumeister – genau gegen diese Bestimmung verstoßen: Und das, obwohl das Baumeisterunternehmen die Gewerbebehörde darum ersucht hatte, seine Baumeisterbefugnis auf „planende und beratende Tätigkeiten einzuschränken“. Der VKS Wien sah darin nämlich nur ein Ersuchen, die Baumeisterbefugnis teilweise ruhend zu stellen – dadurch wäre das Unternehmen weiterhin zu ausführenden Tätigkeiten grundsätzlich berechtigt. Außerdem sei dieses Ersuchen von der Gewerbebehörde nicht mit Bescheid erledigt worden, weshalb es jederzeit einseitig vom Abschließend führt der VwGH aus, dass Baumeisterunternehmen zurückgenommen werden könne. Somit bestehe der ursprüngli- „die (teilweise) Zurücklegung der Gewerbebeche Genehmigungsbescheid ohne Einschrän- rechtigung […] mit dem Tage des Einlangens kungen weiter. Da das Baumeisterunterneh- der Anzeige über die Zurücklegung bei der zumen also weiterhin zu ausführenden Tätigkei- ständigen Behörde […] wirksam wird und nach ten berechtigt sei, war eine ARGE mit einem Zi- diesem Zeitpunkt unwiderruflich ist.“ Ein Beviltechniker unzulässig. scheid – wie ihn die belangte Behörde fordert – Der VwGH erachtete die ARGE-Bildung ist nur vorgesehen, wenn die Zurücklegung hingegen für zulässig: Anders als die belangte untersagt wird. Behörde war der VwGH der Ansicht, dass mit Das Baumeisterunternehmen hat die Bedem Schreiben des Baumeisterunternehmens rechtigung zu ausführenden Tätigkeiten sonicht ein „Ruhen“ – also ein längeres Nichtaus- mit rechtswirksam zurückgelegt und somitüben der bestehenden Gewerbeberechtigung verstößt die geplante ARGE nicht gegen das – beantragt wurde, sondern eine (teilweise) Zu- Ziviltechnikergesetz. rücklegung. Aus dem Schreiben ergäbe sich (VwGH 12.06.2013, 2011/04/0186 zu nämlich kein Hinweis darauf, dass die EinVKS Wien, 11.8.2011, VKS-7081/11) schränkung nur vorübergehend erfolgen sollte. Johannes Schramm/Gudrun Mittermayr Weiters hält der VwGH fest, dass es zuläs(Schramm Öhler Rechtsanwälte) N sig ist, eine Gewerbeberechtigung auch nur teilweise zurückzulegen. Einerseits gibt das Gesetz keinen Hinweis dafür, dass dies nicht infrage käme, und andererseits sei es auch zulässig, ein Gewerbe von vornherein mit nur eingeschränktem Umfang anzumelden und auszuüben. Ortsentwürfe. Urbanität im 21. Jahrhundert Bastian Lange, Gottfried Prasenc, Harald Saiko (Hrsg.) jovis Verlag 2013 „Wer Urbanität plant, macht sie kaputt“: Dieses Zitat stellt Matthias Bürgin vor seinen Beitrag in dem Band „Ortsentwürfe. Urbanität im 21. Jahrhundert“. Darin zeigt sich der Kern des von Stadttheoretikern aktuell wahrgenommenen und thematisierten Phänomens der Self-Made-City mit ihren Bottom-up-Initiativen, Coworking spaces, nachbar- schaftsorientierten Werkstätten, integrativen FabLabs, Repair-Cafés und Nachbarschaftsgärten. Nachdem der in den 1990ern prophezeite Tod der Stadt ausgeblieben ist, ist nun eine Re-Urbanisierung zu beobachten, die nicht von Stadtverwaltung oder Investoren, sondern von Anwohnern und lokalen Initiativen initiiert wird und die „keiner traditionellen Arbeitsteilung von Bauherr und Planer“ (Harald Saiko) mehr folgt. Getrieben wird diese Entwicklung vom Wunsch nach Vereinbarkeit der Wege zwischen Wohnung, Kinderbetreuung und Arbeit sowie nach räumlicher Nähe zu Gleichgesinnten, wenn man Mitherausgeber Saiko in seinem programmatischen Beitrag glaubt. „Ortsentwürfe“ bietet einen luziden Überblick über die neue Urbanität und führt den Leser dabei von Zürich bis New York, von Karlsruhe bis Graz. Vor allem das Viertelfest „Lendwirbel“ in der steirischen Landeshauptstadt dient in mehreren Beiträgen als Beispiel für die Neugestaltung der Stadt durch die mit dem Etikett „kreativ“ versehenen Vertreter der Zivilgesellschaft. Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft Andres Lepik (Hrsg.) Hatje Cantz Verlag 2013 Die Entwicklungen der zeitgenössischen Architektur in Afrika werden in Europa kaum wahrgenommen. In den letzten Jahren jedoch verzeichnen viele afrikanische Länder einen wirtschaftlichen Boom, der von einem rasanten Wachstum der Städte begleitet ist. Neben gesichtslosen Großprojekten und unkontrolliert entstehenden Slums bzw. Townships finden sich zahlreiche Beispiele für eigenständige, individuelle und innovative architek- tonische Ansätze. Die Ausstellung „Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft“ in der Münchener Pinakothek der Moderne widmet sich jenen Bauwerken, die eine weiterreichende, kulturelle Dimension beinhalten. Der gleichnamige Katalog zur Ausstellung enthält alle Informationen zu den 28 realisierten Bauvorhaben aus zehn Ländern Subsahara-Afrikas, die auf einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit den jeweiligen sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen vor Ort basieren. Dazu gehören Schulen, Kindergärten, Krankenstationen, Frauenzentren, Bibliotheken, Markt- und Sportanlagen sowie Versammlungsräume. Vielfach sind die späteren Nutzer unmittelbar am Entwurfs- und Bauprozess beteiligt. Neben dem Einsatz aktueller Technologien sind viele der Bauprojekte aus lokalen Materialien entwickelt und greifen lokale Bautraditionen auf. Ein schönes Beispiel ist die schwimmende Schule von Makoko: die nigerianische Stadt wird während der Regenzeit regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht, sodass die Hälfte der Bewohner in Pfahlbauten leben muss. Michael Krassnitzer N Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren

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Ideen in Bewegung | Judith Brandner Geboren 1963 in Salzburg, Japanologin und Übersetzerin für Englisch und Japanisch. Sie ist freie Radio- und Printjournalistin (u. a. Ö1, Spectrum) und Buchautorin. 2012 erschien bei Picus „Reportage Japan – Außer Kontrolle und in Bewegung“. Der Mobilitätsexperte Hermann Knoflacher im Porträt Strukturen wieder heraus, dass der Mensch seinen Lebensraum in einen Lebensraum für Autos umfunktioniert hat? Eine seiner Antworten liegt in der Abschaffung der Parkplätze vor den Häusern, denn solange das Auto vor der Türe steht, wird es verwendet, obwohl es stinkt, Abgase produziert, gefährlich und laut ist. Um ein breites Publikum für diese Probleme zu sensibilisieren, überwinde er immer wieder seine Faulheit, sagt Knoflacher augenzwinkernd und schreibe populärwissenschaftliche Bücher wie zuletzt „Zurück zur Mobilität. Anstöße zum Umdenken“ . Zurück zur Mobilität, der geistigen, die Ursache der menschlichen Erfolgsgeschichte, komme man nur durch autofreie Siedlungen, Dörfer, Städte. Seine Kraft, auch mit fast 73 Jahren weiterzumachen, und der Gleichmut, Angriffe und Miesmachereien auszuhalten, kommen aus einer inneren Freiheit, die ihn unantastbar macht. Dazu gehören das Fehlen materieller Ambitionen und die Fähigkeit, sich auch mit wenig zu bescheiden. Von seiner Mutter hat der im zweisprachigen kärntner-slowenischen Gebiet aufgewachsene Knoflacher den Spruch: „Man kann nur mit einem Löffel essen!“ Auf einem Bauernhof wuchs er ganz selbstverständlich mit der Natur, den Tieren und natürlichen Gefahren auf und war immer wieder mit Tod und Sterben konfrontiert. Die Endlichkeit des Daseins ist ihm auch bewusst, wenn er klettern oder bergsteigen geht. Da relativiere sich auch vieles, inklusive der eigenen Bedeutung, meint Knoflacher nachdenklich. Das Gespräch hat fast eine philosophische Richtung genommen. Und es gibt auch einen spirituellen Knoflacher, der meint: „Wer denkt, weiß, dass es jenseits des Denkens etwas Unbekanntes gibt. Wer versucht, mit dem Denken bis an die Grenzen zu gehen, kommt in die Situation, dass er an irgendetwas glauben muss. Wer das nicht tut, überschätzt den Glauben an sich selbst. Das relativiert das eigene Sein.“ Wir sprechen noch über Ringelnattern und Frösche im Gartenteich und meterlange Äskulapnattern, die einmal vom Baum hingen und Gäste aus Brasilien erschreckten. Und dann radelt Prof. Knoflacher nach Hause, um sich um seine Bienen zu kümmern. „Ich bin ja eigentlich Imker“, sagt er und lacht verschmitzt. N Zum Treffen in einem Gasthaus im Wienerwald kommt Hermann Knoflacher – natürlich – mit dem Fahrrad. Der emeritierte Vorstand des Instituts für Verkehrsplanung und -technik an der TU Wien ist DER österreichische Verkehrs- und Mobilitätsexperte, und er ist einer, der ausspricht, was die meisten erfolgreich verdrängen: Wir sind dem Autovirus verfallen. Wir stauen uns zu Tode. Wir haben eine Gesellschaft errichtet, die mehr für ihre Autos ausgibt, als für ihre Kinder. Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel. Seine Expertise ist national und international gefragt, u. a. als Gastprofessor und -vortragender in den USA, Europa, Japan, Indien. Als Verkehrs- und Städteplaner hat er mehr Städte saniert, als jede/r andere. Er ist Präsident des Club of Vienna und Vorsitzender des Fahrgastbeirats der Wiener Linien ebenso wie globaler Fußgehervertreter der UNO. Ihm ist zu verdanken, dass über die Kärntnerstraße in Wien nicht mehr der Verkehr braust und Wien sich seiner hohen Lebensqualität rühmen kann: 1968 plante er die Fußgängerzone in der Innenstadt und das erste Radwegenetz, das wegen anfänglichen Widerstands erst unter Bürgermeister Zilk realisiert werden konnte. Heute hat Wien mehr als 1200 Kilometer Radwegenetz. Anstatt das Projekt einer Parkgarage unter dem Heldenplatz zu realisieren, dem die Straßenbahn auf dem Ring zum Opfer gefallen wäre, setzte er die Wiederbelebung und Beschleunigung der Straßenbahn durch: „Ich bin ein atypischer Auftragnehmer!“ merkt er lachend dazu an, „Ich mache nur, was mir sinnvoll erscheint!“ Die WienPlanung sah vor, die ganze Innenstadt zur autofreien Zone zu machen, was bis heute nicht realisiert werden konnte. Dazu bräuchte es Politiker mit klaren Zielvorstellungen und Handschlagqualität, sagt Knoflacher, aber die sehe er zu seinem Bedauern nicht. Derzeit werde in Wien viel gemurkst, Stichworte Parkpickerl oder Umgestaltung der Mariahilferstraße. Mit Aussagen wie diesen oder dem Vorschlag, man solle alle Parkplätze beseitigen, keine Garagen mehr bauen und mehr Staus provozieren, um die AutofahrerInnen radikal umzuerziehen, macht er sich nicht immer Freunde. In den 1970er-Jahren legte er sich mit der Autolobby an. Viele, bis hin zu Ministern, wollten ihn schon mundtot machen. Bis heute ist er für manche ein rotes Tuch. „Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, zu gefallen oder zu ärgern!“, sagt Knoflacher dazu lapidar. Er fühle sich nur der Wissenschaft verpflichtet und seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er kümmere sich nicht um Ideologien, sondern setze das um, was fundiert begründet werden kann. Im Mittelpunkt stehen für ihn dabei immer der Mensch und die Sorge um die Zukunft der Lebensgrundlagen. Der 1940 im Gailtal geborene Knoflacher studierte an der TU Wien Bauingenieurwesen, Geodäsie und Mathematik, stellte jedoch schon bald fest, dass ein weiteres halbes Dutzend Disziplinen notwendig waren, um seine Fragen zu beantworten und seine unbändige Neugier zu befriedigen, darunter Psychologie und Verhaltensforschung. Fragen wie: Wie kommen wir aus diesen 291 42 | 43 Porträt Hermann Knoflacher

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Klaus Thürriedl, Christian Aulinger Plus / Minus: Energieeffizienz Martin Stejskal-Ripka Fehlanzeige Die Auflösung des Zwischenraums 7 Wasser 8 – 10 WasserWissen | Die fließenden Überläufe zwischen Mythologie und Rationalität Wolfgang Pauser 11 – 14 Hochwasser endet nicht an Gemeindegrenzen | Auf dem Weg zu nachhaltigerem Hochwasserschutz Sebastian Jobst im Dialog mit Roland Hohenauer, Sven Fuchs und Karl Grimm 15 – 19 Risiko Fracking | Wenn Wasser statt Gas brennt Mathias Rittgerott 20 – 22 Der Wasserfußabdruck | Ein ökologischer Indikator zum Wasserverbrauch Wolfgang Rauch 23– 25 Wasser als Stromspeicher | Wenn erneuerbare Stromquellen in Dialog treten Magdalena Klemun 26– 29 Die richtige Entwicklungshilfe | Know-how, Geduld und andere wertvolle Ressourcen Wojciech Czaja 33 – 36 Parteien im Check | Nach der Wahl – ist vor der Wahl 37 – 38 Sie wünschen, wir planen! | Über die Notwendigkeit einer wirksameren Bebauungsplanung für eine nachhaltigere Stadtund Siedlungsstruktur Reinhard Seiß 40 – 41 Empfehlungen, Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt Hermann Knoflacher Judith Brandner 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Auch hierzulande sind die starren Reglements der Bauordnungen – arithmetischen und geometrischen Abstraktionen folgend – nicht selten ein Hemmschuh für avancierten Städtebau. Die Vorschriften, die die Abstände zwischen Gebäuden und zulässige Gebäudehöhen regulieren, gehen traditionell vom Objekt und dessen Belichtung aus und vernachlässigen die Konzeption der Zwischenund Leerräume, die den eigentlichen Stadtraum bilden. Möglicherweise könnte die drohende Klimaerwärmung einen Anstoß zum Umdenken geben, eine neue Balance von Licht und Schatten zu fördern, was unter anderem zur Wiederentdeckung der Vorzüge von Nordorientierung und kompakten, engeren Straßenräumen führen könnte. Die maßstäblich aufregendsten Straßenräume der Stadtgeschichte wären unter dem Regime der „45 Grad“ – die das Verhältnis zwischen Gebäudehöhe und Distanz zwischen Baufluchtlinien regulieren – nie zustande gekommen. Voraussetzung dafür wäre ein flexibles Qualitätsmanagement, das auch die Maßstäblichkeit der Zwischenräume in Bezug auf die Raumwahrnehmung der Stadtnutzer und Stadtnutzerinnen im Auge behielte. André Krammer N Mit diesem Rendering wird nicht Zaha Hadids Wangjing-Soho-Gebäude in Peking angepriesen, sondern dessen Kopie The Meiquan 22nd Century in Chongqing. Geht es nach den Entwicklern der Kopie, soll deren Gebäude noch vor Hadids fertiggestellt werden. Impressum konstruktiv 291 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01-505 58 07-0, F: 01-505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 14.500 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: Markus Guschelbauer – F. Michael F. = Fotograf Hassmann // Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria A. = Architekt Dusl // Seite 5: Otto Hainzl, bAIK // Seite 7–25: Silvio Maraini // Seite 21–22: vektorama.grafik.design. strategie Wien // Seite 27: Architektur ohne Grenzen // Seite 28: Jana Revedin // Seite 29: Markus Dobmeier // Seite 37: F. Mojo Reitter – A. arge reitter – eck&reiter // Seite 42: Fotostudio Huger // Seite 43: house.sina.com.cn // Seite 44: MA 41 – Stadtvermessung Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. 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Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst- und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01-524 98 03-0, F: 01-524 98 03-4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Das nächste Heft Spätestens seit der industriellen Revolution sind Technik und Ökonomie untrennbar ineinander verflochten. Bedingen der mittlerweile umstrittene Wachstumszwang der Ökonomie und der Innovationsdrang der Technik einander? Markenstrategien und Image spielen neben dem eigentlichen Know-how zunehmend eine wichtige Rolle, doch nicht nur in der Präsentation eigener Leistungen, sondern auch als Ausschreibungsfaktoren, wenn es gilt, gemäß der Firmenphilosophie des Auftraggebers zu konzipieren. Der Architektur war dies, wie bereits die Lektüre Vitruvs vermuten lässt, immer schon bekannt, doch wie verhält es sich mit anderen technischen Disziplinen? Diesen und weiteren Fragen zur Ökonomie der Technik geht das KONstruktiv 292 im Dezember nach.

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291, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten September 2013, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,– | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien Von oben betrachtet sieht eine Kläranlage wie eine Kläranlage aus. Doch auch im unklarsten Gebräu finden wir Unterschiede, die einen Unterschied machen. Nicht nur technischer, sondern auch kultureller Art. Und dabei ist nicht von Bakterienkulturen die Rede. Für unsere glückliche Versorgtheit mit Wasser müssen wir Mitteleuropäer nicht nur dem Himmelvater danken und der Mutter Natur, sondern mindestens ebenso sehr unserer Kläranlagen-Technik. Weil wir gute Menschen sein wollen und geschäftstüchtige Menschen sind, exportieren wir diese Technologie gern in alle Welt. Vor allem in die Dritte Welt, die man jetzt nicht mehr so nennt. Doch dort gibt es Probleme. Die Anlagen brauchen viel Wasser. So viel, wie in Europa selbstverständlich ist und in Afrika nicht. Kein Problem, möchte man meinen, schließlich bietet die deutsche Hilfsorganisation BORDA patentfreie Kläranlagen speziell für heiße, trockene Länder an. Sie kommen ohne bewegliche Teile und Elektrizität aus, sind wartungsarm, aus Sonnenkraft gespeist und funktionieren bestens. Bloß will die niemand. Die Gründe dafür sind kultureller Natur: In indischen Slums legen die Bewohner mehr Wert auf Fernseher und Kühlschränke als auf einen halbwegs hygienischen Umgang mit Abwasser. In China, dessen Flüsse als universale Abtransporteure in Verwendung stehen, hat man eine einzige Anlage gekauft, weil sie „als deutsches Importprodukt prestigeträchtig genug ist, um die lokalen Granden der KP zu beeindrucken“, berichtet Frank Drieschner in der ZEIT: „Drei Generationen südafrikanischer Ingenieure sind mit amerikanischen Lehrbüchern groß geworden. Aus ihrer Sicht muss eine Kläranlage so aussehen und funktionieren wie in den USA und in Europa. Sie muss groß, teuer und wartungsintensiv sein und viel Energie verbrauchen.“ Wolfgang Pauser N 291, „Der Blaue Planet verdankt seinen Namen 70 % Wasser. Das menschliche Gehirn besteht zu etwa 70 % aus Wasser. Asymmetrisch sind die Verhältnisse zwischen diesen beiden Gefäßen. Der Planet kann durch zu viel oder zu wenig Wasser die Gerhirnfunktion beenden. Das Gehirn kann demgegenüber nur versuchen, seine Ohnmacht durch Verstehen des Wassers, aber auch durch technisches Lenken des Wassers zu kompensieren.“ Wasser